55 – Spontaner Ausbruch
Der Wunsch, dass Hanna sich möglichst bald von ihnen verabschieden und sich verkrümeln wurde, blieb leider nicht mehr als eine Hoffnung. Eine, die Erik bereits kurze Zeit später zu Grabe trug. Natürlich hatte er es sich nicht nehmen lassen, auf ihrem Weg durch den Park, den Platz neben Berger zu erobern. Dummerweise folgten Hanna und Alina weiterhin – und machten beide nicht den Eindruck, als wollten sie daran etwas ändern.
Wenigstens gab es auf diesem Weg zur Abwechslung nichts zu sehen, wozu Alina irgendwelche bescheuerten Fragen stellen konnte. Zwar gingen links und rechts immer wieder Wege ab, die Berger geflissentlich ignorierte, aber die waren scheinbar nicht interessant genug, um nachzufragen. Blöderweise hielt das Alina nicht davon ab, permanent andere Dinge vor sich hinzulabern. Ob ihr dabei irgendjemand zuhörte, war vermutlich irrelevant. Wenigstens schien sie keine Antwort zu erwarten – wobei sie die von Erik ohnehin nicht bekommen hätte.
Als sie gut fünfzehn bis zwanzig Minuten später das von Berger erwähnte Café erreichten, war Erik entsprechend genervt. Konnte die Frau nicht endlich den Mund halten? Dieses ständige Gerede. Über die Basilika und wie interessant das doch alles gewesen wäre. Überhaupt hätten sie bei der Planung deutlich mehr Zeit in Lyon einkalkulieren sollen. Im Gegensatz zu dem Ausflug gestern.
‚Blablabla ...‘
Erik musste sich ernsthaft zusammenreißen, um nicht auszuticken und Alina anzufahren, dass sie endlich den Mund halten sollte. Je länger sie laberte, desto stärker wurden Eriks Kopfschmerzen. Ein Kaffee klang ausgesprochen verlockend. Vielleicht aß die Frau Kuchen. Beim Essen konnte sie wenigstens nicht reden. So viel Erziehung würde sie hoffentlich haben.
Hanna hatte sich hingegen die ganze Zeit zurückgehalten. Seit sie von der Basilika auf dem Stadtberg aufgebrochen waren, hatte die Frau keinen Mucks mehr von sich gegeben gehabt. Die Tatsache, dass Erik den Platz neben Berger erobert hatte, dürfte da einen nicht unerheblichen Beitrag zu geleistet haben. Zumal er sehr penibel darauf geachtet hatte, Berger auch ja weit genug nach links auf dem Weg zu drängen, damit dort niemand mehr neben diesem gehen konnte. Da der Weg nicht sonderlich breit war, konnten sie nicht alle vier nebeneinander laufen. Hanna und Alina hatten somit keine andere Wahl gehabt, als sich nach hinten zu verziehen.
Anstatt sich – wie Erik insgeheim gehofft hatte – irgendwo auf dem Weg oder aus dem Café abzusetzen, blieb ihm die Gesellschaft der beiden Mädchen trotzdem nicht erspart. Da half dann irgendwann nicht einmal mehr Bergers leise und beruhigende Stimme, mit der er ihnen erklärte, wie sie aus dem Park zum Bus zurückkommen würden.
Womöglich hoffte auch Berger auf das Wunder, bei dem Hanna und Alina den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und sich verzogen. Leider war die Hoffnung für heute vergeblich. Und so klebten die beiden auch eine weitere halbe Stunde später weiterhin an Bergers Hacken.
Eriks Stimmung näherte sich dem absoluten Nullpunkt. Wenigstens war er damit nicht allein – und das vermutlich der einzige Grund, warum seine Laune nicht inzwischen total am Boden angekommen war. In diesem Fall stellte geteiltes Leid offenbar tatsächlich halbes dar. Wobei Erik sich nicht sicher war, mit wem er ebendas teilte. Im Augenblick schien jedenfalls niemand hier wirklich gute Laune zu haben. Was hieß, das ‚Leid‘ wurde durch vier geteilt. Auf das Viertel hätte Erik aber trotzdem gern verzichtet.
