50 – Nerviges Frühstück
Nachdem er sich etwas zum Essen geholt hatte, setzte Erik sich auf den gleichen Platz wie bereits die Tage zuvor. Da auch Berger sich an die übliche Sitzverteilung hielt konnte er den also weiterhin beobachten. Für einen Moment fragte Erik sich, ob Berger das mit Absicht machte. Der Gedanke entlockte ihm ein vorsichtiges Lächeln, denn wenn dem so wäre, würde das heißen, der Mann fand durchaus Gefallen dran, dass Erik ihn beobachtete.
‚Hat er garantiert schon länger. Du willst es ja nur nicht einsehen!‘
Der Gedanke war merkwürdig. Erik biss sich auf die Lippe und sah auf den eigenen Teller. Waren seine Blicke im Unterricht aufgefallen? In den letzten Tagen hatte Erik immer wieder das Gefühl gehabt, als würde er beobachtet werden. Hatte Berger das gleiche Kribbeln im Unterricht gespürt? Tagtäglich? Zumal es vermutlich nicht nur Eriks Blicke gewesen waren, die sich in ihren Lehrer gebohrt hatten.
Zögerlich sah Erik auf und versuchte, im Profil von Berger irgendeine Regung zu erkennen. Aber da war nur das gleiche Pokerface wie immer.
„Guten Morgen, Erik“, flötete es mit einem Mal neben ihm.
Zu fröhlich, zu laut und definitiv zu schrill. Bevor er etwas sagen konnte, saß da eine zu allem Überfluss auch viel zu gut gelaunte Sophie Erik gegenüber. Und damit verflucht noch einmal mitten in seiner Sichtlinie zu Berger. Wenn die schon hier sitzen musste, dann gefälligst nicht ausgerechnet dort!
„Na los, jetzt setz dich endlich hin“, meinte Sophie in Eriks Richtung.
„Hä?“ Was sollte das denn? Er saß doch längst. Und wo er schon mal dabei war, wäre es das Beste, wenn er ihr klipp und klar sagte, dass sie sich verkrümeln konnte, um die Sichtlinie wieder freizugeben.
„Vielleicht sollten wir lieber ...“, murmelte eine nur zu bekannte Stimme in dem Moment hinter Erik und ließ ihn innehalten. Gleichzeitig begann die eine lange verdrängte Wut in Erik hochzukochen, was zu einem reichlich unschönen Ausbruch führen könnte.
Sophies Blick war ernst, während sie antwortete: „Jetzt stell dich nicht so an!“
Es war nicht nur Erik, der darauf genervt stöhnte. Wenigstens das hatten sie offenbar noch gemeinsam. Den giftigen Blick zu seiner Rechten konnte Erik sich aber nicht verkneifen, nachdem sich Mirek dort niedergelassen hatte. Schlimm genug, dass Sophie plötzlich der Meinung war, Erik permanent Gesellschaft leisten zu müssen. Aber dass sie dabei jetzt auch noch den da anschleppte, ging zu weit.
Schon war Erik versucht, seine Sachen zusammenzuräumen und zu verschwinden. Dummerweise hatte er noch nicht einen Schluck Kaffee getrunken – vom Essen ganz abgesehen. Und da er am Vorabend das Abendessen hatte ausfallen lassen, wollte Erik hier sicher nicht hungrig wieder weggehen.
‚Niemand behauptet, dass du in der Zeit mit denen sprechen musst‘, sagte Erik sich selbst und konzentrierte sich wieder auf das Frühstück.
Die Annahme, dass er hier mit Schweigen davonkommen würde, stellte sich aber recht bald als falsch heraus.
„Wie geht es deinem Bein?“, fragte Sophie beiläufig, während sie sich aus der Thermoskanne, die Erik mit zum Tisch gebracht hatte, Kaffee einschenkte.
Er verzichtete auf eine Antwort und zuckte lediglich mit den Schultern. Vielleicht würde das reichen, um ihr klarzumachen, dass er im Augenblick kein Gespräch führen wollte. Der starre Blick, der daraufhin auf Erik ruhte, wurde allerdings mit jeder weiteren Minute unangenehmer.
„Besser“, murrte er schließlich zwischen zwei Bissen.
Endlich senkte Sophie damit ihren Blick und fing ihr eignes Frühstück an. Mirek hatte den Anstand, die Klappe zu halten. Allerdings war das ja zwischen Erik und ihm seit dem letzten Sommer zu einem Dauerzustand geworden. Irgendwie hatten sie sich wohl beide dran gewöhnt. Wobei weder Mirek noch Erik selbst jemals zur redseligen Sorte Mensch gehört hatten. Insofern fühlte sich das Nichtbeachten nach all den Monaten wie Normalität an. Eine, der Erik selbst nicht abgeneigt war.
