Geimpft-Getestet-Genesen?
Gegen die Regel ist nichts einzuwenden, aber sie kann zu abstrusen Dialogen führen.
Heute, als ich Lebensmittel einkaufen fuhr, und gerade aus dem Wagen stieg, kam mir der Gedanke, ich könnte mal bei Kik rein, um zu gucken, ob ich Ergee-Spannbettlaken kriege.
Die gibt es dort, und weil ich länger keine Neuen mehr brauchte, war ich länger nicht mehr bei KiK. Wenn ich schon mal da bin, kaufe ich auch solche Sachen wie Tisch-Sets aus Stoff, und die ein oder andere Schüssel in weiß, die zu meinem viereckigen Ikea-Geschirr passt, dessen Namen ich stets vergesse.
Ich hatte keine Ahnungen, wie die Shopping-Bedingungen bei uns im Kreis aktuell lauten, da ich nicht das Bedürfnis habe, zu shoppen.
Shoppen wird vollkommen überbewertet, aber demzufolge gab ich mich der leisen Hoffnung hin, es stünde vielleicht am Eingang angeschlagen.
Denn was da schon länger nicht mehr steht, sind die runden Ständer mit billigen T-Shirts, aber die Tür stand weit offen.
Ich näherte mich, maskiert natürlich, dem Laden.
Das klingt wie die Eingangszeile zu einem Krimi aus der Perspektive des Täters/der Täterin: Ich näherte mich maskiert dem Laden, schaute ein letztes Mal über die Schulter, und zückte meine…
…Mappe mit dem gelben Impfausweis, denn Geimpfte, Getestete und Genesene dürfen hier unter erschwerten Bedingungen einkaufen. Erschwert waren, wie ich rasch herausfand, die Bedingungen für den jungen Auszubildenden, der an der Tresenverbauung direkt hinter der geöffneten Tür herum lungerte und eine Liste, sowie einen Desinfektionsmittelspender bewachte.
"Guten Tag", trillere ich fröhlich und lege den abgenutzten, weil schon langjährig genutzten Impfausweis vor seine Nase auf den Tresen. Aufgeschlagen auf der Seite mit den beiden Biontech-Impfungen nebst Stempel des Impfzentrums und der Unterschrift des Arztes.
"G'ten Tach", nuschelt er, ohne mich anzusehen.
Viel zu sehen gäbe es da, Dank Maske, sowieso nicht denke ich. Und zugleich: Was macht er da?
Analytisch studiert er den Ausweis, und kommt dann zu einem Schluss.
"Die zweite Ümpfung war erst am 28.4."
"Ja, na und?", frage ich verschnupft, aber statt zu antworten, denkt er. Ein Vorgang, bei dem ich ihm zusehen kann, und den ich abkürze, indem ich vorgreife. "Das ist drei Wochen", ich strecke 3 Finger in die Luft, "und zwei Tage her." Ich strecke 2 Finger in die Höhe.
Ich könnte bis zehn zählen, ehe er antwortet. "Stimmt."
"Schön." Ich lächele, was man hoffentlich an meinen Augenfältchen sieht. Mist, ich habe noch die Sonnenbrille an.
Blöd mit dem Rollstuhl. Ich schätze es selbst nicht, mit jemandem zu reden, der eine Sonnenbrille auf hat, aber die Hände brauchte ich vorhin zur Fortbewegung, und im Augenblick habe ich zu viel Kram auf dem Schoß. Den offenen Rucksack, das Mäppchen etc.
"Ich brauche Ihren Personalausweis", fordert er.
Auch das, denke ich und krame das Kärtchen aus dem Portemonnaie. Er studiert es eingehend, ohne mich anzusehen, aber selbst wenn er mich angesehen hätte…
"Sie können nichts darauf sehen", sage ich mit einem leicht gereizten Unterton. "Nichts, als eine Frau mit einem dunklen Kurzhaarschnitt. Vor Ihnen steht eine Frau mit einer blonden Langhaar-Frisur."
