9 – Dumme Unachtsamkeit
Über seinem Buch hatte Erik schnell seine Umgebung vergessen. Berger, die beiden Lehrerinnen, der lärmende Rest: Das alles trat in den Hintergrund. So weit, dass Erik sie schon fast nicht mehr hörte.
Weil er sich allerdings die ganze Zeit auf den Unterarmen abstützte und dadurch die Schulterblätter nach oben gedrückt wurden, fingen irgendwann die Schultern an zu schmerzen. Also schlug Erik das Buch zu und schob es ein Stück weit weg. Es war schon viel ruhiger um ihn herum. Offenbar hatte sich der Rest des Kurses allmählich beruhigt und genoss jetzt nach der Fahrt die Nachmittagssonne.
Eriks Augen schmerzten, also legte er die Stirn auf die Arme und schloss sie für einen Moment. Nur einen Augenblick ausruhen, danach würde er sich umsehen, ob nicht doch endlich jemand von hier verschwinden wollte, dem er sich anschließen konnte. Andererseits war es verführerisch, hier einfach liegen zu bleiben. Immerhin würden sie noch die ganze Woche in Frankreich sein.
Diesen ominösen, hübschen Franzosen konnte Erik genauso morgen suchen. Also schob er die Mütze ein Stück weiter nach hinten und legte den Kopf richtig auf die Unterarme.
‚So warm ...‘
Wovon fühlte er sich eigentlich derart müde? Im Bus hatte Erik sicherlich ein paar Stunden geschlafen. Und letztendlich hatte er dort auch nur faul rumgesessen. Anstatt hier zu liegen, wäre es besser, wenn er sich etwas bewegen würde, damit sein Kreislauf endlich in Gang kam. Aber selbst dafür fühlte Erik sich zu erschöpft. Vielleicht später. Der Nachmittag war schließlich noch jung.
‚Nur ein paar Minuten ausruhen.‘
Die einsetzende Stille war angenehm – vor allem nach der zeitweise durchaus lautstark verlaufenen Herfahrt. Hin und wieder streifte ein kühlender Luftzug über Eriks Rücken. Es wirkte geradezu friedlich. Eine Art von Ruhe, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Um genau zu sein, war Erik sich nicht sicher, wann er sie das letzte Mal gefühlt hatte – oder ob überhaupt jemals. Sein Atem wurde ebenso ruhiger und langsamer. Gleichmäßig hob und senkte sich Eriks Brustkorb durch die Atemzüge.
Die Wärme auf dem Rücken wurde stärker, immer mehr sehnte Erik die seltener werdenden Windböen herbei, die seinen Körper zumindest für einen Sekundenbruchteil abzukühlen schienen. Für einen Moment überlegte Erik ernsthaft, ob er nicht doch ins Wasser steigen sollte, damit diese Hitze wieder erträglicher wurde. Aber die Dunkelheit und die Lethargie, die Eriks ganzen Körper offensichtlich erfasst hatte, hielten ihn fest im Griff. Verhinderten, dass er sich bewegte oder wenigstens die Augen öffnete.
Glücklicherweise kam von irgendwo her dann doch eine angenehme Kühle, die sich über Eriks Rücken verteilte. Erst in der Mitte. Ganz plötzlich, sodass er beinahe zusammengezuckt wäre. Aber seine Muskeln wollten ihm weiterhin nicht gehorchen. Vielleicht besser so, denn die Kühle breitete sich von der Mitte überraschend schnell über den deutlich zu erhitzten Körper aus. Erst die Schultern, dann die Wirbelsäule hinab bis zum Hosenbund.
Für einen Moment wünschte Erik sich, dass sie dort nicht stoppen würde. Im Bauch konnte er ein Kribbeln fühlen, das ganz langsam und allmählich von der Körpermitte weiter nach unten wanderte – dorthin wo die Kühle sich nicht vorzuwagen schien. Stattdessen kehrte sie kurz darauf an den Beinen zurück.
