Eine kurze Geschichte über die Furcht von Gegenständen.
Von, nicht vor. Das ist kein Tippfehler.
Als äußerst sensibel entpuppte sich der neue Wagen meines Gemahls, der zwei Tage vor der ersten Bewegungseinschränkung gekauft wurde, und zwar aus Leidenschaft und Liebe zum Auto.
Demzufolge handelt es sich um keins, das besonders nützlich wäre, wenn man eine Frau hat, die im Rollstuhl sitzt, doch das macht nichts. Auch mein Beetle Cabrio ist nicht besonders nützlich, wenn man selbst im Rollstuhl sitzt. Aber nützlicher als der BMW Z3, den ich 12 Jahre gefahren bin.
Wir schaffen es, mit dem Beetle nach Italien zu fahren und nehmen sogar das Rollstuhl-Zuggerät mit.
Ein wenig wie Tetris, ich weiß nicht wie viele Tetris noch kennen.
Das neue Auto, nun 6 Wochen alt, und wie durch ein Wunder bereits 600 gefahrene Kilometer aufweisend, obwohl wir nirgendwo hin dürfen, ist sehr sensibel, was sich beim ersten Besuch einer großen Waschstraße zeigte.
Ich stieg aus.
Mit dem üblichen Brimborium; Rolli raus, umsetzen, wegrollen.
Er fuhr die Karre auf die Waschstraße, stellte den Automatikhebel, wie man es soll, auf N, schwang aus dem Wagen und wollte zum Kassenhäuschen, an dem man in Coronazeiten keinen Kaffee mehr kriegt.
Aber immer noch einen Polierlappen, mit dem ich gerne meine anthrazitfarbene Küche poliere.
Aber so weit kamen wir nicht.
Die Waschanlage bleibt stehen, mit wenigstens zwei Fahrzeugen, die schäumende Lederlappen über sich ruhen haben, rührt sich nicht mehr.
Ein Mitarbeiter kommt angesprintet. "Hallo? Sie müssen die Handbremse lösen!"
Göttergatte runzelt kurz die Stirn in meine Richtung. "Aber ich hab doch gar nicht.." Und geht davon.
Ich rolle interessiert hinterher, nur um zu sehen, dass er die Handbremse, nicht angezogen hat. Aber er zieht und löst sie vorsichtshalber. Wir bleiben stehen, als die Anlage wieder anläuft und das Auto reinzieht.
Durch Scheiben erblicken wir, wie die Lappen über den anderen Fahrzeugen wieder hektisch hin und her wedeln, Tentakeln gleich.
Der neue Wagen wir eingezogen, dann ein Ruck und die Anlage bleibt stehen. Irritiert sehen wir uns an. Er läuft zum Auto zurück, sinkt in den Fahrersitz- die Anlage springt an.
"Das ist aber merkwürdig", sage ich halb besorgt, halb belustigt.
Er steigt wieder aus-die Anlage bleibt stehen.
"Es will, dass du bei ihm bleibst", lache ich und sehe den Mitarbeiter nicken:"Hatten wir schonmal. Autos mit Sensoren auf dem Sitz."
"Kann ich mir nicht vorstellen", er steigt wieder aus-die Anlage bleibt stehen. Ich werfe einen Blick auf die wartenden Fahrzeugbesitzer der anderen Karren, die mal gewischt werden, mal darin, überschäumt, blöd herumstehen. Erkenne, wie genervt sie aussehen. Dieser Tage sind die Leute leicht reizbar.
Ich, als Frau, wäre längst angeschnauzt worden.
189 cm große schlanke Männer werden nicht so schnell angeschnauzt.
Besagter testet weiter.
Er sitzt, der Wagen wird ein Stück eingezogen.
Er steigt aus, die Anlage blockiert.
Die Handbremse zieht sich nie selbstständig an.
Ich biege mich inzwischen vor lachen. "Es hat Angst, ohne dich."
"Ja, klar. So eine Waschstraße ist ungemein bedrohlich", brummt er gereizt, aber ich sehe, wie sich die Lachfältchen um seine blauen Augen vertiefen.
Er setzt sich wieder rein.
Steigt aus.
"Nein! Bleib bei mir!", simuliere ich den Wagen, "Ich hab' Angst!"
"Schon gut", sachte streicht er über die graue Fahrertür, "Ich bleibe ja bei dir."
Was er tut und angeödet im Wagen sitzen bleibt, derweil die Lappen und der Schaum über ihn hinweg wedeln und schäumt. Draußen wartend, mache ich mir eine Zigarette an. Bis über beide Backen grinsend, als er rauskommt.
Zuhause sucht er im Erklär-Heft des Autos vergeblich eine Möglichkeit, den Sicherheitsmodus abzustellen, findet aber stattdessen eine Funeral-Modus.
"Jetzt kriege ich aber Angst", lache ich, "Ein Auto mit Beerdigungsmodus. Was macht er den, der Modus? Uns umbringen?" Ich stelle ihm einen Kaffee vor die Linse.
"Ne, er fährt dann nur Schrittgeschwindigkeit mit Standlicht."
"Sehr merkwürdig" ,ich nippe an meine eigenen Kaffee und visualisiere die in amerikanischen Filmen häufig gezeigten Beerdigungen irgendwelcher Mafiabosse. Ständig fahren Autos in Schrittgeschwindigkeit hinter irgendeinem Sarg her, meist im Regen, was impliziert, dass es an der Westküste in LA keine Mafia gibt, "wirklich sehr bedenklich."