56 – Anhaltende Abwesenheit
„Sind die Damen auf Toilette?“
„Nein. Weg.“
In dem Moment, in dem Erik sich zurück in Richtung Café wandte, schloss sich dessen Eingangstür gerade hinter Berger. Der sah etwas verwundert nach links und rechts, danach mit einem Stirnrunzeln zurück zu Erik. Glaubte der Kerl ihm nicht oder wollte er nur nicht mit ihm alleine sein?
‚Weder noch‘, widersprach Erik sich sofort selbst.
Die verfluchten Falten auf Bergers gerunzelter Stirn gefielen ihm trotzdem nicht. Prompt wollte er drüberwischen, um sie zu glätten. Tatsächlich war Eriks Arm bereits auf halbem Weg, als er sich selbst gerade noch stoppen konnte.
„Weg?“, hakte Berger mit leichter Verwunderung in der Stimme nach.
„Weg.“
„Muss ich mir wegen Ihrer roten Wange Gedanken machen?“
Schweigend schüttelte Erik den Kopf. Die verdammten Zweifel blieben jedoch in Bergers hübschem Gesicht sichtbar. Warum machte der Mann sich eigentlich ständig Gedanken um Leute, von denen er sich offensichtlich eher fernhalten sollte?
Hanna hatte ihn verfolgt und was Erik selbst in seinen Aufsätzen Berger vor den Kopf geknallt hatte, war auch nicht sonderlich ‚angemessen‘ gewesen. Trotzdem hatte Berger versucht, Erik zu helfen. Er hatte sich Hanna gegenüber normal verhalten, hatte sie am Montag auf der Weinverkostung nicht vor allen bloßgestellt, sondern ihr beschissenes Benehmen ertragen.
‚Zu nett. Viel zu nett.‘
Eine Einladung für die Fantasien, die das Arschloch in Eriks Kopf ihm das ganze Jahr über vor Augen geführt hatte. Der Gedanke dran, was passiert wäre, wenn Erik diesen Hirngespinsten freien Lauf gelassen hätte, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Es war alles verdammt unvorsichtig von Berger.
„Sie sollten froh sein, dass sie weg ist“, gab Erik wütend zurück. „Oder stehen Sie am Ende doch auf den Fanklub?“
Bergers Kopf fuhr herum. Anstatt eines erbosten Blickes oder einer harschen Zurechtweisung war da ein geradezu hinterhältiges Grinsen, während er antwortete: „Jetzt bin ich enttäuscht.“ Dann drehte Berger sich um und stapfte in die gleiche Richtung davon, in die Hanna und Alina verschwunden waren.
Für eine Sekunde war Eriks Kopf vollkommen leer. Unfähig zu verstehen, was das heißen sollte, starrte er Berger hinterher. Schließlich wurde Erik allerdings klar, dass hier herumzustehen ihm weder erklären, was das heißen sollte, noch sonst irgendwie weiterhelfen würde. Deshalb stürzte er Berger hinterher. Eine Enttäuschung wollte er ganz sicher nicht sein.
„Enttäuscht wovon?“, fragte Erik hastig, kaum dass er Berger eingeholt hatte.
Der drehte grinsend den Kopf und deutete mit dem Finger auf Erik. „Dass Sie sich offenbar selbst nicht wie angenommen zu meinen Fans zählen.“
Für einen Moment konnte Erik Berger nur verwundert anstarren, während er selbst schon wieder wie angewurzelt stehen blieb. Je weiter Berger sich entfernte, desto heftiger schlug Eriks Herz in seiner Brust.
‚Das war jetzt nicht wirklich eine ... Reaktion ... auf ...‘
Zunächst war es ein Lächeln, das sich auf Eriks Lippen schlich, es verwandelte sich aber recht schnell in ein Grinsen. Nach dem Ärger mit Hanna schien es jetzt doch noch ein guter Tag zu werden. Hastig rannte er Berger hinterher und hatte ihn ein paar Meter weiter eingeholt.
„Sie würden sich also wünschen, dass ich Ihr Fan wäre?“, platzte es aus Erik heraus, kaum dass er wieder neben Berger lief.
