51 – Verlängerte Fahrtzeit
Erstaunlicherweise schafften sie es heute alle pünktlich zum Bus. Einhundert Prozent Anwesenheit auf dem Parkplatz – und das fünf Minuten vor zehn. Seinem eigenen Vorsatz zuwider, stand Erik schon eine Weile dort und starrte Löcher in die Luft. Die Fahrer waren längst da, der Bus offen, aber die beiden Herren vehement dagegen gewesen, dass sich irgendein Schüler in den Bus begab, bevor alle da waren – inklusive Lehrpersonal. Eriks Blick zuckte in deren Richtung.
‚Selbst jetzt stehen wir uns hier die Füße platt, während die irgendwas bequatschen müssen.‘
Missmutig wanderte Eriks Blick über die drei Gestalten am Durchgang zum Haupthaus. Scheinbar fand da gerade irgendeine Art von Besprechung statt – eine, bei der die Ohren der Schülerschaft nicht gefragt waren. Wobei es eher so aussah, als ob die beiden Lehrerinnen redeten und Berger lediglich reichlich finster aus der Wäsche schaute. Hatte die Farin schon wieder bei Frau Fink angerufen? Hatte der Kerl deshalb vorhin telefoniert?
‚Wer führt sich hier wie im Kindergarten auf?‘
Erik schnaubte und versuchte, den Blick abzuwenden, aber wie automatisch wanderte er immer wieder zu den dreien zurück. Was wollte Frau Farin damit überhaupt erreichen? Wenn Berger sich wie gestern nicht mehr um alles kümmerte, ging die Fahrt garantiert den Bach runter. Das müssten die beiden Damen doch inzwischen kapiert haben. Man sollte meinen, dass sie als Lehrer etwas souveräner mit solchen Situationen umgehen und erst einmal vernünftig miteinander reden würden, anstatt gleich zum Chef petzen zu gehen.
„Abgewiesene Frauen sind gefährlich“, hatte Sophie ihm am Vortag gesagt.
In Eriks Bauch begann es zu brodeln. Womöglich war es nicht nur Hanna, um die er sich hier Sorgen machen sollte. Trotzdem wanderte sein suchender Blick über die Gruppe der Schüler, bis er sie gefunden hatte. Hanna stand mit zwei weiteren Mädchen etwas von ihm entfernt. Als Erik merkte, dass ihr Blick scheinbar ebenfalls in Richtung Haupthaus gewandt war, verwandelte sich das Grummeln immer mehr in ein Brennen.
‚Die soll bloß nicht auf die Idee kommen, irgendeinen Scheiß abziehen zu wollen!‘
Eriks Kiefer verspannte sich. Um der Wut keine Chance zu geben, drehte er sich herum und starrte stattdessen zum Bus. Er schloss die Augen und atmete zwei Mal tief durch. Diese fixe Idee, die Sophie ihm da in den Kopf gesetzt hatte, war Blödsinn. Obwohl da scheinbar ein paar Abgründe in Hanna zu schlummern schienen, die Erik nicht erkunden wollte. Offenbar empfand sie ja etwas für Berger, also würde sie dem sicherlich nichts tun.
‚Was auch?‘
Der Versuch, zu Berger und den beiden Damen zu schielen, scheiterte, dafür stand Erik inzwischen nicht mehr richtig. War aber auch gar nicht nötig, denn Frau Farin forderte genau in diesem Moment den Kurs auf, in den Bus einzusteigen.
Gut gelaunt sprangen die Ersten in Richtung Bus. Erik hielt sich zunächst zurück und beobachtete die anderen. Sophie stand wieder mit Mirek zusammen. Hatten die während des Schuljahres auch schon mehr miteinander zu tun gehabt? Erik konnte sich nicht erinnern. Allerdings erschien es unwahrscheinlich. Immerhin hatte Sophie ja scheinbar was mit diesem Jerome aus dem Parallelkurs gehabt.
Außerdem hatte Erik selbst nie wirklich auf einen der anderen geachtet. Sophie hatte er vor der Oberstufe lediglich vom Sehen her gekannt. Eine herausragende Schülerin war sie nicht, hatte sich selten gemeldet und war im Unterricht eher der ruhige Typ gewesen.
‚Wie du auch.‘
Miroslaw kannte Erik hingegen schon einige Jahre. Aber darüber wollte er weder jetzt noch irgendwann anders nachdenken. Nach dem letzten Sommer hatten sich ihre Wege unschön getrennt und diese Fahrt stellte keinen Grund dar, etwas daran zu ändern. Ab Montag würden sie sich vermutlich nie wiedersehen.