Insbesondere jetzt wäre er gerade ausgesprochen froh, wenn weder Sophie noch Mirek ihn weiter beachten und sich stattdessen zum Rest des Kurses gesellen würden. Womöglich hätte Erik so endlich wieder freie Sicht auf das, was er deutlich interessanter fand.
‚Warum muss die sich ausgerechnet dorthin setzen?‘
Als Erik mal wieder wie automatisch aufblickte, nur um erneut nicht zu Berger sehen zu können, fiel ihm mit einem Mal der genervte Seitenblick Sophies auf. Die schielte damit zwar zu ihrem schweigenden Begleiter. Ihre Augen schienen aber immer wieder zu Erik zu wandern. So als wollte sie dem Blödmann Mirek sagen, dass der sich endlich an dem nicht vorhandenen Tischgespräch beteiligen sollte.
„Könntet ihr damit aufhören?“, blaffte Erik die beiden schließlich zischend an. Wenigstens schaffte er es, dass seine Stimme nicht ganz so laut klang. Trotzdem sah er automatisch nach links und rechts, ob jemand seinen Ausbruch bemerkt hatte. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Oder es interessierte zumindest keinen.
‚Wahrscheinlich Letzteres‘, sagte Erik sich selbst und sah wieder auf sein Essen. ‚Wäre besser, wenn es Sophie ebenfalls nicht interessieren würde.‘
Tat es aber offensichtlich. Die schnaubte nämlich recht deutlich und griff nun selbst zum Brotkorb, um sich etwas zum Frühstück zu machen. Da Sophie weiterhin in Eriks Blicklinie saß, konnte ihm gar nicht entgehen, wie angespannt die dabei am Tisch saß. Das Baguette wurde nicht geschnitten, sondern massakriert, die Butter nicht gestrichen, sondern aufs Brot geschlagen und wenn Sophies Hand nicht jedes Mal kurz vor dem Tisch gestoppt hätte, wäre die Kaffeetasse vermutlich darauf zerschellt beim Abstellen.
Nervös schielte Erik nach rechts zu Mirek. Der sah ungefähr so aus, wie er selbst sich fühlte: reichlich unsicher und mit zunehmend wachsender Angst davor, was Sophie bei dem Frühstücksmassaker durch den Kopf gehen mochte.
‚Und wer von euch beiden das erste menschliche Opfer sein wird.‘
Um dieser Farce möglichst schnell zu entgehen, stopfte Erik sich das Frühstück hinein und versuchte es mit dem Kaffee herunterzuspülen. Unnötig zu erwähnen, dass er dabei nicht nur fast erstickte, sondern sich natürlich auch noch die Zunge verbrannte.
‚Und kein Herr Berger hier, der da mal drauf pustet, damit es besser wird.‘
Erik grinste in sich hinein. Nicht, dass er wirklich darauf hoffen würde, dass so etwas passierte. Zumindest nicht heute. Für alles Weitere hatte er ja bekanntermaßen die eine oder andere hormonindizierte Fantasie an der Hand. Als er noch ein kleines Kind war, hatte seine Mutter ihm die ‚Auas‘ auch immer weggeküsst. Da würde er bei Herrn Berger im Augenblick sicherlich nicht ‚Nein‘ sagen.
Wieder versuchte Erik um Sophie herum zu sehen, was Berger eigentlich trieb – und ob er zur Abwechslung tatsächlich etwas aß. Diesmal konnte er einen kurzen Blick auf den Lehrertisch erhaschen. Allerdings musste er daraufhin feststellen, dass Berger verschwunden war.
Einen Moment überlegte Erik, ob er noch etwas vom Frühstück für die Fahrt einpacken sollte, aber er hatte keine Lust, schon wieder den ganzen Tag von Broten zu leben. Wofür hatte er sich bei Alex krumm gearbeitet, wenn er nicht wenigstens irgendwann mal etwas von dem Geld auf dieser Fahrt ausgeben würde?
Entschlossen schnappte Erik sich sein Frühstücksgeschirr und stand auf. Schon sah er, wie Sophie dazu ansetzte, etwas zu sagen, da murmelte er nur grummelnd: „Man sieht sich später am Bus.“
„Jo“, grunzte Mirek – was einer Antwort verflucht nahekam. Scheinbar schien Sophie das nicht so zu sehen, denn kurz darauf jaulte der Idiot gequält auf.
„Jetzt redet doch wenigstens mal ...“, setzte die Frau schon wieder an.