„Wünschen ...“, murmelte der und zuckte mit den Schultern. „So weit würde ich nicht gehen.“
„Aber Sie sind enttäuscht, wenn ich es nicht bin.“
Berger drehte den Kopf in Eriks Richtung und lächelte etwas gequält. „Es würde den gestrigen Abend in ein ... grundsätzlich anderes Licht rücken. Nicht wahr?“
Der bedrückte Ton Bergers gefiel ihm gar nicht. Auch wenn Erik nicht sicher war, wie er das Verstehen sollte. Er schluckte und wandte den Blick ab. Dieses beschissene Ziehen an seinen Eingeweiden war zurück und schnürte ihm nicht nur die Brust ab, sondern raubte ihm ebenfalls die Sprache.
Schweigend liefen sie weiter, bis sie den Park verließen und sich erneut durch ein Gewusel aus Gassen und kleinen Straßen vorkämpften. Fast erwartete Erik, dass Hanna und Alina vor ihnen auftauchen würden, aber die hielten sich glücklicherweise fern. Ein Gespräch kam dennoch nicht zustande.
Immer und immer wieder gingen Erik Bergers Worte durch den Kopf. Als sie auf die Hauptstraße trafen, die in der Nähe des Parkplatzes gewesen war, blieb er schließlich einfach stehen. Auch Berger hielt an und sah ihn fragend an.
„Ich mach mich nicht über Sie lustig oder so etwas“, sagte Erik mit einem Mal. „Ich ... finde Sie interessant und ich will Sie wirklich kennenlernen.“ Seine Augen waren fest auf Bergers Gesicht gerichtet. „Das ist kein ... Spiel. Mir ist es ernst.“
Der Blick, auf den Erik traf, war weder freundlich noch abweisend. Nicht gut gelaunt oder warm, aber auch nicht feindselig oder kalt. Stattdessen war er irgendwo in der undefinierbaren Mitte, die für Erik ein nebulöses Mysterium darstellte, welches er nicht deuten konnte.
Für einen Moment zögerte Berger, sah sich um, bevor er plötzlich die Arme vor der Brust verschränkte und meinte: „Was genau finden Sie denn interessant an mir?“
Erik hatte den Mund bereits geöffnet, ließ ihn aber schweigend wieder zuschnappen. Wenn er sagte, dass er das ganze Schuljahr diesem kleinen, festen Hinterteil näherkommen wollte, würde das seine Chancen auf genau das wohl kaum erhöhen. Genauso wenig, wie es ihm weiterhelfen würde, wenn er Berger sagte, dass er seit dem letzten Unterrichtstag darüber nachdachte, wie es wäre, diesen Kerl zu küssen.
Es war mehr als nur körperliches Verlangen. War es doch? Für eine Sekunde war Erik sich selbst nicht sicher, konnte es zumindest nicht in Worte fassen. Er hatte bisher nie wirklich darüber nachgedacht, warum Berger ihn interessierte. Aber dass er inzwischen mehr als nur dessen Körper kennenlernen wollte, stand für unumstößlich fest.
„Sie sind auch nicht so“, meinte Erik mit einem Stirnrunzeln.
„Wie bin ich nicht?“
Erneut nahm Erik sich einen Moment, um zu überlegen, bevor er schließlich antwortete: „So ... wie Sie in der Schule waren. Wie ... sie sich für alle anderen geben. Das sind ... nie wirklich Sie. Oder?“
Bergers Blick war kritisch, um nicht zu sagen voller Zweifel. Sah nicht so aus, als wären das die richtigen Worte gewesen. Scheiße! War er gerade drauf und dran, jede weitere Chance endgültig in den Sand zu setzen? Dabei hatte Erik letzte Nacht doch endlich einmal Fortschritte gemacht. Zumindest hatte es sich so angefühlt.
„Sie lächeln die anderen ständig an“, sagte Erik, darum bemüht diese lächerliche Unsicherheit, die schon wieder in ihm aufstieg in den Griff zu bekommen. „Und das hat mich ewig angekotzt. Bis ... ich gemerkt habe, dass es nie echt ist.“
Die Arme vor Bergers Brust zogen sich enger, aber er antwortete nicht.