‚Besser so‘, versuchte Erik sich einzureden. Ein ungutes Gefühl blieb dennoch bei dem Gedanken zurück.
Ohne dass er es gewollt hatte, wanderte Eriks Blick weiter über die Gruppe und blieb jetzt doch an Mirek hängen. Der sah auch noch genau in diesem Moment zu ihm hinüber. Prompt wurde das Brennen in Erik stärker. Der Mistkerl konnte ihm gestohlen bleiben. Selbst wenn Sophie das offensichtlich anders zu sehen schien.
Wütend wandte Erik sich wieder ab und stapfte nun seinerseits zum Bus. Was auch immer Sophie mit Mirek zu tun hatte, es scherte ihn nicht. Sollten die zwei sich doch amüsieren. So würde Erik sich wenigstens nicht mit ihnen beschäftigen müssen.
Der Platz in der zweiten Reihe links am Fenster war inzwischen Gewohnheit geworden – und damit definitiv nicht mehr so unangenehm wie zu Beginn der Fahrt. Zumal der Mann, der sich kurz darauf neben Erik setzte, garantiert auf die eine oder andere Weise dafür sorgen würde, dass er nicht weiter über Sophie und Mirek nachdachte.
Eine Stunde später war Erik sich nicht mehr so sicher, ob die Form von Ablenkung, die Berger darstellte, wirklich hilfreich war. Zwar hielten sich die unangemessenen Gedanken heute bisher zurück, aber der Drang, wenigstens ab und zu mal zu dem Sturkopf hinüberzusehen, war nicht wirklich besser – oder leichter unter Kontrolle zu halten.
Immer wieder drohte das Gedankenchaos Erik zu übermannen. Da half auch das Zählen der Begrenzungspfosten recht schnell nicht mehr weiter. So sehr er versuchte, sich auf den Blick aus dem Fenster zu konzentrieren, umso öfter wanderte der am Ende doch wieder in die entgegengesetzte Richtung. Ein reichlich schwieriges Unterfangen, wenn man versuchte, nicht allzu offensichtlich dabei zu sein.
Dazu kam, dass der Bus nur mehr schleppend vorankam. Aus dem hinteren Teil des Busses kamen beständig Rufe, wie lange die Fahrt denn noch dauern würde. Insgeheim kam Erik nicht umhin, die Fahrer für die Ruhe zu bewundern, die sie der Fragerei entgegensetzten. Als die Rufe immer häufiger kamen, stand Frau Hirvi auf und rief nach hinten, dass sich doch bitte ‚alle‘ beruhigen mögen. Sie würden schon noch ausreichend Zeit für die Stadtbesichtigung haben. Selbstverständlich trafen diese Worte auf keine Gegenliebe – und wurden entsprechend ignoriert.
Eriks Blick wanderte zu seinem Sitznachbarn. Der hatte die Augen geschlossen. Der angespannte Kiefer und das Zucken um die Augenwinkel herum waren aber ein untrügliches Zeichen, dass Berger ganz sicher nicht schlief. Vorsichtig, damit es nicht allzu auffällig war, lehnte Erik sich ein Stück nach links, bis seine Schulter auf einen Widerstand traf.
„Bitte sagen Sie mir, dass es nicht tatsächlich schon wieder eine Stadtführung gibt heute“, raunte Erik so leise wie möglich.
Ein verhaltenes Schnauben neben ihm war Bestätigung genug, dass Berger wirklich nicht schlief. „Haben Sie doch vor, ein weiteres Mal verloren zu gehen, Herr Hoffmann?“
Erik grinste und zuckte mit den Schultern – was ganz sicher auch bei dem nur sehr leichten Kontakt spürbar war. „Wenn es mir den nächsten Pierre erspart, würde ich drüber nachdenken.“
Es kam keine Antwort. Ein unangenehmes Stechen in der Brust brachte Erik dazu, sich wieder richtig hinzusetzen. Vorsichtig drehte er den Kopf nach links, tat so, als würde er dort aus dem Fenster sehen, nur um aus dem Augenwinkel stattdessen den Mann neben ihm zu beobachten. Der hatte die Augen geöffnet, den Kopf allerdings leicht gesenkt. Verwundert runzelte Erik die Stirn.