Erik war sich nicht sicher, ob ihm das frustrierte Stöhnen tatsächlich entkam oder ob es nur in seinem Kopf existierte. Genau wie die Vorstellung, dass das nicht der Wind und dessen angenehme Kühle war, die ihn da streichelte, sondern etwas ganz anderes.
Die Hitze um Erik herum blieb. Aber sie war nicht mehr so stechend wie zuvor. Ein Gefühl der Zufriedenheit machte sich in ihm breit und er versank tiefer zurück in die Dunkelheit, die den später werdenden Nachmittag derartig angenehm ruhig zu machen schien.
Als Erik irgendwann die Augen öffnete, brauchte er ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Sein ganzer Körper fühlte sich merkwürdig schwer an. Kaum dass er versuchte, sich umzusehen, zuckte ein stechender Schmerz durch Eriks Kopf. Wo zum Teufel war er hier und warum fühlte er sich so beschissen?
Es dauerte sicherlich weitere ein bis zwei Sekunden, bis Erik klar wurde, dass er auf einem Handtuch am Strand lag. In Südfrankreich. Auf der Abschlussfahrt. Vor Eriks Augen tanzten weiße Punkte, als er sie in dem sinnlosen Versuch, den Kopfschmerz zurückzudrängen wieder schloss.
‚Bist du etwa eingepennt, du Trottel?‘, fuhr eine wütende Stimme Erik bereits in seinem Kopf an. Als ob er nicht schon genug Schmerzen im Hirn hatte.
Vorsichtig richtete Erik sich auf. Die Haut auf dem Rücken spannte unangenehm und geradezu schmerzhaft, als irgendetwas darüber glitt. Erst nachdem es zu Boden fiel, bemerkte Erik, dass es sein T-Shirt war. Stirnrunzelnd betrachtete er den weißen Stoff. Merkwürdig. Auch auf seinen Beinen lag ein Handtuch, das ihm allerdings überhaupt nicht bekannt vorkam. Nebel verwirrte Eriks Gedanken.
‚Wo kommen die verdammten Kopfschmerzen denn her?‘
Je mehr er versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was vorging, desto schlechter schien es Erik zu gehen. Langsam stieg Übelkeit in ihm auf und das Ziehen der Haut am Rücken wurde jetzt, wo das T-Shirt weg war, stetig stärker. Irritiert bemerkte Erik, dass es ruhig um ihn herum war.
Kein Geschrei oder Planschen, Stille, die beinahe unwirklich anmutete. Stirnrunzelnd sah Erik sich zum Wasser um. Da war niemand. Sein Blick wanderte weiter den Strand entlang, aber auch da waren weder Berger noch die beiden Lehrerinnen oder sonst irgendjemand aus ihrer Gruppe.
„Wo sind denn alle?“, flüsterte Erik verwundert.
Sein Hirn schien nicht recht in Gang kommen zu wollen, also setzte Erik erneut an, den Rest des Kurses auszumachen. Aber da war schlichtweg keiner. Die Mistkerle hatten ihn einfach hier zurückgelassen.
„Von wegen, niemand geht alleine“, murmelte Erik und schloss die Augen, um wenigstens die Übelkeit einigermaßen in den Griff zu bekommen. Wo zum Geier kam die bloß her? „Verdammt.“
Erst Erik ein weiteres Mal vorsichtig die Augen öffnete, wurde ihm klar, dass er inzwischen mitten in der Sonne saß. Verwirrt sah er sich zum dritten Mal um. Verdammt! Der Schatten der Bäume war schon ein ganzes Stück weitergewandert und begann jetzt ein paar Meter weiter weg von ihm. Kein Wunder, dass er sich beschissen fühlte und sein Rücken schmerzte. Wie lange hatte er in der Sonne gebraten?!
Vorsichtiges Tasten, dann hatte Erik das T-Shirt erwischt. Der Versuch es drüber zu ziehen war reichlich unangenehm. Der Stoff kratzte auf der Haut, jede Bewegung der Arme zog zusätzlich daran.
