...ist dieser Tage völlig absurd, denn wenn es einem irgendwie auch nur einen Hauch bedeutet, wie man aussieht, ist es mit etlichen Schwierigkeiten behaftet. Denn beim Optiker herrscht was?
Richtig!
Die Maskenpflicht.
Nun war es leider an der Zeit für eine neue Brille. Zugegeben, ich hätte in die Alte, die auch erst 2 Jahre alt ist, neue Gläser setzen lassen können. Dann wäre die Maske egal, denn ich weiß ja, wie ich damit aussehe. Aber weil sie insofern wertvoll ist, dass sie über Sonnengläser verfügt, die man mit Magneten drauf klickt, und so etwas nicht so leicht zu finden ist, möchte ich sie im sonnenfernen Alltag eigentlich nicht mehr tragen. Um sie zu schonen.
Außerdem wollte ich mal etwas Neues ausprobieren, nämlich eine nicht eben kleine, kreisrunde Brille mit goldenem Rahmen. Ich fand online eine der Marke, die für Sonnenbrillen bekannt ist, aber auch gewöhnliche Rahmen verkauft.
Nun wusste ich, was sie kostet.
Aber nicht, ob sie mir steht.
Egal, mutig genug klingelte ich bei Fielmann an, um zu erfragen, ob sie über das gute Stück verfügen. Und als dies bejaht wurde, machte ich was?
Richtig!
Einen Termin.
Da Fielmann überall gleich ist und ich zwischen Köln und Düsseldorf wohne, wählte ich die Filiale in Grevenbroich. Bekannt wegen eines fiktiven Tagblattes mit dem Chefredakteur Horst Schlemmer, aber das ist eine andere Geschichte. Ebenso wie der simple Fakt, dass die Innenstadt von Grevenbroich schon lange vor Corona tot war. Außer sechs Billig-Schuhgeschäften, Handyhüllenläden, gefühlt 167 Bäckereien, zwei Hörgeräte-Akustikern, drei Optikern und einem Reisebüro (hier Gelächter einfügend) gibt es da nichts, was mir aufgefallen wäre.
Das war mal anders.
2003, als wir herzogen, war das ein zauberhaftes kleines Städtchen, das mich immer ein wenig an Viborg/DK erinnerte.
Aber für diese Anekdote reicht es, zu wissen, dass der Ort tot ist.
Und kein Virus der Welt etwas dafür kann.
Nicht einmal das Amazonen-Virus.
Höchstens das „Wir bauen in Neuss eine Mall-Virus“.
Gegen Mittag läuft also in Grevenbroich ohnehin keiner herum. Jetzt, im lockdown noch weniger als keiner… Nein halt! Eine läuft da herum.
Schwer bewaffnet mit Schlagstock und Tränengas am Gürtel und dem fetten Wort Ordnungsamt auf dem Rücken springt sie, zuvor hinter einer Bronzestatue kauernd, auf mich zu, als ich Richtung Fielmann hetze.
„Sie haben keine Maske auf!“, herrscht sie mich so freundlich an, wie Ordnungshüter neuerdings sind.
Ich blinzele verwirrt und fasse mir ins Gesicht.
Stimmt. Mist.
Das habe ich vergessen, obwohl zahlreiche Unbenutzte im Handschuhfach und eine Frische, für den Termin eingepackte, in meinem Rucksack ruht, den ich an mich nehme, und sie heraus zu fummeln beginne.
„Das habe ich wohl vergessen“, gebe ich freundlich zurück, „Passiert mir nur, wo ich keine Menschen sehe.“
„Was?“ (Sie sagt wirklich „Was?“ Und guckt auch so. Ergo: Wenig intelligent.)
ich gestikuliere. „Hier ist niemand. Wäre hier jemand, trüge er eine Maske und hätte mich daran erinnert, auch eine zu tragen.“
Und ich denke: Wenn du mir ein Verwarngeld aufbrummst, fotografiere ich die ganze Straße für den Widerspruch.
Sie tut nichts. Nuschelt dummes Zeug und schlufft von dannen. Ich rolle in den Fielmann. (Für alle Neuleser: Nicht weil ich so dick wäre, vielmehr sitze ich im Rollstuhl)
ich erkenne die Frau, die sich vor drei Jahren so viel Mühe mit mir und den Kontaktlinsen gemacht hat, nur am Namenschild wieder. Dennoch grüße ich freundlich benenne mein Anliegen und werde in den Sehtestraum gelotst, wo ich lange nichts sehe.
Weil meine Brille beschlagen ist.
Das wird auch nicht besser, als ich hinter der Gerätschaft sitze, denn durch diese sieht man ja auch durch Gläser.
„Bis wohin können sie etwas erkennen?“
„Ich sehe gar nichts.“
Sie wechselt die Gläser. „Sehen sie jetzt?“
„Nein. Ich sehe, ich sehe nichts. Und warum ich nichts sehe, sehen sie jetzt.“ Ich lehne mich zurück. „Das Ding ist beschlagen.“
Sie lächelt entschuldigend. Das sehe ich an ihren Augen, aber dadurch sehe ich auch nicht besser. Damit sich das ändert, überlässt sie mir einen ganzen Karton Kosmetik-Tissues, mit denen ich bei Bedarf die Linse frei wienern kann. Heute muss man ja alles selber machen. Da bekommt der Begriff Dienstleistung eine ganz neue Bedeutung.
Am Ende sitze ich mit dem Ergebnis (links alles perfekt, weil die Altersweitsichtigkeit die angeborene Kurzsichtigkeit vollständig aufgehoben hat), rechts so gut wie blind (übertrieben!)) am Tisch. Dem Tisch, an dem man normalerweise die Brillen eine nach der anderen anprobiert, dabei in einen Handspiegel schaut. Sich dreht und wendet, ein Modell nach dem anderen in Erwägung zieht u/o wieder verwirft. Das dauert seine Zeit, aber am Ende ist man gewiss: Mit dieser Brille sehe ich nicht aus wie eine Voll-Horstin.
Diese Sicherheit ist dahin.
Wie so ziemlich alle Gewissheiten.
Aber es spart Zeit, in der wir nur kurz alle notwendigen Messungen vornehmen und ich die Filiale mit einem Auftragszettel im Rucksack und immer noch der Maske im Gesicht verlasse, und gen Auto düse. Ich fahre heim.
Das war kurz vor Weihnachten.
Letzte Woche Freitag holte ich sie maskiert ab, wusste also noch immer nicht, wie ich damit aussehe, aber immerhin, dass sie nirgendwo zwickt, und dass die Gläser perfekt sind. Im Auto riss ich mir die Maske runter, um zu konstatieren, dass sie mir hervorragend steht.
Aber wenn nicht, wäre es auch egal gewesen.
Es sieht ja keiner.