Bevor er fragen konnte, antwortete Berger schließlich: „Ich hatte den Eindruck, Sie haben sich gut mit ihm verstanden.“
Irgendwie klang die Bemerkung merkwürdig. Unsicher geworden, wusste Erik zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte. Wie zum Teufel kam Berger denn auf diese Idee? Während der Führung war er schließlich am hinteren Ende der Gruppe gelaufen – möglichst weit weg von ihrem schillernden Stadtführer. Da dämmerte ihm mit einem Mal.
‚Er hat dich mit Pierre am Strand gesehen‘, flüsterte es leise in Eriks Kopf – trieb ihm gleichzeitig Hitze in die Wangen.
Wie er es schaffte, etwas zu antworten, obwohl in seinem Hirn mit einem Schlag gähnende Leere zu herrschen schien, hätte Erik nicht erklären können. Trotzdem purzelte einmal mehr ein Wort aus ihm heraus, das er wohl besser für sich behalten hätte: „Eifersüchtig?“
Ein weiteres, leises und dennoch belustigtes Schnauben ließ zumindest vermuten, dass Berger nicht vor Wut kochte deshalb.
„Sicher nicht.“
Zögerlich drehte Erik erneut den Kopf und sah zu seinem Sitznachbarn hinüber. Der schien zunächst zu lächeln, was die Situation umso peinlicher machte. Mit jeder verstreichenden Sekunde hämmerte das Herz in Eriks Brust heftiger gegen die Rippen, verlangte nach einer Antwort, auf die er kaum zu hoffen wagte. Plötzlich veränderte sich das Lächeln, wurde breiter und gleichzeitig schmaler, bis es vollständig zu einem verschmitzten Grinsen mutiert war. Als Berger sich dann auch noch das kleine Stück zu ihm hinüberbeugte, blieb Erik beinahe das Herz stehen.
Dieses verfluchte Flüstern war so leise, dass man es über den Lärm, den der Rest des Kurses veranstalte, fast nicht hören konnte: „Pierre ist nicht mein Typ.“
Eriks Kiefer schmerzte, so fest presste er die Zähne aufeinander, um bloß nicht den nächsten dämlichen Spruch rauszuhauen, der ihm schon auf den Lippen lag. Weniger, weil er Sorge hatte, Berger damit zu verärgern. Vielmehr war das hier trotz des anhaltenden Lärmpegels ganz sicher nicht die Umgebung, in der er ein solches Gespräch führen wollte.
‚Erstaunlich genug, dass Berger sich zu diesem Kommentar hat hinreißen lassen.‘
„Wie lange dauert das denn noch?!“, brüllte irgendjemand von hinten.
Erik war sich nicht sicher, wer der Volltrottel war – ausnahmsweise nicht Sandro. Oliver und Luca konnte er eben ausschließen. Was den Kreis der Verdächtigen radikal einschränken würde, wenn es Erik denn interessiert hätte. Momentan lag seine Aufmerksamkeit jedoch weiter auf dem Kerl neben ihm. Dem gleichen sturen Esel, der ihn schon wieder herausforderte. In einer Umgebung, in der es unmöglich war, diese Herausforderung anzunehmen.
‚Und der Kerl weiß das genau!‘
Zumindest wenn man nach dem fetten Grinsen ging, das weiterhin auf Bergers Lippen klebte. Glücklicherweise drehte der sich jetzt doch wieder nach vorn und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Die Hände wanderten in die Hosentaschen. Alles in allem sah der Kerl verflucht zufrieden aus. Noch vor ein paar Monaten hätte das Erik stinksauer gemacht. Anstatt der Wut war da aber etwas ganz anderes, das bei dem Anblick schon wieder in ihm aufstieg. Deutlich angenehmer – allerdings ebenfalls sehr viel gefährlicher. Machte der Kerl das eigentlich mit Absicht? Wollte Berger ihn am Ende nur verarschen oder sich über ihn lustig machen?
‚Nein.‘
Da war nichts Bösartiges an dem Mann. Auf der Suche nach einer Antwort auf Fragen, die er nicht einmal kannte, zuckte Eriks Blick die schlanke Gestalt an seiner Seite entlang. Am Morgen war Berger schlecht gelaunt gewesen – und das hatte sich auch nicht wirklich gebessert, bis sie eingestiegen waren. Jetzt wirkte er ‚zufrieden‘.
Die Vorstellung, dass er dazu beigetragen hatte, verstärkte das angenehme Flattern in Eriks Inneren. Das breitete sich zur Abwechslung nicht als kribbelndes Pulsieren weiter nach unten aus. Er grinste und drehte sich wieder zum Fenster.
