Du erwachst, als sich die Geräusche um dich herum verändern. Der Fluss mündet in einen großen, roten See innerhalb einer riesigen Eishöhle. Ein ganzes Schiff würde hier drin Platz finden, doch es gibt nur die Kanus aus Eisblöcken. In den Wänden siehst du reichverzierte Eisschnitzereien, Türen und Fenster, und Docks aus tiefblauem Eis ziehen sich über die roten Wogen.
Es ist kein gewöhnliches Eis, sondern offenbar sehr viel stärker und formbarer. Es ist cyan, ein harscher Kontrast zum roten Wasser, das sich nur in scheinbar unbehandelten Eisstellen an der Decke und den Wänden spiegelt. Gerade erst aus dem Schlaf erwacht fühlst du dich wie in eine andere Welt versetzt. Als hättet ihr einen fremden Planeten erreicht.
Die Architektur ist höchst ungewöhnlich. Die Häuser könntet ihr nicht betreten, denn die Eingänge sind langgezogene Tunnel, durch die man auf dem Bauch rutschen müsste. Das schlanke Aalvolk robbt offenbar hindurch wie der Fisch, von dem sie ihre tierischen Anteile zu haben scheinen. Unzählige von ihnen befinden sich in der Höhle, schwimmen durch das Wasser oder sehen neugierig aus den runden Fensteröffnungen. Du siehst geschnitzte Verzierungen in den Wänden, die offenbar Jagdszenen und Kriege darstellen. Der Stil ist etwas einfach, geradezu kindlich, und für dich kaum zu erkennen, da das Eis nur wenig Kontrast bietet - doch es scheint, als würde das Aalvolk schon länger gegen die Eiselfen kämpfen. Auch Mörg siehst du, die hier als Händler oder Reisende in langen Schlangen dargestellt sind.
Wenn ihr bloß mehr Fotografie-Platten dabeihättet! Dann könntet ihr die Schnitzereien ablichten und zuhause in Ruhe studieren. So bleibt euch nur, einzelne Szenen abzuzeichnen, während ihr wartet.
Denn die Aalwesen setzen euch an einem der Docks aus Eis ab und beachten euch nicht weiter. Ein paar umringen euch neugierig und als sie euer Interesse an den Reliefs bemerken, führen sie euch herum. Ihre Sprache ist jedoch für euch kaum zu verstehen. Das meiste klingt wie gluckerndes Wasser für deine Ohren. Ihr werdet mehr als nur einen Linguisten brauchen, um das zu entschlüsseln!
Ihr erhaltet von euren merkwürdigen Gastgebern Nahrung in Form von bleichen, scheinbar gedünsteten Algen. Eure eigenen Vorräte wagt ihr nicht anzurühren, denn ihr habt ein Relief entdeckt, auf dem die Eiselfen mit monströsen Fratzen dargestellt sind, wie sie Fisch essen. Scheinbar haben die Aalleute etwas dagegen.
Das Licht hier unten verändert sich nicht. Es muss vom Eis selbst stammen, denn die Sonne kann vermutlich nicht so tief nach unten vordringen. Deshalb ist es schwierig, zu sagen, wie viel Zeit vergangen ist. Du vermutest, es war ein halber Tag, bis die Aalwesen zu euch treten und euch zu den Kanus ziehen. Ihr brecht wieder auf und folgt einem Tunnelnetz des roten Flusses, der sich mehrmals verzweigt und dabei immer dünner wird, bis ihr schließlich aussteigen und zu Fuß gehen müsst, zu beiden Seiten eines niedrigen, flachen Stroms. Die Aalleute ziehen die Kanus trotzdem mit sich und als du vor dir einen helleren Schimmer erspähst, hast du einen Verdacht, warum: Tageslicht!
Ihr kommt am Ufer des Meeres heraus, in einer Klippe, die dir ziemlich vertraut vorkommt. Hier habt ihr den Blutsturz damals das erste Mal gesehen!
Die Luft hier draußen ist kalt, nachdem ihr so lange im Eis geschützt wart. Die Aalleute lassen ihre Kanus zu Wasser und ihr steigt vorsichtig, nacheinander, in die kleinen Boote. Als eure neuen Bekanntschaften euch auf die Wogen des aufgewühlten Ozeans hinausfahren, erkennst du den Sinn hinter dem Kunststück, denn nicht weit entfernt treibt ein großer, altertümlicher Dreimaster aus Holz im Wasser. Ein Segelschiff unter dhubyanischer Flagge - euer Weg nach Hause!
Ihr springt auf, jubelt und ruft, sodass die Besatzung euch erblickt. Die Aalleute bringen euch nah an das Schiff, wo eine Leiter herabgelassen wird. Du wartest ab, während dein Team nacheinander hinaufklettert.
"Fragt die Besatzung, ob sie pflanzliche Nahrung haben", bittest du deine Leute. Du möchtest euren Helfern wenigstens etwas geben, um ihnen für ihre Freundlichkeit zu danken. Doch ihr habt kein Glück, wie man dir mitteilt, als ihr gerade die letzte Fotografie nach oben hebt, gut in Seilen gesichert. Also bedankst du dich bei den Aalmenschen, wohlwissend, dass sie dich nicht verstehen, ehe du als letztes an Bord gehst.
Hier trefft ihr auch auf das Team, das mit der Neugier losgesegelt ist. Es ist ein fröhliches Wiedersehen, das ihr unter den verwirrten Blicken der eigentlichen Schiffsbesatzung feiert. Die Seemänner des Schiffes reichen euch Tee und andere warme Getränke, aber so ganz verstehen sie nicht, was euch in diesen kalten Winkel der Welt verschlagen hat.
Wie du erfährst, wurden die anderen beiden Fotografien bereits in Dhubya abgeliefert, was es eigentlich obsolet macht, dass ihr das dritte Bild mit euch geschleppt habt. Doch das heißt, dass eure Expedition ein voller Erfolg war! Nun werden die Sponsoren sicherlich für eine weitere Expedition bezahlen. Ihr werdet zurückkehren können, um all die Wunder dieses magischen Reiches zu erforschen. Obwohl eine entbehrungsreiche Reise hinter euch liegt, scheint dein Team begierig darauf, diese zweite Mission anzutreten.
Wer weiß, wie schnell es geht. Vielleicht ist es schon nächstes Jahr so weit!
Ende ... von Teil 1.
Illustration von Lyzian: https://ibb.co/nQn3NCT
Dir hat die Geschichte gefallen?
Wenn du möchtest, kannst du mir für deine absoluten Lieblingswerke ein paar Brotchips über Ko-fi spendieren: https://ko-fi.com/grauwolfautor
Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!