Langsam hob Erik den Kopf, während er weiterhin lustlos in einem eigentlich recht lecken Stück Kuchen stocherte. Ihm gegenüber saß Hanna. Ihr Anblick trieb Erik schlagartig die Magensäure nach oben. Gerade sah sie lieblich lächelnd zu Berger hinüber. Vor nicht einmal zwei Minuten, als er das letzte Mal den Kopf erhoben hatte, war ihr Blick eher mörderisch gewesen – allerdings zugegeben in Eriks Richtung. Das Geräusch, als seine Gabel durch den Kuchen auf dem Teller einschlug, war definitiv zu laut.
‚Egal.‘
Oder auch nicht. Zumindest brachte das Geräusch Hanna dazu, wieder in seine Richtung zu funkeln. Nicht, dass er ein Interesse daran hatte, mit irgendjemandem aus diesem Kurs so kurz vor dem Ende der Schulzeit Freundschaft zu schließen, aber wenn die Stimmung noch eisiger wurde, waren Frostbeulen nicht mehr auszuschließen. Leider durfte Erik ja nicht drauf hoffen, dass ihn in dem Fall jemand ganz Bestimmtes aufwärmen würde.
Um dem beschissenen Anblick der Konkurrenz zu entgehen, drehte Erik den Kopf nach rechts. Da saß Berger – sah, was den Kuchen anging – ungefähr so enthusiastisch aus, wie Erik sich fühlte. Aber wenigstens aß er zur Abwechslung tatsächlich etwas.
Ansonsten hielt Berger sich zurück. Mit so ziemlich allem. Jedenfalls was Worte, Emotionen oder Blicke anging. Mehr als die Kaffeetasse und den Kuchenteller konnte er bisher nicht angesehen haben. Zumindest hatte Erik es nicht mitbekommen. Vielleicht war es auch nur eine sinnlose Hoffnung. Denn außer ihm selbst sollte Berger hier gefälligst niemanden ansehen.
‚Das wäre nur weiteres Futter für Hannas Spekulationen‘, ermahnte eine Stimme in Eriks Kopf ihn. Schnell wandte er sich erneut ab, sah diesmal nach links. Da saß Alina. ‚Der verdammte Tisch ist zu klein ...‘
Obwohl es unmöglich erschien, fühlte sich die Situation mit jeder weiteren verstreichenden Minute immer unerträglicher an. Zwar hielt Alina inzwischen weitestgehend die Klappe, dafür hatte Hanna angefangen, vorsichtig irgendwelche Fragen zu stellen. Zuerst zu der blöden Basilika und danach zu dem angemalten Haus am Fluss.
Aktuell ging es stetig deutlicher in die Richtung, woher Herr Berger sich in Lyon überhaupt auskannte. Dessen Stimme war leise und ruhig, während er in ausgesprochen kurzen und knappen Worten erklärte, dass er während des Studiums einen Sommer hier verbracht hatte, um seine Sprachkenntnisse zu vertiefen.
Obwohl Erik zugeben musste, dass es Hanna offenbar deutlich leichter fiel, dem Sturkopf da drüben Fragen zu stellen und auf diese Weise ein paar Informationen zu entlocken, gefiel ihm deren Getue überhaupt nicht. Erst recht nicht, wenn er anfing, darüber nachzudenken, was die Frau mit den Antworten womöglich anfangen wollte.
‚Kein Wunder – du bist ja grundsätzlich nicht zur Konversation mit dem Mann fähig‘, warf das Arschloch in Eriks Kopf prompt ein. Er presste die Lippen aufeinander und starrte stur auf den eigenen Kuchen. Missmutig stocherte er weiter darin herum. Der Appetit war ihm vergangen.
Die Zeit, die sie im Café saßen, schien sich wie Kaugummi in die Länge zu ziehen. Unter anderen Umständen hätte Erik es ‚grausam‘ genannt. Dabei wäre es ein Leichtes aufzustehen, zu bezahlen und zu verschwinden. Bergers blöde Regeln hin oder her. Aber der Gedanke, ebendiesen hier alleine zu lassen – noch dazu mit Hanna – war unerträglich.
Also quälte Erik sich weiter.
„Wir sollten uns allmählich auf den Rückweg machen“, meinte Berger glücklicherweise irgendwann, nachdem er sich das letzte Stück seines eigenen Kuchens in den Mund geschoben hatte.
„Es ist gerade einmal kurz nach fünf“, warf Hanna vorsichtig ein, nur um einen genervten Blick Alinas dafür zu ernten.