Obwohl er sich selbst natürlich nicht sehen konnte, hoffte Erik, dass der Blick genauso wütend und die Stimme so kalt sein würde, wie er es sich in seiner Fantasie vorstellte: „Ich hab kein Problem damit, wenn du am Strand neben mir abhängen willst, Sophie. Aber den da brauchst du nicht anschleppen. Und den Kindergarten von wegen ‚gebt euch die Hände und habt euch wieder lieb‘ kannst du dir auch sparen!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Erik davon, stellte das Geschirr weg und lief zurück in Richtung Hütte. Das unangenehme Grummeln in seinem Bauch hatte er unterdrückt, bis er die Hecke erreichte. Als Erik nur noch wenige Meter vor der Hütte war, atmete er einmal durch, um den Kopf endgültig freizubekommen.
Berger war nicht zu sehen, aber etwas anderes hatte Erik auch nicht erwartet. Trotzdem hoffte er, dass der Kerl zumindest irgendwo in der Hütte war. Andernfalls müsst Erik mal wieder reichlich blöd vor der Tür warten. Noch während er zur Treppe hinüberlief, wanderte sein Blick kurz zu den Handwerkern hinüber. Die beachteten ihn jedoch nicht, sondern gingen konzentriert ihrer Arbeit nach.
Unsicher darüber, ob er sich hier gleich zum Affen machte, weil die Tür verschlossen war, drückte er auf die Klinke. Scheinbar war Berger tatsächlich schon hier, denn kurz darauf stand Erik im Flur.
‚Wenigstens etwas.‘
Aus dem Zimmer zur Rechten waren Geräusche zu hören. Erik trat näher heran. Vorsichtig beugte er sch nach vorn. Da war Bergers leise Stimme auszumachen. Die Worte waren allerdings nicht zu verstehen. Dafür hätte Erik vermutlich das Ohr ans Türblatt legen müssen. Ganz so offensichtlich wollte er aber nicht lauschen.
Also wandte Erik sich in die andere Richtung und verschwand zunächst im eigenen Zimmer. Viel würde er für den heutigen Ausflug nicht benötigen, aber da die Wettervorhersage so ungewiss gewesen war, wollte er neben etwas zu trinken auch noch eine der neu gekauften Flaschen mit Wasser mitnehmen.
„Geld wird es brauchen“, murmelte Erik und warf sein Portemonnaie ebenfalls in den Rucksack. „Was noch?“
Etwas ratlos ließ er den Blick durch den Raum gleiten, aber spontan fiel ihm nichts ein. Erneut prüfte er auf dem Handy das Wetter, die Vorhersage blieb nach wie vor vage, bei fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit auf Regen. Allerdings fiel ihm bei der Gelegenheit auf, dass der Akku fast alle war, also kramte Erik das Ladekabel hervor, um es aufzuladen. Bis zur Abfahrt zehn Uhr war heute schließlich ausreichend Zeit.
Eine Viertelstunde später waren draußen vor seiner Zimmertür Geräusche zu hören – und Erik ziemlich sicher, dass Berger eben rausgegangen war. „Und jetzt?“, fragte er sich, unsicher, ob er folgen sollte.
Wie Erik bereits festgestellt hatte, war bis zur Abfahrt noch Zeit. Auf keinen Fall wollte er die damit verbringen, dämlich auf dem Parkplatz neben dem Bus zu warten. Andererseits hatte er Berger gestern Abend ja förmlich gedroht, dem heute nicht von der Seite zu weichen. Selbst wenn es nur wäre, um dem Mann zu beweisen, dass er zu seinem Wort stand, würde Erik genau das heute versuchen.
‚Mal davon abgesehen, dass du ihm Hanna so vielleicht vom Leib hältst.‘
Okay, das war vermutlich ein deutlich entscheidenderer Grund. Das würde Erik allerdings sicherlich nicht laut sagen. Über das belauschte Gespräch zwischen Berger und Hanna wollte er lieber nicht nachdenken.
„Scheiß drauf“, murmelte Erik und schnappte sich seine Sachen.
Berger war bestimmt nicht zum Bus gegangen. Der hatte garantiert genauso wenig Lust darauf, dort blöd rumzustehen, wie Erik. Außerdem hätte der Kerl ihm sicherlich durch die Tür zugebrüllt, er solle gefälligst die Hütte abschließen, falls er sich wirklich vom Acker gemacht hatte.
