"Dann willst du kein großes Fest? Keine Geschenke?", lächelte Noah.
"Was soll ich mir denn noch wünschen?", flüsterte David. "Und seien wir mal ehrlich, wie wollen wir die hübscheste Ordensfrau und den besten Krankenpfleger der Welt als Trauzeugen und einen Standesbeamten im Elvis Kostüm noch toppen?"
"Er hatte gerade einen Auftritt und keine Zeit mehr, sich umzuziehen!"
David lachte laut auf. "Das meine ich doch. Er war großartig. Und es bedeutet mir nicht weniger, nur weil wir in aller Stille geheiratet haben." Der junge Mann biss sich auf die Unterlippe. "Auch, wenn es nicht nur romantische Gründe hatte."
"Für mich schon", stellte Noah umgehend klar und kuschelte sich wieder gemütlich an. "Und von dir war es wahnsinnig mutig, Nugget. Du hast praktisch die Katze im Sack gekauft", schmunzelte er.
"War mir bewusst. Dachte mir, Katzen sind nicht ganz blöd, im Notfall kann man ihnen was beibringen."
"Oho", lachte der Größere auf, "da habe ich anscheinend Glück gehabt!"
"Hauptsächlich ich. Aber nein, die Wahrheit ist, ich hatte diesbezüglich vielversprechende Informationen aus sicherer Quelle."
"Was denn für ... eine Quelle?"
"Julian."
"Um Gottes Willen!" Noah löste sich entsetzt aus der Umarmung. "Und ich frage mich die ganze Zeit, worüber ihr beide stundenlang redet!"
"Über dich, Liebling. Nur über dich!" David packte ihn mit beiden Händen am Hemdkragen und zog ihn in einen Kuss. "Nein, komm", gluckste der junge Mann gegen die Lippen seines Mannes. "Ich ziehe dich doch nur auf!"
"Grrrrr." Es hätte ein böses Knurren sein sollen, ließ jedoch an Ernsthaftigkeit deutlich zu wünschen übrig. "Okay, Nugget. Willst du mir sagen, worüber du nachdenkst?"
"Ich weiß, ihr habt so eine Show auf Ibiza schon mal abgezogen. Aber ich finde, zu uns beiden passt das nicht. Ich möchte nicht mehr schwindeln."
"Ich empfinde es genauso", seufzte Noah zutiefst erleichtert. "Im ersten Moment habe ich die Idee für gut gehalten. Weil unsere Familien und all unsere Freunde sicher gerne dabei gewesen wären. Aber je mehr Zeit vergeht, umso unwohler fühle ich mich."
"Bestimmt verzeihen sie uns, wenn wir erklären, warum wir es getan haben. Und warum so schnell."
Nie hätte David gewollt, dass jemand anderer als der Mann den er liebte Entscheidungen für ihn treffen durfte, wenn es ihm selbst nicht mehr möglich gewesen wäre. Während David sich gefragt hatte, wie er dieses rechtliche Problem lösen könnte, wurden unter seinem Fenster tausend Kerzen angezündet. Weil man ihn nicht zu David gelassen hatte und die Lichter vielleicht nicht alles hatten sagen können was sie ausdrücken sollten, hatte Noah es zur Sicherheit geschrieben:
"Mein Herz brennt nur für dich.
Ich liebe dich. Heirate mich."
Natürlich hatte er das wiederholt, sobald er ihn hatte sehen dürfen. Und hatte es auch gesagt. Wie sich das gehörte. Wäre nicht mehr nötig gewesen. David hatte nicht gezögert. Nicht einen Wimpernschlag lang.
"Ich habe mir überlegt, wir könnten doch stattdessen alle einladen, um unseren ersten Hochzeitstag mit uns gemeinsam zu feiern. Was meinst du?", fuhr der Goldschmied fort.
"Damit würde mir auch eine Last von der Seele fallen."
"Dann ... machen wir es so?"
"Unbedingt machen wir es so!"
"Na, dann gib mir mal deine Hand." David fischte ein Samtbeutelchen aus seiner Hosentasche. In einer einzigen fließenden Bewegung streifte er einen Ring über Noahs Finger. "Die müssen wir ja jetzt nicht mehr verstecken", stellte er strahlend fest.
Sein Mann hielt die Luft an und schaute ungläubig auf das glänzende Kleinod. "Du hast sie fertig!"
"Ja."
"Er ist wunderschön. Oh mein Gott, er ist wunderschön!"
Mit stürmischer Freude umarmte der große Brünette seinen Schatz, der einen kurzen Schrei ausstieß, weil Noah ihn von seinem Sitzplatz riss und ihn überwältigt durch die Luft wirbelte.
"Und unser Glücks-Nugget ist da drin eingeschmolzen?"
"Das ist er. Wie du es dir gewünscht hast."
Es war Noahs einzige Bitte gewesen. Alles andere, vom Entwurf bis zur Auswahl der Materialien hatte er David überlassen. Noah war nicht überrascht, dass der Goldschmied sich für ein außerordentlich edles, aber schlichtes Design entschieden hatte.
"Und wo ist deiner?"
"Auch hier. Lass mich runter."
"Nein."
"Du musst. Ich komme sonst nicht ran."
