Rasch bringt ihr euch hinter den großen Kisten mit euren Vorräten in Sicherheit und zieht auch Noé zu euch, die die Nacht gefesselt verbringen musste.
"Hat irgendwer gesehen, was das für Leute waren?" Du hast die Frage kaum gestellt, als ein Pfeil die Zeltwand durchschlägt und sich dicht neben dir in eine Kiste bohrt. Andre schreit überrascht auf und ein wahrer Pfeilhagel verfehlt ihn nur knapp.
"Sie orientieren sich an Geräuschen!", warnt Hun-Ya. Wieder fliegen Pfeile, und wieder verfehlen sie nur deshalb, weil ihr hinter einer für eure Feinde unsichtbaren Deckung sitzt.
Entsetzt schweigt ihr. Von draußen hört ihr im Schnee knirschende Schritte und merkwürdige Rufe. Eure Gegner umkreisen euch. Es wird sicher nicht ewig dauern, bis sie herein kommen, und fliehen könnt ihr auch nicht, wenn ihr beschossen werdet. Die Pfeile sind zwar aus einfachen Materialien gefertigt - es scheint Knochen zu sein - aber sehr aufwendig geschnitzt. Ihr habt es mit meisterlichen Schützen zu tun.
Was sollt ihr nur tun? Du versuchst, dir deine Hoffnungslosigkeit nicht anmerken zu lassen. Als Anführer musst du stark bleiben!
"Ich glaube, ich kann ein paar Worte verstehen", flüstert Hun-Ya unvermittelt. "Sie rufen immer wieder das Gleiche. Vermutlich Richtungen oder so. Ich weiß nur nicht wirklich, was links oder rechts ist ... Ich muss nur verstehen, auf welchen Befehl sie wohin laufen."
Ihr lauscht. Doch du kannst aus dem Gewirr fremdartiger Silbern nicht heraushören, wovon Hun-Ya spricht. Und ihre Stirn furcht sich immer tiefer. Sie scheint die nötige Erkenntnis nicht zu erhalten.
Plötzlich bewegt sich Noé. Sie brummt in ihren Knebel und zappelt. Nach kurzem Zögern ziehst du ihr den Stoffstreifen aus dem Mund.
"Vielleicht sind es keine Richtungen!", zischt sie hastig. "Das passt nicht dazu, wie sie sich bewegen."
Hun-Ya legt den Kopf schief und lauscht konzentriert, dann reißt sie die Augen auf und nickt. "Sie hat recht! Ich glaube, ich verstehe es jetzt. Die Yetis in meiner Heimat kennen kein rechts oder links, sie orientieren sich an den Himmelsrichtungen. Hier scheint es ähnlich zu sein!"
"Wir können sie ablenken!" Noé nickt mit dem Kinn auf die Fesseln.
Du schneidest sie los. Momentan habt ihr größere Probleme als eine Meuterei. Rasch setzt sie sich mit Hun-Ya zusammen. Sie haben die groben Richtungen bald entschlüsselt, nur anhand der Bewegungen eurer Feinde draußen. Dann ahmen sie die Stimmen eurer unsichtbaren Gegner nach und rufen Richtungen nach draußen.
Ein, zwei Pfeile fliegen ins Zelt, als die Gegner begreifen, dass die Stimmen von drinnen kommen, aber ihr bleibt alle in Sicherheit. Und du bemerkst erste Anzeichen für Verwirrung unter euren Angreifern, ehe ihr vernehmt, wie sie sich zusammenrotten.
Wenig später ist es still.
"Sind sie weg?", fragt Noé hoffnungsvoll.
Du stößt einen lauteren Ruf aus: "Hallo?"
Kein Pfeil zielt auf dich. Also ergreifst du den Deckel einer Kiste, hältst ihn als Schild vor dich und trittst vorsichtig nach draußen.
Es ist niemand mehr in der unmittelbaren Nähe. Doch am Horizont erkennst du einige ferne Lichtquellen. Manche bewegen sich, einige bleiben jedoch wie ferne Wächter stehen.
"Sie sind erst einmal weg", informierst du deine Leute, "aber ich glaube nicht, dass sie lange wegbleiben werden." Vielmehr fürchtest du, dass bald ein Gegenangriff erfolgen wird. Sie haben sich zurückgezogen, vielleicht erschreckt, weil ihr begonnen habt, ihre Sprache zu lernen. Du beobachtest die fernen Lichter und bemerkst eine Gruppe von ihnen, die sich rasch eurer Position nähern.
"Nehmt mit, was ihr tragen könnt", befiehlst du. Du hörst, wie dein Team sich beeilt, deinem Befehl nachzukommen. Ihr habt einen Notfallplan für solche Situationen, nach dem jeder etwas Wichtiges einpackt. Darum weiß jedes Expeditionsmitglied, welche Tasche es ergreifen muss. Die Fotografien haben natürlich Priorität, aber ihr nehmt auch Essen, Wasser, Decken und Werkzeuge mit.
Ihr werdet das Zelt zurücklassen. Du bist dir sicher, dass die Fremden nicht kommen, um mit euch zu verhandeln. So schnell, wie sie sich nähern, haben sie Reittiere oder ein Schlittengespann oder etwas Vergleichbares. Deshalb verliert ihr keine Zeit, sondern lauft auf die nächtliche Eisfläche hinaus.
Ihr müsst die Dunkelheit ausnutzen, so lange sie dauert.
So schnell ihr könnt und ohne jedes Licht lasst ihr euer Zelt zurück. Glücklicherweise bleiben die Fackeln zurück. Offenbar gibt es keine Hunde oder andere Spürtiere, die eure Verfolgung aufnehmen können, sodass ihr eure Feinde abschüttelt, bevor der Morgen dämmert.
Doch wie lange ihr sicher sein werdet, kannst du nicht sagen.