Entsprechend wenig überraschend war es für Erik, dass er Berger in der Tat auf der Veranda sitzend vorfand. Nicht auf der Treppe, wie am Vorabend, sondern wieder, deutlich gesitteter, auf dem Stuhl, den Berger nach ihrer Ankunft dort hingestellt hatte. Und natürlich war da eine Kippe zwischen den Lippen. Weil er inzwischen mehr und mehr den Eindruck hatte, dass Berger weniger aus Gewohnheit, denn aus Frust rauchte, verkniff Erik sich das Grinsen und trat seinerseits aus der Hütte heraus.
Der Rucksack landete neben dem Geländer, während Erik sich mit dem Po daran lehnte und zu Berger sah. „Schlecht gelaunt?“, fragte er – weiterhin darum bemüht, sich das Grinsen zu verkneifen.
„Bisher nicht“, gab Berger murrend zurück – und strafte sich damit selbst Lügen. „Aber der Tag ist ja noch jung.“
Jetzt musste Erik doch lachen. Wenn er genauer darüber nachdachte, war bisher in der Tat jeden Tag etwas passiert. Meistens ihm selbst. Aber Berger war ja stets zur Rettung geeilt.
‚Genau wie gestern.‘
Prompt verging Erik das Lachen. Mit einer Wucht, die einem Faustschlag in den Magen gleich kam, war da wieder die Erinnerung an den Absturz während ihrer Wanderung. Weniger der Sturz an sich – nicht einmal die Tatsache, dass er ihn verursacht hatte. Nein, was Erik bei der Erinnerung in den Magen schnitt, war der Part, in dem er vor Schreck zu erstarrt gewesen war, um zu reagieren.
Der Drang danach, diesen sturen Esel beschützen zu wollen, schien heute noch stärker zu sein als am Vortag. Wo kam das auf einmal her? Bisher hatte Erik sich doch auch nicht so aufgeführt. Ja, Berger war ihm nicht mehr egal – im Gegenteil. Den Versuch, sich das weiterhin einzureden, hatte Erik inzwischen aufgegeben. Trotzdem war Berger immer noch ein Mann, und wie der Kerl schön betont hatte, kein hilfloses Prinzesschen.
‚So jemand würdest du eh nicht wollen.‘
Nein, wollte Erik nicht. Aber was genau das war, was er da für Berger zu empfinden glaubte, wusste er deshalb trotzdem nicht. In jedem Fall war es zu viel, um es zu ignorieren und aufzugeben. Zumindest bis Erik Berger besser kannte und wusste, was zum Henker er mit diesem ganzen Gefühlsmist anfangen sollte.
Erneut sah Eriks zur anderen Seite der Veranda, wo Berger weiterhin auf dem Stuhl saß und rauchte. Der starre Blick war stur geradeaus gerichtet – ganz sicher nicht zu zurück zu Erik.
„Ein dämlicher Stadtbummel. So was kann auch nur den Frauen einfallen“, murrte ebendieser mit einem gequälten Lächeln. „Was soll da schon schiefgehen?“
Berger drehte den Kopf zur Seite und grinste schelmisch zurück. Die Wucht, mit der Erik dabei das Blut zwischen die Beine sackte, hätte ihn beinahe selbst von den Füßen gefegt. Warum musste der Mann eigentlich, sogar wenn er fies war, dermaßen gut aussehen? Das war so verflucht unfair!
„Beim letzten Stadtbummel haben Sie es geschafft, sich von zwei idiotischen Taschendieben verprügeln zu lassen.“
Irgendwie war ja klar gewesen, dass auf seine Bemerkung hin ein dummer Spruch kommen musste. Trotzdem schaffte Erik es nicht, dabei so cool und gelassen zu bleiben, wie er es gern gewesen wäre. Missmutig wandte er den Blick von Berger ab und starrte stattdessen zur Hütte. In der Brust hämmerte das dumme Herz gegen die Rippen. Nicht wirklich schnell und dennoch viel zu heftig.
„Hat mir immerhin mal eine andere Seite an Ihnen gezeigt“, gab Erik irgendwann grummelnd zurück. „Wer hätte gedacht, dass Sie so gut austeilen können?“
Irgendetwas klang merkwürdig an diesem Satz, aber Erik konnte nicht so recht greifen, was das war. Dabei war Erik es doch selbst gewesen, der die Worte ausgesprochen hatte. Irritiert runzelte er die Stirn. Da war ein Gefühl von Déjà-vu – fast so, als hätte er genau das gleiche Berger schon einmal gesagt. Etwas verwundert sah Erik zu dem hinüber. Das Lächeln war verschwunden, stattdessen war der Ausdruck unlesbar geworden.
