Ihr Lieben. Mit den folgenden beiden Kapiteln endet die Geschichte um Noah und David, die ursprünglich als Sidestory begonnen hat. Nun, die beiden hatten dann doch mehr zu erzählen, als ich angenommen hatte.
Ich kann mit Worten nicht ausdrücken, was es mir bedeutet, dass ihr trotzdem noch hier seid. Dafür danke ich euch von ganzem Herzen.
Here we go ...
"Noah? Du-u?"
"Ja, Prinzessin?" Mühelos hob der große Brünette Davids siebenjährige Halbschwester hoch und setzte sie auf der Kücheninsel ab.
"Kann ich dich was fragen?"
"Immer, Schatz."
Die Kleine strahlte ihn an. "Es ist wegen der Chayenne. Aus meiner Klasse."
"Eine Freundin?"
"Sicher nicht! Die ist voll blöd. Die Chayenne hat eine Schwester, die Chantal, und die hat einen Freund, der heißt Dennis."
"Verstehe." Tat er nicht. Noah war bei Chantal schon ausgestiegen, machte aber immer noch ein besonders interessiertes Gesicht, während er weiter Früchte für den Obstsalat schnitt.
Es war Sonntag Vormittag. Noah und David hatten die Familie zum Brunch eingeladen. Emma und Luisa waren da, Max war mit Astrid und den Kindern gekommen. Sie freuten sich, Noahs Eltern kennen zu lernen, die einige schöne Herbsttage in Salzburg verbrachten. Lui und Stefan waren ebenfalls gerade in der Stadt. So war es geplant gewesen. Wie genau es dann passiert war, dass plötzlich die Wohnung voller fröhlicher Menschen gewesen war, würde vermutlich für immer ein Rätsel bleiben. Es waren Nachbarn, wie Adele Stolze, Arbeitskollegen, sowohl von Noah als auch David, es waren Freunde, alte wie Tom und neue wie Nils. Die mitgebrachten Leckereien stapelten sich auf dem Esstisch, die Kaffeemaschine bekam keine Verschnaufpause mehr und irgendwo verriet ein deutliches Ploppen, den Anfang vom Ende einer weiteren Flasche Sekt.
Nur Herbert hatte sich genervt ins Schlafzimmer ihrer beiden Lieblingsmenschen verkrümelt, wo sie sich ungestört ihrer Passion, dem Faulsein widmen konnte.
"Die Chayenne hat Geburtstag gehabt und der Dennis und die Chantal sind mit ihr in den Bayernpark gefahren. Die Chayenne gibt voll damit an." Das Mädchen stibitzte sich eine Erdbeere. "Macht ihr mit mir auch einen Ausflug an meinem Geburtstag?"
"Wenn du dir das wünschst", zwinkerte Noah, "total gerne."
"Versprochen?", quiekte sie begeistert.
"Indianerehrenwort." Feierlich hob er die Hand. "Möchtest du auch in den Bayernpark?"
"Nein, mein Geburtstag ist im Winter, ich will zu Holiday on Ice! Danke, danke, danke!" Kreischend sprang sie von der Arbeitsfläche und rannte davon.
Noah fiel das Messerchen aus der Hand. "Moment mal", murmelte er geschockt. "Was ist hier gerade passiert?"
David presste sich die Hand vor den Mund um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Ein Zupfen am T-Shirt ließ den jungen Mann nach unten sehen.
"Was hat er denn?", fragte sein kleiner Bruder und deutete auf Noah, der überhaupt nicht gut aussah.
"Er ... freut sich einfach schon so!"
"Aha. David?" Der Fünfjährige war sehr ernst. "Ich mache mir Sorgen um den Papa."
Das klang bedenklich. "Was ist denn mit ihm?"
"Er hat deinen Brief gesehen."
Der Größere kniete sich vor das Kind. "Ich weiß nicht, was du meinst?"
"Den, der in deiner Arbeit an der Wand hängt."
"Meinen Meisterbrief?" Max war bei dem Juwelier in der Altstadt gewesen?
Tief traurig fixierte der Junge seine bunten Socken. "Die Mama hat vorhin zu einer Frau gesagt, dass es den Papa deswegen vor Stolz noch zerreißen wird. Dann haben beide sehr gelacht." Er weinte jetzt fast. "Aber das ist überhaupt nicht lustig!"
Die beiden Erwachsenen tauschten einen vielsagenden Blick. "Komm mal mit", meinte David ruhig zu dem Fünfjährigen. "Wir suchen Mama und Papa. Du wirst gleich sehen, dass alles in Ordnung ist."
So, so. Väterlicher Stolz. Seinetwegen! Ein warmes Glücksgefühl in der Brust, griff der Größere lächelnd nach der kleinen Hand, die ihm während des letzten halben Jahres so lieb und vertraut geworden war.
"Übrigens, Emmas Vater ist eben gekommen", ließ er seinen Schatz wissen, ehe er sich umwandte.
"Schö... Warte mal, was?!"
