Dareggs Uhren schlugen die zweite Morgenstunde ein, als Tajen in die Stadt zurückkehrte. Selbst jetzt noch, eine ganze Nacht später, schienen viele ihren Sieg über das kleine Darkeen zu feiern, hatten noch einmal damit begonnen oder gar nie aufgehört.
Tajen war nicht zum Feiern gekommen und ihm war auch nicht danach. Er hatte sich noch einmal einzeln mit den tiefen Lera getroffen, die anderen Stützpunkte besucht und ihre Ergebnisse direkt beurteilt. Es war zu erwarten gewesen, dass die Truppen im Süden grössere Verluste haben würden. Eine besonders gut gesicherte Burganlage direkt auf einem See, eine grössere Durchmischung mit den Westan … Doch auch im Norden hatten sie einstecken müssen. Die Gegenwehr war nicht übermässig gewesen, aber der Heerführer hatte wenig seiner eigenen Einheiten dahin geschickt und das hatte Druck auf Tajens Dhrunuran ausgeübt. Eine der zwei dort eingesetzten Lera war kaum mehr ansprechbar gewesen. Wahrscheinlich war es nur ihr Schwur gewesen, der sie noch in dieser Welt gehalten hatte, bis sie Tajens Arm ein letztes Mal hatte mit ihrem kreuzen können.
Es war eine lange Nacht für Tajen gewesen. Eine Nacht voller Reden, Lob, Zusprüche und Bedauern. Die festen Wanderportale, die der Heerführer zwischen seinen Stützpunkten eingerichtet hatte, zerrten nicht so an der Seele wie die spontane Portale der Ayvezo. Dennoch klebte dunkle Magie an ihnen und versuchte sich an allem Lebendigen zu sättigen. Tajens Sfaira juckten und drückten, als wären sie bereit zu bersten. Er gönnte sich einen Moment, schloss die Augen schloss und lauschte den Glocken. Er würde zurück nach Hause kehren. Aber noch nicht jetzt. Bis dahin mussten die Gefallenen ruhen.
Tajens Beine waren schwer, als er das Haus erreichte, in dem er mit seinen Nächsten untergebracht war. Anfangs hatte da noch ein Paar mit ihnen gelebt und sie bewirtschaftet. Der Heerführer hatte an ihrem Kind ein Exempel gemacht, als sich Dareggs Tempel gegen ihn ausgesprochen hatte. Vor zwei Wochen hatten sie es nicht mehr ausgehalten und sind in der Nacht davon. Tajen hatte sie kommentarlos gehen lassen. Er wusste nicht, ob sie bis nach Darkeen gerannt und dort wieder vom Krieg eingeholt worden waren, oder ob sie irgendwo in einem Weiler dazwischen Frieden gefunden hatten.
Auf der Veranda sassen Maik und Lannie, zusammen unter eine Decke gekuschelt, und nahmen ihr Frühstück ein.
„Wendler, Skil“, grüsste Tajen die beiden knapp und blieb stehen.
„Warst lange unterwegs, Leri“, antwortete Maik leise. „Setz dich einen Moment. Gönn dir etwas heisse Milch und Käse.“
„He ju. Tu’s. Fühlst dich grässlich an“, ergänzte Lannie wenig respektvoll.
Es gab mehrere Gründe, weswegen Tajen Lannie nicht ermahnte, selbst wenn er seine momentane Erschöpfung aussen vorliess. Zum einen war sein Gatte Maik Tajens zweitbester Vetter und Nanas selbsternannter Adoptiv-Zwilling. Zum anderen war Lannie kein Ise, wenn wohl auch nicht weit von der Grenze geboren. Es wäre ihm erlaubt gewesen, den Schwur abzulegen und den Dhrunuran beizutreten. Maik war, genauso wie bereits seine Mutter, kein geborener Ise, konnte keine beeindruckende Ahnenreihe vorweisen. Dennoch hatte er sich besonders seltene Sfaira verdient. Lannie aber war ohne irgendeinen Schwur mit ihnen gekommen, lediglich mit einem Versprechen. Er war Skilja, ein Spürer, und trug eine besonders ursprüngliche Magie in sich, von der viele Isen nur träumen konnten. Seine Worte waren kein Hohn gewesen, sondern ein Fakt.
„Bist du überhaupt zu Schlaf gekommen?“, fragte Maik, während Tajen sich ihnen gegenüber auf einen Hocker setzte und seine Finger an einem Becher Milch wärmte.
„Etwas. Ich werde später noch genügend Zeit haben. Sieht nicht aus, als würden hier demnächst weitere sinnvolle Schritte geplant werden.“
„Die Ayvezo schlich herum und hat nach dir Ausschau gehalten“, informierte Lannie nun ebenfalls ernst, besorgt sogar.
„Hm“, machte Tajen lediglich, mehr Emotion hatte einer wie Tezius nicht verdient.
„Hmja. Ich hab schon einige aus der Gruppe getroffen. Die ist übler“, mahnte Lannie und fasste an eins der Schutzamulette an seinem Hals.
„Yarrs Brut, sie wollte an deiner Seele saugen“, schnaufte Maik in sein Essen hinein.
„Joah, aber Mani. An mir wollen noch viele auf die eine oder andere Art saugen“, erwiderte Lannie und der Schalk kehrte schlagartig in sein Gesicht zurück. Maik schnaufte ein zweites Mal. Tajen liess die zwei reden, genoss die Morgenbrise. Versuchte nicht unnötig darüber nachzudenken, dass ein boshafter, alter Energiedämon an ihm Gefallen gefunden hatte.
„Wie geht es Soren?“, fragte er irgendwann.
„Oh. Besser. Bereits viel besser“, antwortete Maik besonders trocken.