„Sie machen immer so einen ... starken Eindruck. Als ob ... Sie nichts erschüttern kann. Trotzdem ...“
Eriks Stimme erstarb und erneut war er sich nicht sicher, was er sagen wollte. Geschweige denn, wie er das bewerkstelligen sollte.
„Trotzdem?“
Erik schloss die Augen. Ein tiefer Atemzug löste den Druck in seiner Brust allmählich auf. Das klang alles so lächerlich. Je länger er hier stand und diesen sinnlosen Sermon von sich gab, desto deutlicher wurde die Befürchtung, dass Berger ihn auslachen und einfach stehenlassen würde. Jetzt war es allerdings bereits zu spät. Aufhören konnte Erik nicht mehr.
„Trotzdem habe ich immer öfter das Gefühl, als müsste ich Sie ... vor irgendetwas beschützen.“
Ein Krächzen entkam Erik, als bei den eigenen Worten auch die Erinnerungen an ihre Wanderung vom Vortag wieder in ihm hochkam. Berger gab keinen Mucks von sich, ließ sich wie so oft nicht anmerken, was in diesem Dickschädel vorgehen mochte.
„Das klingt lächerlich, nicht wahr?“, meinte Erik. „Sie sind erwachsen und brauchen sicherlich nicht jemanden wie mich, der Sie beschützt oder Ihnen überhaupt irgendwie ... hilft. Das weiß ich. Aber ...“
Wieder stockte Erik. Dieser beschissene Kloß in seinem Hals wurde immer größer. Warum sagte Berger nicht endlich etwas? Er müsste ihn auslachen für dieses unsinnige Gefasel.
„Warum ich Sie kennenlernen will?“, fragte Erik heiser.
Sein Blick wanderte für einen Moment zuckend über Bergers Gesicht, bevor er es schaffte, sich auf dessen Augen fokussierte. Wenigstens konnte Erik dort weder Angst, noch Sorge oder Ablehnung erkennen. Allerdings auch nichts anders. Vielleicht hatte er sich in den letzten Tagen ja nur eingebildet, dass er besser darin geworden war, Berger zu lesen.
Ein gequältes Lächeln schaffte es auf Eriks Lippen, während er sagte: „Das würde ich auch gern verstehen. Aber es ist nun einmal so.“
Schweigen und dennoch keine Stille. Um sie herum hasteten die Leute von einem Laden in den nächsten. Irgendwo in der Nähe waren vielleicht sogar einige aus seinem Kurs. Aber dieser Tatsache war Erik sich nur am Rande bewusst. In dessen Kopf existierte nur diese eine Frage: Warum zum Teufel sagte der Mann nichts?
„Das habe ich schon zu oft erle...“
„Hey, Herr Berger, da sind Sie ja auch wieder!“
Erik verzog das Gesicht. Er war kurz davor, den Störenfried anzuschnauzen, dass der gefälligst verschwinden und die Fresse halten sollte, als er sich gerade noch stoppen konnte. Das entschuldigende Lächeln Bergers war zumindest ein Zeichen, dass der die Unterbrechung ebenfalls bedauerte. Wobei Erik bei genauerem Nachdenken womöglich froh darum sein sollte.
‚Er war dabei, dir eine Abfuhr zu erteilen‘, belehrte ihn der blöde Quälgeist.
Nachdem der sich den ganzen Tag weitestgehend zurückgehalten hatte, konnte Erik diese dummen Bemerkungen im Augenblick so gar nicht brauchen. Ändern konnte er im Moment aber nichts mehr an der Situation, denn für den Rückweg zum Bus hatten sie nun definitiv weitere Begleitung – und Erik somit keine Chance mehr, das Gespräch fortzusetzen.
✑
Hatte er eigentlich nur Pech oder wollte hier irgendeine beschissene höhere Macht verhindern, dass Erik, was Berger anging, endlich einmal vorwärtskam? Wobei weiterhin zu befürchten stand, dass der Dickkopf gerade dabei gewesen war, Erik endgültig abzuweisen. Vielleicht sollte er dem Idioten Justin also dankbar für die Unterbrechung sein.