"Keine Panik. So viel ich verstanden habe, will er nur kurz mit ihr sprechen. Hat er aber noch nicht geschafft", grinste David. "Der gute Wilhelm hat nämlich gerade eine Begegnung der dritten Art."
"Lui?"
"Oh, ja!"
Wilhelm unternahm einen absolut sinnlosen Fluchtversuch, denn Lui war kräftiger, als er aussah. Das Handy in der einen Hand, drückte der Fitnesstrainer mit der anderen Emmas Vater wieder in den Sessel. "Also. Das bin ich mit ..."
"Ähm, Lui ..."
"Jetzt mal ehrlich, Emma!", regte der kleine Asiate sich auf, weil seine Freundin sich einmischte. "Willi und ich führen hier ein Männergespräch! Du musst einfach auch mal damit klarkommen, dass es Ereignisse gibt, die ausnahmsweise mal nichts mit dir zu tun haben!"
"Also, um genau zu sein ..."
"Die Welt dreht sich nicht nur um Emma Kammrath, ja! Was ist das mit ihr?", wandte er sich an Wilhelm, dessen zutiefst schockierte Miene Lui selbstverständlich als Zustimmung, wenn nicht sogar als Eingeständnis seines Versagens wertete. "Da ist aber in der Erziehung was schief gelaufen!"
Die junge Frau nickte verständnisvoll. Sie sah sich nach ihrem Töchterchen um, das sie in den Armen von Noahs Papa entdeckte. Ihren eigenen Vater musste sie aufgeben. Es existierten eben Naturgewalten, gegen die es kein Entrinnen gab.
Vollkommen entgeistert starrte der Ältere den Burschen an, der sich eben eine Pinke Strähne aus dem Gesicht pustete. Er saß schon fast auf seinem Schoß, weil die Sessellehne nicht breit genug war. Auf seinem farblich zu den Haaren passenden T-Shirt prangte die Aufschrift, "Eat Glitter for Breakfast and shine all Day".
"Also." Der junge Mann zückte erneut sein Handy und legte ihm einen Arm um die Schultern, als wären sie seit Ewigkeiten die besten Kumpels. "Das bin ich mit dem Baby. Das bin ich, mit den Hebammen und dem Baby, das bin ich, mit dem Arzt, ..."
"Na? Genießt du die Sonne?"
Noah hatte gegen Mittag nach seinem Schatz gesucht und ihn draußen gefunden. David saß auf der steinernen Balustrade und breitete die Arme aus.
"Auch. Vor allem genieße ich das Leben. Den Wind in den Haaren, das Summen der Bienen und den Duft der Kräuter und Blumen."
"Und das alles auf einer Dachterrasse."
"Ja. Wer hätte gedacht, dass Max und Astrid gleich ein Herzensprojekt daraus machen, als ich laut überlegt habe, ob es wohl möglich wäre für dich etwas Petersilie und Schnittlauch hier anzubauen?"
"Die haben ein Herzensprojekt aus dir gemacht, Nugget." Noah kuschelte sich an und musste sich strecken, um einen Kuss zu bekommen. "Wird es dir zu viel?"
"Aber nein. Es ist schön, sie alle hier zu haben."
"Sicher? Dir geht es gut?"
"Sehr sogar. Mach dir keine Sorgen. Jetzt musst du zu mir aufsehen", neckte David ihn.
"Das tue ich immer. Auch, wenn ich nach unten schaue."
"Ich liebe dich."
"Hm."
"Hm? Ist das alles, was du dazu sagst?"
"Ich habe heute deiner kleinen Schwester versprochen, mit ihr zu Holiday on Ice zu fahren! Wenn das nicht schreit ich liebe dich, dann weiß ich es auch nicht!"
David lachte sehr.
Fest drückte Noah sich an seinen Schatz. "Ist wahrscheinlich grob fahrlässig, was ich gerade mache."
"Weil?"
"Ich in letzter Zeit hier seitlich immer wieder ein paar graue Haare gefunden habe und fürchte, sie sind überall. Auch da oben. Wo du sie normalerweise nicht so gut siehst."
"Liebster." David wuschelte ihm durch die Frisur. "Das weiß ich doch schon, seit du auf Knien um meine Hand angehalten hast."
"Na, großartig."
David schmunzelte belustigt nach unten.
"Ja, hoffentlich bist du zufrieden. Jetzt bin ich ganz verunsichert!"
Er machte eine betont schuldbewusste Miene. "Kein Wunder bei deinem kaum vorhanden Selbstvertrauen. Entschuldige."
"Danke. Die Hochzeits-Einladungen sind fertig, Nugget."
"Ich weiß." Ein Flüstern. "Ich habe sie schon gesehen."
"Hey?", horchte Noah auf. "Was ist los? Gefallen sie dir nicht?"
"Ich ... Unsere Familien ... Unsere Freunde ..." Das auszusprechen, was das Herz seit Monaten so schwer machte, war nicht einfach. "Ich will diese Einladungen nicht verschicken."
Noah nahm sein Gesicht in beide Hände und sah ihm in die Augen. Lange. Forschend. Aufmerksam. Ernst. Schließlich nickte er langsam. "Du fühlst es auch."