„Für manche gehört das zum Überleben dazu.“
Jetzt schlug Eriks Herz mit einem Mal doch schneller. Wo kam der verdammte Satz her? Und wenn Berger den gesagt hatte, was sollte das heißen? Dass der Kerl sich früher um sein Leben hatte prügeln müssen?
Wie automatisch zuckte Eriks Blick zu Bergers rechter Hand. Am Morgen hatte er die verbunden, aber gestern Abend hatte der Kerl das alleine erledigt – vermutlich. Auch am Nachmittag hatte Berger so geklungen, als ob er Erfahrung damit hätte, sich selbst zu verarzten. Woher auch immer Eriks krankes Hirn glaubte, diese Worte von Berger gehört zu haben, diesmal äußerte der sie nicht.
„Vielleicht sollten Sie versuchen, sich heute nicht zu sehr ablenken zu lassen“, sagte Berger irgendwann und sah nun seinerseits wieder hinaus auf den Platz.
„Warum?“, schoss Erik prompt zurück. Zunächst kam keine Antwort, dann drehte Berger aber zumindest den Kopf zu ihm und sah ihn wieder an. Ein Lächeln schob sich auf Eriks Lippen. „Ich darf mich doch eh nicht weiter als zehn Meter von Ihnen entfernen.“
„Ich kann Sie nicht ständig vor Schwierigkeiten retten.“
Erik zuckte mit den Schultern. Plötzlich drängte sich ein verhaltenes Lachen heraus, als ihm ein ganz anderer Gedanke kam: „Vielleicht rette ich ja zur Abwechslung mal Sie.“
Berger erhob sich. Das Lächeln, das sich dabei auf dessen Lippen schob, sah irgendwie bedauernd aus – und zog damit prompt unangenehm an Eriks Eingeweiden: „Mir wäre es lieber, Sie würden das nicht tun.“
„In Schwierigkeiten geraten?“
Das Lachen klang zwar nicht sonderlich belustigt, allerdings ehrlich. „Das auch, aber ... Nein“, murmelte Berger, während er sich abwandte, um in die Hütte zurückzukehren. „Mich retten.“
Verwundert stieß Erik sich von dem Geländer ab, bereit Berger aufzuhalten, um eine Antwort zu bekommen. Der war jedoch schon durch die Tür und damit kurz davor, diesem Gespräch zu entfliehen.
„Warum nicht?“, rief Erik ihm nach.
Berger stockte, schien einen Moment zu überlegen und sah schließlich über die Schulter hinweg zu ihm zurück. Anhaltendes Schweigen. Je länger es andauerte, desto unsicherer wurde Erik. Warum zum Geier jetzt auf einmal schon wieder die Ausweichtaktik?
„Wenn Sie etwas riskieren, sollten Sie sicher sein, dass der potenzielle Gewinn dieses Risiko wert ist“, gab Berger zögerlich zurück. Ohne auf eine weitere Antwort zu warten, drehte er sich herum und verschwand in seinem Zimmer.
Wie erstarrt stand Erik kurz vor der Eingangstür der Hütte und starrte auf den leeren Flur. Als sein Blick zur gegenüberliegenden Wand wanderte, konnte er wieder diese beschissene Fantasie sehen, die ihn gestern schon den ganzen Tag verfolgt hatte. Berger, wie er an diese Wand gepresst stand, der drahtige und feste Körper, der sich gegen seinen eigenen drückte. Nicht, um Erik fortzustoßen, sondern schlichtweg, weil er nirgendwo anders hinkonnte.
‚Und nicht will.‘
Vielleicht müsste diese Illusion sich falscher anfühlen. Aber auch wenn sie auf den ersten Blick lieblos, brutal und aus reinem Verlangen zu bestehen schien – das war sie nicht. Es fühlte sich nicht falsch an, sondern so verflucht richtig. Auch wenn es am Ende tatsächlich nur eine weitere verdammte Fantasie war. Selbst in der konnte Erik das Verlangen in dem Körper vor ihm spüren.
‚Berger will es. Er braucht es. Er gibt es nur nicht zu.‘
Und wenn der verfluchte Quälgeist sich irrte? Dann wäre Erik am Ende genauso ein Arschloch wie sein Vater. Ein brutaler Mistkerl, der zwar niemanden umbringen wollte, aber letztlich trotzdem jemandem Gewalt antat. Schlimmer. Zusätzlich wäre er auch noch so verblendet wie Hanna, die einem Mann hinterherrannte, der sie offenbar bereits abgelehnt hatte.
„Es ist kein Irrtum“, wisperte Erik heiser. „Und auch keine Illusion.“ Er sah zur Tür, die in Bergers Zimmer führte. ‚Und er ist das Risiko bestimmt wert.‘