„Na super“, murmelte Erik. Das war vermutlich ein ordentlicher Sonnenbrand, der ihn die nächsten Tage außer Gefecht setzten würde. Dummerweise war er nun einmal kein Zirkusakrobat, der sich selbst eincremen konnte. Und Berger oder gar einen seiner Mitschüler zu fragen wäre schlichtweg peinlich. Genau deshalb hatte Erik sich ja aber in den Schatten gelegt gehabt.
‚Warum hast du Trottel nicht besser aufgepasst!‘, schimpfte er mit sich. Gleichzeitig spürte Erik ein Ziehen in der Magengegend einsetzen. Die anderen hatten ihn einfach hier liegengelassen. ‚Selbst der Blödmann Berger.‘
Dabei hatte der vorhin noch getönt, dass sie nicht einzeln durch die Stadt gehen dürften. Alleine in der Sonne braten war dann wohl doch wieder drinnen. Erik schloss die Augen. Kopfschmerzen und Übelkeit schwappten ein weiteres Mal wie eine Welle aus dem Meer über ihn herein.
Mit nach vorn gebeugtem Kopf versuchte Erik beides zurückzudrängen. Es wäre sicherlich eine gute Idee, sich erst einmal in den Schatten zu verziehen und einigermaßen klar im Kopf zu werden, bevor er sich auf den Rückweg machte. Irgendwann würde Berger schon mit dem Schlüssel bei ihrer Hütte auftauchen.
Plötzlich zuckte ein kalter Blitz durch Eriks Nacken und er selbst in der Folge zusammen. Der Schmerz im Kopf stach erneut zu. Ein gequältes Stöhnen entwich ihm. Am liebsten wäre Erik tot umgefallen, um der Qual ein Ende zu setzen. Die Güte hatte jedoch niemand mit ihm.
Ein Knirschen neben Erik klang, als ob sich da jemand in den Sand fallen ließ. Zwei Sekunden später murrte es aus genau dieser Richtung: „Sie können einem also selbst im Schlaf jede Menge Ärger machen.“
Trotz der scheinbar harschen Worte waren da weder Wut noch Hass oder echte Vorwürfe in der Stimme zu erkennen. Sie war im Gegenteil ruhig und resignierend, womöglich? Ganz sicher war Erik sich nicht, was er glaubte darin mitschwingen zu hören. Es reichte allerdings, damit die eigene Wut nicht begann in ihm hochzukochen. Letztendlich hatte Erik ohnehin genug mit den Kopfschmerzen und der Übelkeit zu kämpfen. Und folglich nicht wirklich viel freie Hirnkapazität, um ausgerechnet über diesen Blödmann nachzudenken.
Trotzdem öffnete Erik vorsichtig ein Auge und schielte in die Richtung, aus der er angesprochen worden war. Berger saß neben ihm, ein kaum sichtbares Grinsen zuckte jedoch immer wieder an den Mundwinkeln. Erik war zu schlecht, um auf die Provokation einzugehen. Die Flasche Wasser, die der Blödmann ihm hinhielt, sah verlockend aus. Und sei es nur dafür, sie sich an die Stirn zu drücken, in der irren Hoffnung, dass sie gegen die Kopfschmerzen helfen würde.
„Trinken Sie das“, forderte Berger ihn auf und hob die Flasche ein Stück höher.
Eriks Verstand hatte noch nicht völlig wieder eingesetzt, aber im Grunde hatte er keine Lust mit dem Blödmann zu diskutieren. Und wie er bereits festgestellt hatte: Die Flasche sah zu verlockend aus. Also griff Erik zu und öffnete sie. Gerade hatte er angesetzt, um zu trinken.