"Hm. Na gut." Schon hatte der Kleinere wieder Boden unter den Füßen. "Du bist eh ziemlich schwer geworden."
"Du stellst mir fünf Mal am Tag was zu essen vor die Nase." Der Goldschmied angelte in seiner Hosentasche nach dem zweiten Ring. "Jetzt leb mit den Konsequenzen."
Noah nahm ihm grinsend das Schmuckstück ab und streifte es ihm über seinen Finger. Genau so, wie David es vorhin getan hatte. "Ich liebe dich mit allen Konsequenzen."
"Hm."
"Hm? Mehr sagst du nicht dazu?"
"Habe es vorhin schon gesagt. Wenn sich was ändert, melde ich mich."
Noah lachte aus vollem Herzen. "Warte. Bleib genau hier. Ich habe nämlich auch etwas für dich!" Schon wandte er sich um und hastete in Richtung Tür. "Geh nicht weg, ja?!"
Es verging keine Minute, bis er mit einem dicken Umschlag in der Hand wieder zurück war.
"Was ist das?", fragte David gespannt.
"Das ... Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, ohne dass es sich komisch anhört."
"Komisch? Ist ja sehr mysteriös."
"Es ist Herbst und bis Weihnachten dauert es nicht mehr lange. Dann Silvester ... Ich fand das so schön im letzten Jahr. Nur du und ich und ein paar Filme." Gegen Ende waren die Worte immer leiser geworden.
"Ich fand es auch schön. Warum kommt dir das seltsam vor?"
"Weil ... du doch schon krank warst." Noah ließ den Kopf hängen. "Sonst hätten wir Neujahr bestimmt nicht so ruhig verbracht. Zu zweit."
Lächelnd griff David nach seinen Händen. "Das können wir trotzdem, wenn wir es wollen."
"Ich habe gehofft, dass du das sagst." Auf den Wangen des Größeren zeigte sich ein aufgeregter Schimmer. "Glaubst du, du könntest dich drei Wochen von Luisa und Herbert trennen?"
"Wofür?"
Begeistert zog er ein Prospekt hervor und gab es David. Es war eine Seite aufgeschlagen, die ein überaus exquisit eingerichtetes Zimmer zeigte.
"Wow!", entfuhr es dem jungen Mann. "Das siehst aber sehr luxuriös aus!"
"Oh, ja. Das ist es auch. Ganz unverschämt, sogar!"
"Wo steht denn dieses Hotel?"
"Keine Ahnung."
"Was?"
"Keine Ahnung, wo es sich jetzt gerade befindet. Am ersten Weihnachtsfeiertag wird es in Rotterdam sein und Kurs nach Norden nehmen."
David begann zu blättern. "Ein Schiff. Das ist ein Kreuzfahrtschiff!"
"Und was für eines. Riesiger Spa-Bereich und drei Restaurants der Spitzenklasse." Seine Augen leuchteten. "An Silvester wären wir längst unter den Nordlichtern."
"Unter ..." David schluckte. "Du und ich unter den Nordlichtern?"
"Ja. Nur wir beide. Ich dachte ... Vielleicht machst du dort das Foto deines Lebens. So ein ganz besonderes, das sogar einen Titel bekommt. Flammendes Eis. Oder so. Es wäre auch überhaupt nicht anstrengend für d..."
"Oh, Wahnsinn!", fiel David ihm ins Wort und um den Hals. "Du musst mich nicht erst überreden! Das war immer mein Traum."
"Ich weiß", flüsterte Noah in sein Ohr.
"Die Reise meine ich gar nicht. Ich meine dich." Noch viel fester schlossen seine Arme sich um seinen Mann. "Eine Kreuzfahrt ist schön. Natürlich freue ich mich darüber. Aber es ist nicht nötig. Du bist alles, was ich mir je gewünscht und wofür ich gebetet habe."
"Ich bin der glücklichste Mensch der Welt, weil du mir vertraut und mir eine Chance gegeben hast. Ich habe nicht vor, mich darauf auszuruhen. Ich will dir jeden Tag beweisen, dass du dich nicht geirrt hast."
Der Kuss, der niemals aufgehört hätte, wäre es nach ihnen gegangen, endete viel zu schnell mit einem gehörigen Schreck.
"Gefuuuuunden", brüllte eine Kinderstimme direkt neben ihnen in Richtung Balkontür. "Alle suchen euch", erklärte Davids kleiner Bruder vorwurfsvoll.
"Na, wenn es so ist", schmunzelte Noah. "Wollen wir, Nugget?"
"Der versammelten Meute erklären, dass es keine Hochzeit gibt, weil die Sache längst gelaufen ist?", grinste sein Mann und griff entschlossen nach seiner Hand. "Ja, wir wollen!"
An ihren Fingern glitzerten die goldenen Ringe in der Herbstsonne.
David machte das Foto seines Lebens irgendwo zwischen Spitzbergen und Franz-Josef Land. Er brauchte nicht einmal seine Kamera dafür. Es war ein Selfie, das er mit dem Handy schoss. Das Bild, das erste das je einen Titel bekam, zeigte ihn und Noah am Balkon ihrer Außenkabine, lachend und eng aneinander gekuschelt unter einer dicken Decke. Vielleicht waren sogar Nordlichter im Hintergrund.
David nannte es "Angekommen".
ENDE <3