Du entscheidest dich für den malerischen Schlafplatz unter der Weide. Du streckst dich zwischen ihren mächtigen Wurzeln am Ufer des Teichs aus und rutscht so lange hin und her, bis du bequem liegst. Grillen zirpen in einiger Entfernung. Du hörst Frösche quaken. Am Himmel ziehen die Sterne auf.
In den Ästen des Baums über dir beginnen bisher unsichtbare Blumen, ein schwaches, bläuliches Licht zu verbreiten. Glühwürmchen mischen ihr helleres Leuchten darunter, bis du das Gefühl hast, die Sterne würden für dich tanzen. Du lehnst dich zurück und schließt die Augen, während du dem leisen Plätschern des Sees lauscht.
Bald bist du eingeschlafen, aber du hast einen Traum.
Dem friedlichen Hort unter der Weide entrissen, findest du dich plötzlich auf einem weiten Feld wieder. Über dir erstreckt sich nur ein düsterer, grauer Himmel, zu allen Seiten ist das Land trostlos bis zum Horizont. Es gibt keine Akzente, nur grau und grau, und Regen fällt als dichter Vorhang vom Himmel. Schon nach wenigen Sekunden hast du das Gefühl, es keinen Atemzug länger an diesem Ort aushalten zu können. Es gibt nichts, worauf du den Blick richten könntest, nichts, dass die Aufmerksamkeit zu fesseln im Stande wäre. Du fühlst dich vollkommen allein und einsam.
Während du dich so umsiehst, geschieht etwas mit der Landschaft. Unmerklich scheint sich die Welt auf dich einzurichten. Du spürst, wie Aufmerksamkeit erwacht, fühlst, dass du beobachtet wirst.
„Weltenwanderer“, erklingt eine körperlose Stimme im Wind, so traurig und voller Schmerz, dass dir die Tränen kommen wollen. Es ist kalt hier, und du zitterst stark. An was für einen Ort hat dich dein Traum nur verschlagen?
Wie mit einem Schlag wird dir bewusst, dass du ganz genau weißt, dass du nur träumst. Noch nie wusstest du so sicher, dass du dich in einem Traum befandest. Das macht das seltsame Erlebnis nicht leichter, nicht erträglicher, sondern skurriler.
„Dies ist das Ende der Welt“, spricht die Stimme weiter, die wohl einer sehr hoffnungslosen Frau gehören muss. Du fragst dich unwillkürlich, wie du ihr helfen könntest, die schwere Last zu tragen, die sie hernieder drückt.
„Komm hierher, und du kannst uns alle retten“, sagt die Stimme wie zur Antwort. „Komm hierher, wo die Schlüssel liegen. Hilf uns!“
Die letzten Worte sind drängend und flehentlich. Ein Schauer überfährt dich und reißt dich endlich aus dem Schlaf.
Du liegst noch unter der Trauerweide, genau, wie du eingeschlafen bist, doch dein Herz rast, deine Hände zittern und dein Atem geht flach und schnell.
Ein namenloses Grauen hat dich gepackt. Du bist überwältigt von den Traumbildern, obwohl doch nichts geschehen ist. Nach keinem Alptraum hast du dich derartig hilflos und allein gefühlt, doch jetzt ist es so. Du fühlst dich wie im freien Fall, verirrt in tausenden von Welten, verloren wie einer von Milliarden Sternen, etwas so gewaltiges vor dir, dass du es nicht sehen könntest, als würde sich das Universum dir entgegen stellen, vor und hinter und neben dir, und du hättest nicht einmal Widerstand, gegen den du dich schutzsuchend drücken könntest.
Das Ende der Welt, erinnerst du dich. Auf schwachen Beinen stehst du auf und begibst dich zum See, um ein paar Schlucke kühlen Wassers zu trinken.
Du sollst zum Ende der Welt kommen? Was für ein verrückter Traum! Sicher wirst du doch nicht bis zum Ende aller Zeiten in diesem Irrgarten verloren sein, richtig? Du kannst den Rückweg finden, und immerhin ist es schön hier, du musst also nicht unbedingt Heim.
Im Sternenlicht kannst du dein Spiegelbild erkennen und erschrickt vor dem gehetzten Ausdruck in deinen Augen.
Es dauert bis zum Morgen, ehe du dich beruhigen kannst. Und selbst dann noch fühlst du den Nachhall des Alptraums. Die ganze Welt scheint düster eingefärbt, schwarz wie Qualm und rot wie Feuer, als du dich erneut auf den Weg machst.
Du siehst in den hellen Sonnenaufgang und hast das Gefühl, dass du dich nie wieder trauen wirst, einzuschlafen.
- Nach dieser ereignisreichen Nacht setzt du deine Reise fort. …
Kapitel 349: [https://belletristica.com/de/chapters/34353/edit]