Da hob Berger die Hand. „Nicht zu schnell!“, ermahnte er Erik streng und deutete auf die Flasche. „Wenn Sie das einfach runterschütten, bekommen Sie Bauchschmerzen. Da Ihnen, wie ich annehme, schon der Schädel dröhnt und der Rücken wehtut, sollten Sie den Rest Ihres Körpers nicht unnötig weiter malträtieren.“
Erik verzog den Mund, gehorchte aber weiterhin schweigend. Nachdem er die Hälfte in geradezu winzigen Schlucken getrunken hatte, fing er tatsächlich an, sich langsam besser zu fühlen. Sein Kopf wurde klarer und der Rest des Körpers fühlte sich nicht mehr an, als wäre er völlig außer Kontrolle geraten.
Um Berger nicht ansehen zu müssen, schloss Erik die Augen und senkte den Kopf. Vermutlich sollte er sich bedanken. Das wäre an dieser Stelle wohl das ‚erwachsene‘ Verhalten, das Erik eigentlich an den Tag legen wollte. Aber etwas in ihm weigerte sich. Der Blödmann hätte ihn einfach wecken können, anstatt ihn in der Sonne braten zu lassen, bis Erik strahlte wie ein Kernkraftwerk.
Berger sagte ebenso nichts, richtete sich aber den Geräuschen nach schließlich auf. Schon konnte Erik das unangenehme Ziehen im Bauch fühlen, als ihm bewusst wurde, dass er sich in der Tat mal wieder wie ein bockiges Kind aufführte. Wäre nur fair, wenn der Blödmann ihn hier einfach sitzen lassen würde.
Stattdessen trat Berger hinter Erik. Das Nächste, was er bemerkte, war wie ihn jemand unter beiden Achseln griff und hoch zerrte. Irritiert versuchte Erik, den Kopf zu drehen, aber da wurde er schon von zwei überraschend kräftigen Händen an der Hüfte Richtung Schatten gelenkt. Darauf bedacht, nicht Eriks Rücken zu berühren, dirigierte Berger ihn vehement aber vorsichtig vorwärts.
Der erste Impuls war, sich zu sträuben. Erik hatte allerdings genug Mühe, überhaupt auf den Beinen zu bleiben, während er gegen die erneut aufflammende Übelkeit und den Kopfschmerz ankämpfte. Um nicht am Ende wie der letzte Volltrottel mit dem Gesicht im Sand zu landen, gab Erik also nach und ließ sich erst im Schatten angekommen wieder zu Boden fallen. Er landete nicht gerade grazil auf dem Hinterteil, schaffte es aber, einigermaßen in der Senkrechten zu bleiben und nicht direkt zur Seite wegzukippen.
Hinter sich konnte er das Knirschen von Sand hören. Als Erik einen kurzen Blick über die Schulter wagte, sah er, wie Berger ihre Sachen holte und damit wieder auf ihn zu stapfte. Eriks Handtuch landete vor ihm auf dem Boden, zusammen mit dem Rest der Sachen. Das Tuch, das auf seinen Beinen gelegen hatte, schüttelte Berger wortlos einmal aus, bevor er es im eigenen Rucksack verstaute.
Erst danach ließ sich der Blödmann mit einem leisen Seufzen neben Erik in den Sand fallen. Für einen Moment starrten ihn wütend funkelnde grüne Augen an, denen Erik mal wieder nicht ausweichen konnte. Die zusammengekniffenen Lippen sprachen wohl dafür, dass Berger nur zu gern etwas sagen wollte.
Was auch immer es war, er tat es nicht.
Jedenfalls nicht sofort, denn nach ein paar weiteren Minuten des Schweigens und Anstarrens rang Berger sich dann wohl doch zu einem Anschiss durch: „Es ist reichlich dämlich in der Sonne einzupennen. Erst recht, wenn man offenbar schläft wie ein Stein und nicht wach zu bekommen ist.“
Okay, da hatte Erik zugegeben etwas mehr erwartet. Aber letztendlich hatte er ja eh keinen Bock das zu diskutieren und schon gleich gar nicht mit Berger. Trotzdem murrte er beleidigt zurück: „Ich hab mich extra in den Schatten gelegt.“
Ein kurzes Schnauben, dann war Berger plötzlich verflucht nah und hob vorsichtig das T-Shirt an Eriks Rücken hoch. Das abschätzige Schnalzen mit der Zunge verriet nichts Gutes.
