Diese Geschichte ist so abstrus, das sie kaum in Worte zu fassen ist, aber ich will es versuchen.
Es begab sich vor mehr als einem Jahr, als der Göttergatte im Rahmen seines Nebengewerbes, das einst aus seinem Hobby erwachsen war, drei große Pakete an ein und denselben Empfänger in die USA versandte.
Versenden wollte, ich denke der Konjunktiv wäre angemessen, berücksichtigt man die Qualität der deutschen Post.
Dem ging selbstredend eine Menge Brimborium voraus.
Meint: man schleppt sie zum Zoll, lässt den Inhalt begutachten und sie anschließend mit komplizierten Zolldokumenten versehen, damit es endlich losgehen kann.
Dann waren die Dinger weg.
Weil wir die Post kennen, entdeckte ich den Göttergatten mehrere Tage in Folge beim Beobachten des Trekkings, und schloss aus den resignierten Tönen, sie seinem Mund entfleuchten, dass sich die Pakete nicht einmal in der Nähe des Zielortes befanden, ja nicht einmal irgendwo waren.
Sie schienen sich in einer Art Pakete-Nirwana aufzuhalten, aber das war ja nicht neu.
Wenn man viel verschickt, macht man reichlich Erfahrung, auf die man verzichten kann.
Aber nach circa 10 Tage kam eines der Pakete an.
Bei uns.
Ich gucke verwirrt, als unser Briefträger mit der Kiste vor der Tür steht und sie in der Diele deponiert.
Erfahrungsgemäß macht die Diskussion mit Postboten wenig Sinn.
Sie sind nie was gewesen und können nichts dafür.
Was im Einzelfall ja stimmen mag, aber früher, als noch alles besser und aus Holz war, hatten die meisten Arbeitnehmer eine Verhältnis zu ihrem Job, sodass sie sich ihrer Rolle als Repräsentant eben des Unternehmens, für das sie arbeiten, bewusst, und bereit waren, Beschwerden qualifiziert weiterzugeben.
Heute werden Hände abwehrend ausgestreckt, daher keine Diskussion.
Die hatte ich dann am Abend, als ich meinem Liebsten die Ankunft der Warensendung in unseren eigenen vier Wänden mitteilte.
Nun neigt er nicht dazu, sich aufzuregen und nimmt die Widrigkeiten des Lebens, hier der Post, mit Humor.
"Dann kommen die anderen beiden bestimmt auch bald", resümiert er, und versucht schon mal die Hotline anzurufen, was bei charakterlich labileren Menschen Selbstmordpotential hat.
In den nächsten beiden Tagen kommen die fehlenden zwei Pakete, die eigentlich nach Detroit hätten gehen sollen, bei uns an.
Das einzig Gute ist, dass die Ware, replizierte Rampen, Teile und Gedöns für Flipper aus Plastik und Stahl, nicht verschwunden ist.
Aber wir sind hier nicht in Detroit, und in der Folge höre ich aus dem Arbeitszimmer, nach endlosem, auf Laut gestellten Warteschleifengedudel genervt vorgebrachte Wörter wie:
Eins
Beschwerde
Beschwerde!
Pakete
und im Anschluss einen gereizt ironischen Dialog mit einer machtlosen, zu Beschwichtigungen und Lügen ausgebildeten Post-Beschwerdehotline- Mitarbeiterin.
Manchmal ist es ein Mitarbeiter, was ich nur daran merke, dass des Gemahls Intonation eine Spur gereizter wird.
"Und?", ich komme mit zwei Kaffee herbei und stelle eine Tasse auf den Schreibtisch.
"Angeblich fehlen die Zollunterlagen."
Meine Blick schweift zu den drei gigantischen Paketen unter dem Fenster, die obenauf mit allen erforderlichen Zolldokumenten beklebt und gepflastert sind.
"Aha", gebe ich mit gehobener Braue zurück, "Und jetzt?"
"Fotografieren und das Gegenteil beweisen."
Nickend knipse ich die aufgeklebten, in durchsichtiger Folie befindlichen Dokumente, mit dem Fokus auf dem Ausstellungsdatum, das definitiv vor dem Versendeversuch liegt.
Die Fotos werden Teil einer Mail an die Post.
Viele Tage vergehen.
Bis ich an einem Dienstag vom Einkaufen zurück komme und ein graues Schreiben von DHL aus dem Briefkasten rupfe.
Weil ich mich nicht ärgern möchte, öffne ich es erst nach der Heimkehr meine Mannes, linse ihm bei der Lektüre aber neugierig über die Schulter.
"Und?"
Er gibt ein resigniertes Geräusch von sich, das ein bisschen nach Verachtung klingt. Das Schriftstück segelt auf den Schreibtisch.
"Sie schreiben, sie dürften es gemäß §74 Außenwirtschaftsverordnung nicht verschicken."