Diesmal konnte Erik sich nicht stoppen, bevor die Worte aus ihm heraus waren: „Niemand zwingt dich, mitzukommen.“
Hanna kam nicht dazu zu antworten, da fuhr Berger bereits vorsorglich dazwischen, indem er den Arm hob und dem Kellner wortlos winkte. Der kam prompt und plapperte munter und gut gelaunt vor sich hin – wovon Erik natürlich kein Stück verstand. Als Alina und Hanna ihr Geld aus den Handtaschen holten, war klar, worum es ging. Hastig zog er den Rucksack vom Boden hoch und kramte ebenfalls nach Geld.
Berger zahlte zuerst, anschließend Hanna und Alina. Als der Kellner Erik eine Summe nannte, konnte er den zwar nicht verstehen, aber das war auch nicht nötig. Er zog zwei Scheine heraus und reichte sie dem Kellner. Als der ansetzte Wechselgeld herauszuholen, hob er die Hand. Der Mann stockte kurz, lächelte zögerlich und wandte sich schlussendlich anderen Gästen zu.
„Entschuldigen Sie mich“, sagte Berger, ehe Erik weiter über den Kellner nachdenken konnte. Kurz darauf war er in Richtung der Toiletten verschwunden. Für einen Moment sah Erik ihm schweigend nach. So viel dazu, dass er den Mann von sich überzeugen wollte. Bisher hatte er heute maximal als menschliche Pufferzone zwischen Berger und Hanna herhalten können.
‚Immerhin etwas‘, versuchte Erik sich zu sagen, aber es machte die Enttäuschung nicht geringer.
Störfaktor Nummer eins half da auch nicht, Eriks Unsicherheit in den Griff zu bekommen. Jedes Mal, wenn er versuchte, Hanna dafür zu hassen, dass sie Berger hinterher schlich, wurde Erik daran erinnert, dass er im Grunde genau das Gleiche tat.
Er sah zu Hanna. Deren Blick lag eindeutig dort, wohin Berger gerade verschwunden war. So weit würde nicht mal die gehen. Oder? Nein, ganz bestimmt nicht. Trotzdem musste Erik die Zähne zusammenbeißen, um nichts zu sagen.
Dabei war Hanna ja offenbar klar, dass Erik das gleiche Interesse an Berger hatte, wie sie. Selbst Sophie hatte so etwas angedeutet. Nachdem er das letzte Schuljahr mit Sandros Sprüchen überlebt hatte, konnte es Erik eigentlich egal sein, was irgendjemand aus dem Sauhaufen von ihm hielt. War es auch.
Aber Berger könnten irgendwelche beschissenen Gerüchte vermutlich ernsthafte Probleme machen. Und Hanna war es am Ende womöglich egal, ob sie mit unüberlegten Sprüchen nicht nur Erik, sondern auch ihren Lehrer in Schwierigkeiten brachte. Deshalb würde er Hanna garantiert keine Gelegenheit mehr geben, mit Berger allein zu sein oder dem auf die Pelle zu rücken.
Alina stand als Erste auf und Erik folgte ihr. Hanna schien einen Moment zu zögern, kam aber ebenfalls mit raus. Zu dritt warteten sie schweigend vor dem Café auf Berger.
‚Das hier läuft nicht mal ansatzweise wie geplant‘, sagte Erik sich und konnte einen finsteren Blick in Richtung Hanna nicht verhindern. Die Wut schwelte weiter in seinem Inneren.
Schließlich musste er sich aber eingestehen, dass er für den heutigen Tag nicht wirklich einen Plan hatte vorweisen können. Jedenfalls keinen, der darüber hinausging, dass er Berger nicht aus den Augen lassen würde. Wenn man danach ging, hatte er da bisher keine so schlechte Arbeit geleistet. Ein leichtes Lächeln schaffte es auf Eriks Lippen, als er daran dachte, dass der Tag schließlich noch lange nicht vorbei war. Außerdem würde er in Kürze weitere drei bis vier Stunden neben Berger verbringen, während Hanna im hinteren Teil des Busses versauern konnte.
„Erstaunlich, dass du ihm nicht aufs Klo nachrennst“, zischte es mit einem Mal von rechts. „Vielleicht die letzte Gelegenheit, bei der du ihm auch noch was abstarren kannst.“
„Hanna!“
„Lass nur.“ Erik hob die Hand in Alinas Richtung.