„Das sieht nach einem ordentlichen Sonnenbrand aus“, murrte Berger.
War vermutlich nur Einbildung, aber für Erik klang es beinahe bedauernd, wenn nicht sogar mitleidig. Beides Dinge, auf die Erik verzichten konnte. Jedenfalls insofern es um Berger ging.
„Tut es sehr weh?“, fragte der weiter.
Um dem Blödmann weder eine Bestätigung noch die Genugtuung zu geben, dass er recht hatte, schüttelte Erik den Kopf und wandte den Blick ab. Das Meer stellte eine deutlich unverfänglichere Aussicht dar. Jedenfalls im Augenblick. Denn ihm war absolut klar, dass es im Moment zwar nicht sehr schmerzhaft war, sich das aber im Verlauf des Abends vermutlich ändern würde.
„Haben Sie Kopfschmerzen oder ist Ihnen schlecht?“, forschte Berger weiter nach.
Dabei war gerade diese Frage reichlich überflüssig. Erik war sich verflucht sicher, dass man ihm auf hundert Meter Entfernung ansehen konnte, dass er am liebsten in den Sand kotzen wollte. Jedenfalls wenn Erik nicht befürchten müsste, dass das die Kopfschmerzen noch schlimmer machen würde. Also verzichtete er auf eine Lüge und nickte leicht zur Bestätigung.
„Na super“, meinte Berger verhalten seufzend. „Und ich dachte, jetzt wo Ihre Schulzeit fast zu Ende ist, können Sie endlich auf sich selbst aufpassen.“
‚Mistkerl!‘, zuckte es Erik durch den Kopf, nur um mit einem weiteren, hinterherkommenden, stechenden Schmerz bestraft zu werden.
„Ich brauch keinen Aufpasser“, murmelte Erik entsprechend beleidigt zurück. Dass die Art und Weise, wie er hier hockte, etwas anderes sagte, ignoriere er geflissentlich. „Hätten Sie mich heute Nachmittag einfach gehen lassen, wäre das nicht passiert“, fügte Erik irgendwann trotzig hinzu.
„Bei Ihrem Glück wären Sie in der Stadt überfallen und verprügelt worden“, entgegnete Berger mit einem unüberhörbaren Grinsen in der Stimme.
„So leicht lass ich mich nicht vermöbeln“, gab Erik sofort zurück.
Als er aufsah, wollte er Berger eigentlich wütend anfunkeln. Der grinste schon wieder und das sah so verboten gut aus, dass Erik lieber schnell den Blick senkte und stattdessen auf die eigenen Hände starrte. Der Stimme in seinem Kopf, die behauptete, Berger würde sich über ihn lustig machen, gab Erik nicht nach.
„Immerhin wäre es diesmal keine Prügelei auf dem Schulhof mit Herrn Claasen.“
Bei der Erinnerung daran, wie er Sandro vor ein paar Monaten bei einer eben solchen ein blaues Auge verpasst hatte, musste Erik lächeln. Dämlich und vermutlich nicht sonderlich erwachsen, aber er fing allmählich an, sich besser zu fühlen. Dabei fiel ihm wieder ein, dass er inzwischen mit Berger allein hier am Strand saß.
„Wo sind Sandro und die anderen denn?“, fragte Erik zögerlich.
Mit einem Schulterzucken deutete Berger vage in Richtung der Promenade. „Irgendwo in der Stadt, nehme ich an.“
Mit nach hinten gestützten Armen lehnte er sich zurück und sah Erik forschend an. Der wusste nicht recht, was er darauf sagen sollte. Eigentlich hatte er ja auch in die Stadt gehen wollen – vornehmlich um von genau dem Mann wegzukommen, der ihm jetzt gegenüber saß. Und vielleicht auch in der Hoffnung, stattdessen einen anderen zu finden, der Erik für eine Zeit lang vergessen ließ, dass die Fahrt bisher reichlich beschissen verlaufen war.