Missmutig ließ Erik einen Blick über die Meute wandern, die sich vor dem Bus versammelt hatte. Es war zehn Minuten vor sechs und inzwischen fast alle da. Ein paar Schüler saßen bereits im Bus, einige andere, so wie er selbst, lungerten davor herum. Den Blick nach rechts sparte Erik sich, denn dass Berger keine zwei Meter entfernt stand, war ihm ausgesprochen bewusst. Genauso wie Erik nur zu genau wusste, wer nirgendwo hier herumstand.
„Dass manche Leute einfach nicht pünktlich sein können“, jammerte irgendjemand und weitere Stimmen schlossen sich prompt an.
Aus dem Augenwinkel konnte Erik sehen, wie die zwei Lehrerinnen auf Berger zutraten. Beide wirkten nervös, was reichlich lächerlich erschien.
‚Und da sagt der Kerl ständig, ihr sollt erwachsen werden. Als ob die da drüben so viel besser wären.‘
„Wie lange warten wir noch?“, meinte Frau Hirvi zaghaft.
„Wir können ja schlecht ohne die beiden fahren“, zischte die Farin gereizt zurück.
Erneut ließ Erik einen Blick über die versammelten Schüler wandern. Auch wenn man die im Bus nicht sehen konnte, wusste er ganz genau, wer fehlte. Vielleicht hätte Erik sich deshalb schuldig fühlen sollen, aber dem war nicht so. Hanna hatte sich absolut lächerlich aufgeführt. Von der Ohrfeige ganz zu schweigen. Zögerlich wanderte Eriks linke Hand nach oben und fuhr über seine Wange. Es tat längst nicht mehr weh – zu sehen war garantiert ebenfalls nichts. Er hatte trotzdem das Gefühl, als würde jeder wissen, was passiert war.
„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Frau Hirvi erneut.
Hätte Erik nicht direkt neben Berger gestanden, wären ihm die ebenso leise Antwort vermutlich entgangen: „Wer von Ihnen hat die Liste mit den Handynummern der Schülerinnen und Schüler? Rufen Sie eine der beiden an.“
Vorsichtig lugte Erik nach rechts, nachdem nicht direkt eine Antwort kam. Die beiden Lehrerinnen sahen sich zunächst gegenseitig unsicher an, danach zurück zu Berger.
Frau Farin war kaum zu verstehen, als sie mit gesenktem Kopf murmelte: „Die ... die ist in der Herberge.“
Man musste Berger lassen, dass er genug Selbstbeherrschung aufbringen konnte, um nicht direkt auszurasten. Erik war sich nicht sicher, ob er in der gleichen Situation genauso gelassen geblieben wäre. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass Berger von den dreien nicht nur derjenige war, der am kürzesten an der Schule, sondern auch noch der jüngste war.
‚Wirkt meistens anders.‘
Nachdenklich senkte Erik den Kopf, als gleichzeitig der Gedanke in ihm hochkam, dass er bisher nicht einmal auf die Idee gekommen war, Berger nach dessen Handynummer zu fragen. Aber vermutlich würde der das ohnehin nur ablehnen. Es war bestimmt unpassend, wenn ein Lehrer seinem Schüler private Kontaktdaten gab.
Erik schluckte. Langsam wanderte sein Blick wieder nach rechts, bis er Berger sehen konnte. Bis zum Ende der Woche wäre der Kerl nicht mehr sein Lehrer. Würde er Erik in dem Fall weiterhin ablehnen?
‚Dafür müsstest du ihn dann noch fragen können.‘
„Hören Sie sich um, ob jemand aus der Klasse die beiden anrufen kann. Es ... kommt sicherlich besser rüber, wenn Sie fragen“, schlug Berger gerade vor. Die Lehrerinnen stimmten zu und verschwanden – eine in den Bus, die andere zu den diversen Schülergruppen, die davor herumstanden.