Zuerst sagt mir das mal gar nichts.
Ihm auch nicht, er schlüpft erst mal aus seiner Uniform und zieht was gemütliches an, aber ich lese den Schrieb, der im Grunde nur aus zwei Zeilen besteht und runzele die Stirn. Und setze mich an den Rechner.
"Was machst du?"
"Ich kann Gesetze lesen" entgegne ich tippend, "finden wir doch mal raus, warum nicht."
"Okay."
"Da!"
Wir starren auf § 74 AWV.
74 Ausfuhrverbote von in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erfassten Gütern
(1) Verboten sind der Verkauf, die Ausfuhr und die Durchfuhr von in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erfassten Gütern vom Inland aus oder über das Inland oder deren Beförderung unter Benutzung eines Schiffes oder Luftfahrzeugs, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen, in die folgenden Länder:
1. Belarus,
2. Birma/Myanmar,
3. (aufgehoben)
4.Demokratische Republik Kongo,
5. Demokratische Volksrepublik Korea,
6. (aufgehoben)
7. Irak,
8. Iran,
9. Libanon,
10. (aufgehoben)
11. Libyen,
12. Russland,
13. Simbabwe,
14. Somalia,
15. Sudan,
15a. Südsudan,
16. Syrien,
16a. Venezuela,
17. Zentralafrikanische Republik.
"Meine Güte. Ich sehe uns schon in einer Talk-Show sitzen", gibt er vage erheitert zurück, "Ich geh' mir mal einen Kaffee machen."
"Wir sollten rausfinden, was die in Teil eins Abschnitt A erfassten Güter sind", rufe ich ihm nach, aber er kommt sofort zurück und winkt ab.
"Spielt keine Rolle, weil die USA keines dieser gelisteten Länder ist."
Kurz darauf höre ich den Vollautomaten, derweil ich die Länderliste betrachte und für mich resümiere, dass einige von ihnen unter dem von George W. Bush ins Leben gerufenen Begriff "Schurkenstaaten" zu listen wären.
Seltsam das Ganze.
Als er mit Kaffee zurückkommt, habe ich längst gegoogelt, dass es sich bei den in Teil I Abschnitt A gelisteten Gütern um Waffen handelt. Ich betrachte die Kisten unter dem Fenster, um ihren Inhalt wissend. Plastics, Rampen und einige, mit dem 3D-Drucker fabrizierte Püppchen, die in den ein oder anderen Flipper gehören. Ich stelle mir einen Banküberfall mit einem fingergroßen Püppchen vor, das vorgereckt Richtung Schalter als Waffe herhält.
"Das ist ein Überfall! Raus mit dem Geld!" Fuchtelt wild mit der Gummifigur.
Die Bankangestellte weicht vor Onkel Fester auf seinem Stuhl zurück.
"Ja, bitte tun sie mir nichts!" Und wühlt fahrig im Safe.
Oder wie ein kongolesischer Warlord vor Freude die Hände reibend den Überfall des Nachbardorfes mit einer Rampe aus dem Flipper "Twilight Zone" plant.
Oder mit dem Miniatur-Vampirsarg aus "Monsterbash" seinen Widersacher niedermacht.
"Ich glaub' die haben nur irgendwas da reingeschrieben, damit sie das Porto von 600 Euro nicht zurück erstatten müssen", er sinkt auf den Schreibstischstuhl.
"Aber das ist doch behirnt", werfe ich ein, "Es muss doch jedem Volltrottel klar sein, dass man Gesetze im Internet nachlesen kann."
"Aber es gibt auch genügend Volltrottel, die sich allein von der Nennung einiger Paragrafen eingeschüchtert fühlen. Und vor allem von so einem."
"Und jetzt?"
"Das ist so absurd. Das gibt einen Brief an den Vorstand."
"Okay. Ich lese gleich drüber. Ich geh' kochen."
Das kann man machen, denn unten in den Schreiben von DHL sind alle Vorstandsmitglieder gelistet, und wir wählen eine Frau.
DHL hat eine Frau im Vorstand, und aus Gründen, die ich schwer erklären kann, erhoffen wir uns von ihr mehr Sachverstand.
Wir bemühen uns den Brief nicht ironisch zu halten.
Verschicken ihn per Einschreiben und fragen uns, was sie denken wird, wenn sie diesen Blödsinn liest.
Sie ist entsetzt.
Das Entsetzen über so viel Blödheit, die ich hier lieber Unverschämtheit nennen möchte, springt aus jeder ihrer Antwortzeilen.
Das Porto ist keine Woche nach Erhalt ihrer Antwort auf unserem Konto.
Die Pakete sind längst in Detroit.
Mit UPS.
Es hat zwei Tage gedauert.
Wer noch mehr Post-Irrsinn lesen möchte; das hier ist von Tanuky
https://belletristica.com/de/books/23992-tach-post/chapter/104695-vorwort