Ich bin nicht sonderlich subtil, zu großer Freude meines Gemahls, der nie raten muss, was ich meine, denn ich sage es einfach.
Ich streue auch keine subtilen Hinweise, was ich mir zum Geburtstag wünsche, demzufolge bin ich auch nicht beleidigt, wenn ich es nicht kriege.
Wenn wir streiten, pflege ich sachlich zu sagen, worüber ich mich ärgere, und gebe nicht vor, mich über etwas anderes geärgert zu haben, als dasjenige, das ich tatsächlich meine.
Das ist sicherlich einer der Gründe, aus denen wir kaum streiten.
Ein anderer ist, das wir beide viel und einen identischen Humor haben.
Der sorgt für eine Art Insider-Geheimsprache.
Ich bin nicht subtil, weil ich es nicht kann (es kommt mir wie Energieverschwendung vor) , was aber wiederum zu einer Abneigung von subtilem Verhalten bei anderen, bevorzugt Frauen führt.
Nun hatten wir, einige Jahre ist es her, um Herbst folgende Situation auf der Arbeit.
In jedem unserer Büros waren Regale mit Akten, die für die ganze Abteilung auf Wiedervorlage hingen, demzufolge auch in meinem, das ich mit niemandem teilte, vielmehr ganz für mich alleine hatte.
Wie jeden Morgen düste eine unserer drei Registratorinnen mit dem Aktenkarren von Zimmer zu Zimmer, um die Wiedervorlage zur heute eingegangenen Post zu ziehen.
Nun war nur eine von Dreien anwesend.
Von den anderen beiden war eine in Kur und die andere krank. Bei der Anwesenden, nennen wir sie Frau Jabitz, handelt es sich um ein ganz ausgeprägt subtiles Weibchen der Gattung Mensch, und man wundere sich nicht, sie war erkältet.
Damals durfte man das noch sein, und sogar so arbeiten gehen, obwohl in der Folge dieser gnadenlosen Selbstüberschätzung, dass ohne einen persönlich die gesamte Behörde zusammenbräche, alle anderen nacheinander wie die Dominosteine umkippten.
Was dann tatsächlich zum Zusammenbruch der Behörde führt.
Ich erinnere mich an einen Influenza-Winter, in dem fast jeder ernsthaft erkrankt war, was dann in der Folge zu verspätet erteilten Feststellungen führte, die aber wiederum Anspruchsvoraussetzungen für andere Feststellungen waren… kurz, es war ein einziges Chaos.
Aber ich schweife ab.
Im Gang gab es zahlreiche Einzelbüros, demzufolge standen die Türen häufig offen, weil der Mensch ein soziales Wesen ist, und so kam es, dass ich Frau Jabitz hustend und keuchend herannahen hörte, um mit holprigen Aktenkarrenrollen im Zimmer schräg gegenüber zu verschwinden.
Derweil ich also meine Akten bearbeitete wurde ich Ohrenzeugin folgenden Intermezzos:
Hust-keuch-hust-hust
„Ach, Frau Jabitz, das hört sich aber gar nicht gut an“, trillert Karin, die Kollegin gegenüber.
„Ja“, wimmert Besagte, „mir geht es-röchel-gar nicht gut.“
„Vielleicht hätten Sie sich besser krank gemeldet?“
Ein Schniefen. Dann das Geräusch einer Nase, die geputzt wird, wonach weinerlich beteuert wird: „Aber dann bleibt alles liegen. Eine muss die Arbeit doch machen.“
Es folgen aufmunternde, aufbauenden und lobende Worte aus Karins Mund.
Der Vorgang wiederholt sich bei fast identischem Wortwechsel in zwei weiteren Büros, sodass mir Sinn und Zweck der Beinahe-Erstickungssimulation nicht verborgen bleibt.
Dann, endlich, entert sie mein Büros hustend.
„Guten Morgen, Frau Jabitz.“ Ich blicke von der Akte auf und lächele freundlich.
„Gute…“ der Rest geht in einem Hustenanfall unter, in dem sie unverdrossen Akten zieht.
Ich arbeite.
Sie keucht-hustet-hustet und hustet.
Ich arbeite.
Sie zieht Akten und röchelt und hustet.
Ich arbeite.
Sie hustete und hustet und beugt sich dabei mir hochrotem Kopf vor.
Meine Augen huschen kurz zu ihr hinüber. Ich erkenne den Zweck. Ich weiß ganz genau, was sie will.
Aber ich schweige.
Mit tränenden Augen gibt sie auf, zieht zwei weitere Akten, klatscht sie auf den Wagen, stürmt hinaus und knallt wütend meine Tür zu.
Etwa zwei Minuten danach geht die Tür einen Spalt auf und meine befreundete Kollegin Claudia linst hinein.
„Du bist so gemein“, grinst sie schief.