Merkwürdigerweise brachten Hannas Worte die Wut in ihm nicht zum Überkochen. Im Gegenteil, sie schien sogar abzuflachen. Wenn die Frau meinte, dass sie es nötig hätte, verbal auf Erik einzuschlagen, weil sie allmählich kapierte, dass seine Chancen besser waren als ihre.
„Aber ...“, setzte Alina erneut an. Wiederum schüttelte Erik den Kopf.
„Du machst dich lächerlich“, gab er in Hannas Richtung zurück. „Berger hat dir eine Abfuhr erteilt. Und selbst wenn nicht, kann jeder Idiot sehen, dass er kein Interesse an dir hat.“
Alinas Keuchen ignorierte Erik genauso wie Hannas erbosten Blick. Immer mehr verschwand die Wut und macht einer geradezu zufriedenen Gelassenheit Platz. Die Worte waren wie von allein gekommen, aber erst nachdem Erik sie selbst hörte, wurde ihm klar, was das hieß. Berger hatte kein Interesse an Hanna und das hatte er ihr deutlich gesagt.
Erik hingegen war nicht abgeblitzt. Berger hielt ihn zwar am langen Arm, aber der Dickschädel ließ ihn bisher nicht endgültig los. Der Gedanke verstärkte das Hämmern in Eriks Brust. Jeder Schlag fühlte sich an, als würde er durch seinen ganzen Körper vibrieren. Wenn Hanna sich mit ihm anlegen wollte, sollte sie es doch versuchen. Erik würde nicht vor ihr weglaufen.
„Was weißt du schon“, zischte Hanna und ihr Blick sprach Bände.
Wäre das Sprichwort wahr, Erik hätte wohl in diesem Moment sein Leben ausgehaucht. So schob er lediglich zufrieden die Hände in die Hosentaschen und grinste. Bei Sandro hatte Erik oft genug die Beherrschung verloren, um ganz genau zu wissen, wohin so etwas führte – in die nächste Sackgasse. Hanna war gerade dabei, sich ins Abseits zu schießen. Alles, was fehlte, war, dass Berger in genau diesem Augenblick auftauchte und sie sich vor dem lächerlich machte.
Leider tat der Erik nicht den Gefallen. Also musste er selbst antworten. Weiterhin grinsend sah er Hanna herausfordernd an: „Ich schätze, für weitere Elterngespräche ist die Zeit abgelaufen. Die Bullen reden dann direkt mit dir.“
Ein überraschtes Keuchen kam aus Alinas Richtung – gefolgt von der vorsichtigen Frage: „Hanna?“
Diese lachte – und versuchte zu grinsen, aber es sah mehr aus wie eine verzerrte Fratze, die es nicht schaffte die Angst zu überdecken. Oh ja, zur Abwechslung konnte Erik sich hervorragend vorstellen, was gerade in Hanna vorgehen musste.
„Lächerlich!“, presste sie heraus und verschränkte, vermutlich um Gelassenheit bemüht, die Arme vor der Brust. „Was weißt du schon. Natürlich kann er öffentlich jetzt nichts zugeben. Schließlich ist er offiziell immer noch unser Lehrer.“
Das Hämmern in Eriks Brust beschleunigte sich nun doch allmählich. So verflucht nah an dem Gedanken, den er selbst so oft gehabt hatte.
‚Du bist nicht wie sie!‘
Eriks Magen zog sich trotzdem zusammen. Berger hatte ihn nicht von sich gestoßen. Wenn der verdammte Sturkopf ihn wirklich ablehnen würde, hätte er ihm letzte Nacht eine klare Abfuhr erteilt. Richtig? Er hatte auf Bergers Schoß gesessen, verdammt noch einmal! Und der hatte das einfach mitgemacht – sich nicht gewehrt, ihn nicht angeschrien, runtergeschubst oder direkt kastriert.
‚Die blöde Kuh hat er heute auch nicht einfach weggeschickt.‘
„Bilde dir nichts drauf ein, dass er Zeit mit dir verbringt“, fuhr Hanna, nun wieder sichtlich gefasster, fort. „Herr Berger gibt sich nur aus einem Grund mit dir ab: Mitleid.“ Eriks Kiefer verspannte sich im gleichen Maße, wie Hannas Grinsen breiter wurde. „Irgendjemand muss sich ja um den Versager kümmern, mit dem sich keiner sonst abgeben will.“
„Hanna, das geht zu w...“, setzte Alina an, doch im Augenblick ignorierten sowohl Erik als auch Hanna sie.