Ich zucke mit der Hand zu dem hochgetürmten Konstrukt, das aus meinem etwas mehr als kinnlangen Bob und einem gleichfarbigen Haarteil besteht, und das für ihn aussehen muss, als bändigte ich eine glänzende blonde Wallemähne.
Er blinzelt.
"Eine Frau mit dunklem Kurzhaarschnitt ohne Maske", wiederhole ich. "Vor Ihnen steht eine langhaarige blonde Frau."
Er denkt.
"Eine blonde Frau mit Maske", vervollständige ich. "Die eine Sonnenbrille an hat. Soll ich die Maske mal lupfen?"
Ich nehme endlich die Sonnenbrille ab.
"Neee." Er schiebt mir den Ausweis zurück und ich stecke ihn ein.
"Aber vorher Hände desinfizieren", verlangt er noch, obwohl ich schon dabei bin.
Während ich so durch die Regalreihen stromere, fällt mir was ein, und kann es mir eben noch verkneifen, mir die flache Hand an die Stirn zu klatschen. Ich steuere meinen Rollstuhl zum Tresen zurück, auf den er sich abstützt, und das Kinn auf der Hand liegen hat.
"Ich habe hier so eine App", erkläre ich und wühle in meinem Rücksack nach meinem Smartphone.
Er erwacht schlagartig. "Ne, App ham wir nich. Aber ich muss ihre Anschrift aufschreiben." Fahrig kramt er nach der Liste und einem Kugelschreiber.
"Dachte ich mir." Ich händige ihm noch einmal meinen Personalausweis aus.
Als ich vom Einkaufen zurückkomme, mit Spannbettlaken, ist der Liebste, der weit vor mir aufgebrochen war, noch nicht wieder zuhause, was ich genervt konstatiere, da es nicht wirklich einfach ist, Einkäufe mitsamt Rollstuhl ins Hausinnere zu befördern.
Zumal dann nicht, wenn man in mehreren Geschäften war, und anschließend an der Erdbeerbude. Einen Korb mit Blumenstrauß obenauf, eine Papiertüte mit zwei Schalen Erdbeeren und den Jutesack von KiK schleppe ich nacheinander ins Haus.
Erst eine Stunde später kommt er zurück, ich höre es an seinem Auto.
Als er reinkommt, hat er endlich wieder eine Kurzhaarfrisur, mit der er zufrieden ist.
Zwar schnitt ihm meine Friseurin zuletzt die Haare mit, aber sein syrischer Friseur ist um Längen talentierter, und so grinst er auch zufrieden.
"Warum hat das so lange gedauert", frage ich, während ich den Kaffeevollautomaten anmache. "War es so voll?"
"Ne", gibt er zurück. Er, der erst einmal geimpft ist und daher getestet werden muss. "Unser Testzentrum öffnet erst um 12 Uhr. Ich habe dann gegoogelt, wo das nächste ist, und das öffnet auch erst um 12 Uhr."
Das erklärt, warum ich die einzige bei KiK war, denke ich. "Und dann?"
"Gegoogelt und so lange gefahren, bis ich eins fand, das seit 9 Uhr auf hat." Er hebt eine Schulter und stellt eine Tasse unter den Vollautomaten. "Die machen das nur übers Smartphone. Das Ergebnis war noch nicht da, als ich beim Friseur ankam.", ruft er übers Mahlwerk. "Als es da war, musste ich einen QR-Code von dem Papier scannen, das sie mir gaben, und dann ein Passwort eingeben."
Mit halb geschlossenen Augen stelle ich mir meine alten Schwiegereltern oder meinen Vater bei diesem Vorgang vor. "Sehr seniorenfreundlich", mokiere ich.
"Sagte ich auch. Der junge Mann antwortete, die Senioren seien alle schon geümpft."
"Geümpft?"
"Hat er so betont", grinst er schräg. "Geümpft."
"Aber das sind sie nicht alle. Und manche erst einmal."