„Was ist vorhin passiert?“
Erik schwieg – weigerte sich, Berger anzusehen. Das hier war nicht seine Schuld. Wenn überhaupt, dann hatte Hanna sich das selbst zuzuschreiben. Und nachdem die blöde Pute am Vortag einen verstauchten Knöchel vorgetäuscht hatte, kam Erik nicht umhin sich zu fragen, was es wohl heute sein würde.
„Sie hat die Wahrheit nicht vertragen.“
Erik hörte ein leises Schnauben neben sich. Als er zu Berger blickte, sah der ihn mit genervtem Ausdruck an.
„Was?“, giftete Erik seinerseits wütend zurück. „Mir ist nicht die Hand ausgerutscht!“
Mit einem fetten Stöhnen fuhr Berger sich durch die Haare. „Das ist meine Schuld“, murmelte er leise und schüttelte den Kopf.
„Wie bitte?!“
Erst nachdem Berger ihn ein weiteres Mal sauer anfunkelte, wurde Erik klar, dass er zu laut gewesen war. Selbst mindestens ebenso wütend, wie Berger aussah, stopfte er die Hände in die Tasche und sah diesen mit verkniffenem Gesicht an.
„Sie sagen doch immer, wir sind erwachsen und sollen uns so benehmen. Das gilt auch für Hanna.“
Das hatte Berger wohl überrascht, denn die Wut verschwand schlagartig aus seinem Gesicht. Erik konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen hinter der wieder glatten Stirn in Bewegung setzten. Was für ein Schwachsinn, dass ausgerechnet Berger daran schuld sein sollte, wenn Hanna sich wie eine wildgewordene Furie aufführte. Ganz zu schweigen davon, dass sie den Scheiß vom Vortag heute offenbar fortsetzen wollte. Nur diesmal nicht mit einem verstauchten Fuß, sondern durch anhaltende Abwesenheit.
„Sie sind genauso wenig schuld wie ich“, fuhr Erik fort, nachdem Berger weiterhin nicht antwortete.
Es dauerte einen weiteren Moment, bevor er endlich eine Erwiderung bekam: „Was genau war der Grund für Ihre leuchtende Wange vorhin?“
Erik zuckte mit den Schultern, während er gleichzeitig die zu Fäusten geballten Hände tiefer in die Taschen schob. „Eine Meinungsverschiedenheit.“
„Worüber?“
Missmutig verzog Erik das Gesicht. „Egal“, knurrte er gereizt zurück.
Berger seufzte und fuhr sich noch einmal durch die Haare, bevor er sich abwandte. Sein Blick wanderte für einen Augenblick über die wartenden Schüler. Als er stockte, folgte Erik der Blickrichtung und entdeckte dort beide Lehrerinnen. Die hatten offensichtlich endlich jemanden gefunden, der Hannas oder Alinas Nummer kannte. Eine Schülerin hatte ihr Handy am Ohr. Vermutlich versuchte sie gerade, die beiden zu erreichen.
„Sieht schlecht aus“, murmelte Erik, als das Mädchen mit einem entschuldigenden Schulterzucken den Kopf schüttelte.
„Verdammt“, fluchte Berger und zog zischend die Luft ein. Als der Kerl auch noch anfing, am Daumennagel seiner linken Hand zu kauen, bekam Erik eine weitere unbekannte Seite zu sehen.
Kurz darauf hatte Berger sich allerdings bereits wieder unter Kontrolle. Die beiden Lehrerinnen kamen zurück. Keine von ihnen sah begeistert aus. Den prüfenden Blick, den die Farin in Eriks Richtung warf, ignorierte er geflissentlich. Sollte die Frau ihn halt wegschicken, falls sie ein Problem hatte.
Tat sie aber nicht.
„Sie sind nicht erreichbar“, sagte sie stattdessen zu Berger. „Was für ein Ärger ...“
„Vielleicht haben die beiden sich verlaufen“, warf Frau Hirvi zögerlich in die Runde. „Allerdings ist es wirklich unglücklich, dass sie nicht ans Handy gehen.“
Erik musste sich beherrschen, niemanden anzufauchen, dass Hanna das garantiert mit Absicht machte. Gestern hatte sie schließlich auch schon simuliert. Die trieb sich bestimmt in der Nähe dieses der Basilika oder in dem Café herum, in dem sie gewesen waren. Darauf wartend, dass ihr Ritter im gebügelten Hemd auftauchte und sie rettete.