„Aussehen tut’s nicht schön, aber die Neue hat ihm richtig den Kopf gelüftet. Würde dir auch gut tun“, ergänzte Lannie.
„Jo. Wunderbar. Vielleicht würde es das“, stimmte Tajen zu und erhob sich. Er konnte nicht weiter herumsitzen. Seine Muskeln waren viel zu verspannt.
„Wird sie dann jo mit uns kommen? Nach Fyro?“, fragte Maik.
Tajen zögerte, schüttelte dann den Kopf.
„Das wird ihr überlassen sein. Sie ist keine Gefangene. Aber sagt ihr das noch nicht und auch sonst keiner. Noch hat sich der Sturm nicht gelegt.“
Die Gatten schauten sich kurz an, nickten sein Kommando dann beide ab.
„Soren ist da im Haus. Würde aber nicht hin, Nura ist beschäftigt“, informierte Lannie.
„Ständig, wieder und unerwarteter Weise immer noch, Zrinnons Saat“, brummte Maik, was seinen Gatten schon wieder verschmitzt grinsen liess.
Eigentlich war die Ankündigung klar gewesen. Dennoch verschob Tajen seine Aufmerksamkeit auf das Haus, erahnte die magischen Muster darin. Er war sich nicht sicher, ob ihm das, was er vorfand, tatsächlich suspekt vorkommen sollte. Ob er da objektiv urteilen konnte. Aber ignorieren konnte er es nun nicht mehr so einfach, also ging er ins Haus nach seinem engeren Vetter schauen. Er fand Pukk in der Wohnstube am Kamin, zusammen mit einem Fremden. Auch sie hatten ein Tablett mit Frühstück bei sich stehen, das aber noch recht unberührt war. Pukk war damit beschäftigt, Übertreibungen seiner Taten in und nach der Schlacht zu erzählen. Der Fremde unterdessen war mit Pukk selbst beschäftigt, erschwerte ihm eine wirklich kohärente Erzählung. Als die zwei Tajen bemerkten, raffte sich sein Vetter rasch auf. Er öffnete seinen Mund, schaute umher, schloss seinen Mund wieder, musste erst verarbeiten. Tajen schaute ihn besonders ernst an und verschränkte die Arme.
„… Hva? Tajen, schon zurück? Gut gereist und gute Resultate mitgebracht, jo??“
„Natürlich. Es wurde bereits die zweite Morgenstunde eingeläutet und die Sonne geht im Süden früh auf, Soren.“
Pukk lachte und kratzte sich verlegen am Kopf.
„Über die Uhren könntest du mir irgendwas erzählen, die sind piss willkürlich! Meine eigene Uhr sagt mir, dass der Abend noch rumpelt!“
„So scheint es, Herr Tanne“, bestätigte Tajen, hob kritisch die Augenbrauen.
Sein Vetter schaute an sich herunter, dann lieber eilig rüber zu seinem Gast.
„Hm, das ist Bela übrigens! Kam ganz frisch an im Städtchen, aber ich hab ihn bereits gut auf’n Stand gebracht! Er ist wie die alten Dimraein, nur nicht unter Nuiras Schwur! Und er hat noch welche getroffen damals und kann da, aber nicht nur darüber echt witzige Geschichten erzählen!“
Erst jetzt gönnte Tajen Pukks Gast einen direkten und aufmerksamen Blick. Bela räkelte sich in den Decken, mit der sie die Stelle auf dem Teppich vor dem Kamin zusätzlich ausgeschmückt hatten … und lächelte dermassen entwaffnend zu ihm hoch, dass Tajen selbst kurz unsicher wurde. Seine langen Arme und Beine liessen erahnen, dass er grossgewachsen war, mehr sogar als Pukk. Sein schneeweisses Haar und die stechend frühlingsgrünen Augen waren auffällig. Noch auffälliger aber waren die schwarzen Male überall, die wie Spritzer auf der … nein, wie ein Pilz von innen heraus an die Oberfläche seiner Haut drangen, die langen Narben unter seiner Brust und selbst die an seinem Rücken und im Nacken im Vergleich klein und zart wirken liessen. Auffallen taten sie Tajen dennoch genauso wie die sanft leuchtenden Kristalle, die Bela um den Hals und an einem Handgelenk trug.
„So, so? Eine echte, seltene Hochalbe, hier mitten im Lager der Schemen? Das hat dir dein neuer Freund erzählt?“, wandte sich Tajen wieder an Pukk.
Der wurde tatsächlich auch kurz unsicher, lachte dann aber umso lauter auf.
„Jo? Was denn sonst? Ist kein Gestaltwandler, das wäre mir inzwischen aufgefallen.“
„Jeta Razat. Ich bin nicht ansteckend, wenn das deine Sorge sein sollte“, mischte sich Pukks Gast nun selbst ins Gespräch ein, lächelte weiterhin unbesorgt. Tajen verwunderte nicht, dass er Norden sprach. Seine gezielte und doch besonders silbenbetonte Aussprache deutete aber darauf hin, dass er tatsächlich bereits einige Jahre im Norden verbracht hatte und zwar bereits schon vor längerer Zeit. „Soren und ich haben uns in später Nacht zufällig getroffen und hatten bisweilen viel zu bereden. Du musst sein Vetter und hochgepriesener Leri sein. Versteckst du auch so viele Sfaira unter deiner Kleidung, wie Soren mir bereits auf seinem schönen Körper präsentieren konnte?“
„Ich war nicht besorgt“, entgegnete Tajen, auf das andere Thema ging er nicht ein. Er warf Pukk aber einen tadelnden Blick zu, da der selbst jetzt noch viel zu stolz auf sich war.