„Zumindest bin ich kein irrer Stalker.“
Der Satz war ausgesprochen, bevor Erik bewusst wurde, dass er ihn überhaupt gedacht hatte. Das hier lief gerade gewaltig aus dem Ruder und er war dabei, Öl ins Feuer zu kippen. Aber selbst wenn Erik es gewollt hätte, konnte er die Worte jetzt nicht mehr zurücknehmen. Und im Grunde wollte er das ohnehin nicht. Hanna war wie ein Zerrspiegel seiner selbst. Nur dass sie die Grenze überschritten hatte, die Erik die kalte Panik über den Rücken laufen ließ.
‚Du bist nicht wie sie!‘
Nein, das war er nicht. Aber so sehr Erik Hanna in diesem Moment hassen wollte, er konnte es nicht. Alles, was sie voneinander unterschied, war dieser beschissene Anstand, der ihn davor bewahrt hatte, in die Dunkelheit abzudriften – die Stimme, die verhindert hatte, dass er genauso verblendet einer Illusion nachrannte. Eine Stimme, die verflucht nach der ihres Deutschlehrers klang.
„Du bist genau wie Werther“, sagte Erik ruhig. Sein kühler Blick lag auf Hanna, während das Hämmern in seiner Brust sich allmählich normalisierte. „Du solltest aufhören, einer beschissenen Illusion nachzurennen, bevor du dich darin verlierst. Lotte wollte auch einen anderen.“
Ein lauter Klatsch und Eriks Wange brannte. Er war zu überrascht, um zu reagieren. Selbst wenn nicht, hätte er es nicht geschafft, die eigene Hand gegen sie zu heben. Hassen konnte Erik Hanna womöglich nicht, aber die stetig stärker werdende Verachtung bereitete ihm Übelkeit genug. Eine Frau zu schlagen stand dennoch außer Frage.
„Das wirst du bereuen“, zischte Hanna. Bevor Erik antworten konnte, drehte sie auf dem Absatz um und stürmte den Weg entlang, den sie nach Bergers vorherigen Erklärungen in Richtung Bus nehmen mussten. Mit etwas Glück hatte die Frau endlich kapiert, dass es Zeit war aufzugeben.
Alinas Stimme zitterte, als sie auf ihn zutrat: „Was soll das heißen?“
Erik drehte den Kopf und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Frag sie selbst“, knurrte er angepisst zurück. Alina sah unsicher in die Richtung, in die Hanna verschwunden war. „Und wenn du schon dabei bist“, fuhr Erik fort, „sag ihr, dass ich mir von jemandem wie ihr nicht drohen lasse.“
„Was zum Geier ... ist los mit euch beiden?“, fragte Alina und trat erschrocken einen Schritt zurück. Ihre Augen waren geweitet, als sie ihn anstarrte.
Eine gute Frage – vor allem eine, auf die Erik spontan keine Antwort hätte geben können. Aber er kam auch nicht dazu, denn Alina stürzte derweil Hanna hinterher. Schweigend und mit versteinerter Miene folgte Eriks Blick ihr. Irgendwie erwartete er noch immer, dass er Wut und Hass empfinden müsste. Hanna hatte sich in dieser beschissenen Illusion verfangen, war Berger nachgerannt bis zu einem Punkt, wo es krankhaft erschien. Aber irgendwie kam Erik nicht umhin, sich zu fragen, ob er nicht genauso hätte enden können. Nachdenklich rieb er sich über die schmerzende Wange.
‚Nein‘, widersprach etwas in ihm. Trotzdem war sich Erik nicht sicher, ob er dieser Stimme trauen konnte. Während dieses Schuljahres erschien die Dunkelheit oft zu verlockend.
Eriks Inneres fühlte sich eher an wie ein Schlachtfeld – zerfetzte Eingeweide, Schmerz und das Gefühl, als würde jemand dieses dämliche Loch in seiner Brust nur noch mehr vergrößern wollen.
„So sind Sie nicht.“
Erik schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Berger hatte so oft recht behalten mit seinen dämlichen Sprüchen. Hoffentlich auch mit diesem.