Vorsichtig schielte Erik zu seinem Lehrer, der ihn weiterhin anstarrte, so als wollte er sichergehen, dass der unvorsichtige Schüler nicht gleich umkippen würde. Dummerweise hatte Erik keine Argumente, die gegen diese Befürchtung sprechen würden. Trotzdem fragte er sich, warum ausgerechnet Berger hiergeblieben war. Er hätte genauso wie alle anderen verschwinden können.
„Schon vergessen?“, meinte Berger, als hätte er Eriks Gedanken gelesen. „Kein Schüler soll sich alleine von der Gruppe oder den Lehrern entfernen.“
Erik runzelte die Stirn und schaffte es, den Blick von Bergers stechenden Augen abzuwenden. Der Kerl wollte ihn garantiert nur damit ärgern. Weil er genau wusste, dass sich niemand mit ihm abgeben würde.
„Was soll das? Es ist keiner von uns minderjährig. Ist das nicht eine ziemlich alberne Regel?“, murrte Erik genervt. „Wir sind alle erwachsen. Wenn wir uns so benehmen sollen, warum behandeln Sie uns nicht zur Abwechslung auch entsprechend?“
Berger lächelte und zog die Augenbrauen hoch. „Sind nicht meine Regeln“, gab er mit einem Schulterzucken zu. „Frau Fink war sehr vehement damit, dass wir diese eine auch in der letzten Woche Ihrer Schulzeit einzuhalten haben.“ Das verächtliche Schnauben, das Erik entkam, konnte er nicht mehr aufhalten. „Sie können Frau Fink gern selbst fragen. Wenn Sie wollen, ruf ich sie an.“
„Sehr witzig.“
Schweigen trat zwischen sie. Um weder Berger ansehen, noch etwas sagen zu müssen, nippte Erik weiter am Wasser. Sein Magen hatte sich inzwischen einigermaßen beruhigt und auch die Kopfschmerzen waren erträglicher. Dafür konnte er spüren, wie die Haut auf seinem Rücken immer mehr spannte. Wenigstens war es nicht sonderlich schmerzhaft. Aber selbst die leichte Berührung des T-Shirts war zunehmend unangenehm.
Für einen Moment sah Erik zum Wasser und erwägte, ob er nicht doch kurz reingehen sollte. Vielleicht wäre das kühl genug, um die Hitze, die sein Rücken auszustrahlen schien einigermaßen in den Griff zu bekommen. Dafür hätte er allerdings das mühsam angezogene Shirt erst einmal wieder ausziehen müssen. Und die Hose noch dazu.
Ein erneuter Seitenblick zu Berger, der ihn weiterhin anstarrte. ‚Kann der Blödmann nicht mal jemand anderen ansehen?!‘, fauchte eine wütende Stimme in Eriks Kopf.
Offenbar konnte Berger das aber nicht. Was vermutlich daran lag, dass außer ihnen beiden nun einmal niemand weiter hier war. Allmählich fühlte Erik sich aber unter der kontinuierlichen Beobachtung zunehmend unwohler.
„Trinken Sie aus“, meinte Berger plötzlich und deutete auf die Wasserflasche. „Wir sollten in die Herberge zurückgehen.“
Für einen Moment überlegte Erik sich zu weigern. Immerhin würde Berger ja offenbar auch hierbleiben müssen, so lange er sich nicht von der Stelle bewegte. Der Gedanke wenigsten auf diese Weise, die Karten in der Hand zu haben, war verführerisch. Andererseits wäre das nun wirklich reichlich kindisch. Zumal das Grummeln in Eriks Magen ihn deutlich daran erinnerte, dass es auf den Abend zuging und er zum Mittag auf den Nachschlag verzichtet hatte.
„Okay.“