Meine Mutter war eine Wochen im Krankenhaus. Nichts schlimmes, aber lästig in diesen Tagen, insofern, dass man sie nur mit einer Menge Trallala und Aufwand besuchen konnte.
Nur eine Person pro Tag und nur eine Stunde zu ausgewählten Uhrzeiten (14 bis 18 Uhr)
Um zu vermeiden, mich in der 2 Kilometer langen Besucherschlange vor dem Eingang des regionalen Krankenhauses anzustellen, kam ich am ersten Tag um 20 Minuten vor zwei an, war also die Erste in der Reihe und wartete.
Im Vorraum, also genau zwischen den beiden elektrischen Schiebetüranlagen, saßen zwei junge Menschen an einem Laptop, deren Aufgabe es war, jeden Besucher einen ellenlangen Zettel ausfüllen zu lassen, und dann im Rechner, beim Patienten zu markieren, dass er schon einen Besuch hatte.
Auf dass ja kein zweiter käme.
Auf den Zettel schrieb man seinen Namen, seine Anschrift, seine Telefonnummer, aber ansonsten ging das Datenschutztechnisch entschieden zu weit.
Die folgenden Fragen sind ja noch verständlich:
Fühlen Sie sich krank oder haben sie Fieber?
Ich runzele die Stirn.
Wenn ich Fieber habe, habe ich behinderungsbedingt derartige Nervenschmerzen, dass ich hier nicht stünde, sondern nach der Einnahme von Morphintropfen apathisch im Bett läge.
Waren Sie in den letzten drei Wochen krank?
???? Krank kann alles mögliche heißen. Vom verstauchten Fuß bis zur Krebserkrankung
Wenn ja, unter welcher Krankheit litten Sie?
Ah, die Verifizierung. Aber ehrlich, geht's noch? Das muss ich nicht mal meinem Arbeitgeber mitteilen. Das wird nicht einmal meinem Dienstherrn vom Amtsarzt mitgeteilt, der lediglich feststellt, ob ich dienstfähig bin oder nicht.
In mir steigt der Ärger auf. Das hier geht zu weit.
Was geht das die Vögel hinter dem Schreibtisch an?
Beruhige dich, Christiane, bitte beruhige dich....
Waren Sie in den letzten vier Wochen verreist?
Natürlich, aber was geht es euch an?
Falls ja, wo haben Sie sich aufgehalten?
Was geht es euch an?
Also gut, Zähne zusammengebissen. Das Ding ward in den 20 Minuten des Wartens ausgefüllt. In dieser Zeit hockte das junge Gemüse dort hinter einem Schreibtisch mit dem Laptop und erzählte sich, womit sie das Wochenende zugebracht hatten. Den Rechner fuhr niemand hoch.
Um Punkt 14 Uhr wurde er hochgefahren.
Und festgestellt, dass man sich nicht einloggen konnte.
Gereizt verziehe ich das Gesicht.
Weil das länger dauert.
Um 14 Uhr 15 werden die ersten ungeduldig. Sie dürfen nicht in den Vorraum, in dem ich wartend und maskiert verweile, weil sich darin nur einer aufhalten darf. Aber sie drängen hinein. Werden rausgeschickt. Die Stimme der jungen "Coronabeauftragten" wird immer hysterischer, derweil ihr Mitarbeiter aufgibt und den Krankenhauseigenen Support herbei ruft.
Um 14 Uhr 20 rufe ich mit dem Handy meine Mutter an.
"Ich stehe hier schon. Ich kann aber nicht hoch, weil die Probleme mit dem Rechner haben."
"Was?"
"Keine Ahnung", in meiner Stimme schwingt die Ironie, "Sie können sich wohl nicht einloggen."
"Ich komme runter." Wie gesagt, sie ist ja nicht bettlägerig. Und sie sieht ziemlich gesund aus, als sie wenige Minuten mit mir im Vorraum steht. In ihrem schicken Loungewear gemahnt allein die medizinischen Bandage an den Grund ihres Aufenthaltes.
Sie ist weniger geduldig als ich.
Und das heißt schon was. Also guckt sie sich das Spiel weitere zehn Minuten an. "War das von Anfang an so?", spitzt sie.
Ich nicke. "Sie haben um Punkt 14 Uhr den Rechner hochgefahren. Vorher saßen sie klönend hier herum."
Immer wieder drängen Besucher in den Vorraum.
Immer wieder werden sie raus geschickt.
Die Stimme der junge Frau steigert sich in ein unerhörtes Crescendo. "Wir können doch nichts dafür!"
"Nein", schnappt Mama, "Aber sie hätten das Ding ja auch in der Zeit hochfahren können, als sich meine Tochter hier an dem hübschen Vorraum satt gesehen hat."
Da hat sie Recht, denke ich, sage aber nichts.
Der Support-Vogel hängt wichtig über dem Laptop. Die Schlange draußen wird immer länger. Aufgebrachtes Raunen dringt hinein. Empört aufgeheizte Gesichter hinter schmutzigem Glas.
Gleich eskaliert das hier, schießt mir durch den Sinn, derweil meine Augen über den Parkplatz draußen schweifen.
Dort steht mein Cabrio.
Ich gucke in den Himmel.
Blau ist er nicht. Aber es regnet auch nicht. Und es ist mild.
Natürlich weiß sie, was ich denke. Wir sehen uns an und nicken.
Der Besuch findet in meinem Auto statt. An der frischen Luft bei runtergelassenem Verdeck, und daher auch ohne Maske.
Und mit allerbestem Blick auf die immer aufgeregtere Menschenmenge.