„Was machen wir jetzt? Die Polizei rufen?“
„Unsinn“, fuhr Frau Farin ihre Kollegin an. „Sie sind gerade einmal zehn Minuten überfällig. Die lachen uns doch aus.“
„Aber irgendetwas müssen wir tun. Wir können schließlich nicht ohne sie fahren ... Und wer weiß, wann die beiden auftauchen.“
Frau Farin seufzte und sah Berger erneut fragend an. Der schwieg weiter. Die Arme wieder vor der Brust verschränkt, stand er einfach nur da und starrte in Richtung der Hauptstraße, von wo sie vor einigen Minuten gekommen waren.
„Sinnlos in der Gegend herumlaufen, bringt nichts. Am Ende verirren sich noch mehr Leute“, wandte Frau Farin ein.
„Ich geh sie suchen“, sagte Berger schließlich und setzte bereits an zu gehen.
„Moment mal“, rief die Farin sofort und hob die Hand. „Haben Sie mir nicht zugehört? Wir haben keine Ahnung, wo die beiden sind. Am Ende tauchen die hier gleich auf und dann müssen wir Sie suchen.“
Der Sturkopf Berger hatte aber offenbar nicht vor, sich von seinem Plan abbringen zu lassen: „Sie waren zuletzt im Park. Womöglich haben sie sich dort verlaufen.“
Erik musste die Zähne zusammenbeißen, um keinen blöden Kommentar abzugeben. Glücklicherweise hatte Frau Farin in dieser Hinsicht weniger Hemmungen: „Und falls nicht?“
„Ich beeile mich. Sobald die beiden zurückkommen, können Sie ja anrufen“, fuhr Berger ungerührt fort.
Als ihm nicht sofort jemand widersprach, hob er den Rucksack hoch, der neben ihm gestanden hatte. Kaum war das Teil auf seinem Rücken, stapfte er los. Erik musste nicht wirklich überlegen. Tatsächlich setzte er sich keine zwei Sekunden später in Bewegung, um Berger zu folgen. Allerdings kam er nicht weit, denn Frau Farin stellte sich ihm mit gerunzelter Stirn in den Weg.
„Wo wollen Sie hin, Erik?“
Was für eine bescheuerte Frage! Noch offensichtlicher konnte es ja wohl nicht sein. Natürlich würde er Berger folgen. Was sonst? Der war dummerweise recht eiligen Schrittes unterwegs und damit dabei, ihm zu entkommen.
„Wonach sieht es aus?“, murrte Erik entsprechend genervt und setzte an, um Frau Farin herumzugehen.
„Sie bleiben hier.“
Tatsächlich stockte er für einen Moment und sah sie fragend an. War das ihr Ernst? Mit gerunzelter Stirn schüttelte er den Kopf: „Sicher nicht.“
„Sie sind Schüler und halten sich an die Regeln.“
Das Grinsen kam von ganz allein auf seine Lippen. Eigentlich wollte er lediglich vermeiden, dass die Hirvi ihn ebenfalls hörte, indem er sich zu Frau Farin herunterbeugte. Als die aber zusammenfuhr und mit einem Mal reichlich unsicher aussah ... Es war schwer zu beschreiben. Da war ein merkwürdiges Gefühl seiner Brust. Eines, das er nur selten gespürt hatte. Aber er mochte es. Dieses ... Hoch.
Vielleicht kamen die geflüsterten Worte deshalb genauso schnell, einfach und von selbst wie das Grinsen zuvor: „Regeln? Oh, ich halte mich perfekt daran. Niemand geht allein. Schon vergessen?“
Ein weiteres Mal hätte er sich nicht aufhalten lassen. Aber Frau Farin sah ohnehin davon ab. Also schob Erik sich an ihr vorbei und rannte Berger hinterher. Der war schon ein gutes Stück entfernt. Wenn er sich nicht beeilte, würde der Kerl ihm doch noch entkommen.
‚Nichts da!‘