Vielleicht würde heute tatsächlich endlich mal ein guter Tag werden.
✑
Drei Stunden später war von dieser Hoffnung nicht mehr viel vorhanden. Erik war sicherlich nicht der Einzige, der einen bösen Blick über ihre Gruppe gleiten ließ, um die Idioten zu finden, die für die Planung dieser Fahrt verantwortlich waren. Wieso hatten diese Volltrottel eigentlich, abgesehen vom Donnerstag, für jeden anderen verfluchten Tag dieser Fahrt irgendeinen dämlichen Ausflug eingeplant?
Immerhin waren sie hier in Südfrankreich. Obwohl er selbst sich sicherlich nicht darum riss, im Meer zu baden, hätte Erik nur zu gern die Tage einfach am Strand gelegen und die Sonne genossen. Wenn man nach den Kommentaren der übrigen Kursteilnehmer ging, war ein stetig wachsender Anteil von denen genau der gleichen Meinung. Da waren nicht wenige, die grummelnd und protestierend meinten, dass sie sich lieber am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen lassen wollten, als schon wieder sinnlos durch die Gegend zu stapfen.
Prompt sah Erik zum Himmel. ‚Na gut, von Sonne kann man heute nur bedingt reden.‘
„Vier Stunden auf der Autobahn, damit die Damen shoppen gehen können. Wer ist auf diese bescheuerte Idee gekommen?“, murrte es weiterhin aus den Reihen der Jungen.
„Ich hab das Gefühl, mein ganzer Körper ist steif.“
Das wiederum führte zu diversen spitzen „Das ist widerlich, Javor!“-Rufen der Mädchen.
Erik schüttelte lediglich den Kopf und trat ein paar Schritte nach links. Einige weitere Meter entfernt stand Berger und sah aus, als ob er mal wieder die Schüler zählte. Allerdings sagte er nichts.
‚Ob die Farin immer noch einen auf Chef machen will?‘, fragte Erik sich prompt und seine Augen suchten nun ebendiese in der Menge der Schüler.
Er fand sie schließlich unweit von ihnen entfernt inmitten einer größeren Gruppe. Auch Frau Hirvi stand dort drüben, wirkte aber – wie so oft – eher etwas verloren. Nicht zum ersten Mal fragte Erik sich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, wenigstens einen älteren Lehrer mitzuschicken, der nicht nur mit einem Abschlussjahrgang, sondern vor allem mit Klassenfahrten bereits ausreichend Erfahrungen gesammelt hatte. Keiner ihrer drei Begleiter machte den Eindruck, dass sie in diesem Punkt glänzen konnten.
‚Es ist Bergers erstes Jahr nach dem Referendariat. Die Hirvi ist zwei Jahre an der Schule, Frau Farin vier.‘
Sonderlich viele solcher Fahrten konnten alle drei wohl nicht als Lehrer begleitet haben. Andererseits hieß das auch, dass bei Berger, der offensichtlich der Jüngste war, die eigenen Klassenfahrten noch nicht sonderlich lange zurückliegen konnten. Ein Grinsen zuckte über Eriks Lippen. Vielleicht sollte er mal nachfragen, ob dessen Abschlussfahrt genauso turbulent verlaufen war.
‚Bestimmt nicht. So beschissen, wie bei euch, kann eine Fahrt ja fast nicht laufen.‘
Trotzdem wanderte Eriks Blick schon wieder zu Berger. Der stand recht gelassen direkt neben ihm. Die Hände in den Hosentaschen wartete offenbar ab, was die Kolleginnen denn nun tun würden. Wie aufs Stichwort kam Frau Farin just in diesem Moment zu ihm hinüber.
„Wegen der Rückfahrt ...“, setzte sie an.
Prompt hatte Erik den Eindruck, Berger würde die Augen verdrehen, aber er sagte nichts und sein Gesicht wirkte so undeutbar wie immer. Frau Farins Blick wanderte zu Erik und sie runzelte die Stirn.
Das breite Lächeln fiel ihm unheimlich leicht. In seiner Brust war ein ungewohntes Gefühl von Leichtigkeit. Womöglich war es dämlich, zu riskieren, dass Frau Farin ihn genauso ins Auge fasste, wie sie das offenbar bei Hanna getan hatte. Aber das Gespräch mit Berger vom Vorabend ging Erik nicht aus dem Sinn – genauso wenig wie viele andere Dinge.
‚Die Zehn-Meter-Regel hat Berger aufgestellt‘, sagte Erik sich und das Lächeln wurde zum Grinsen.
Heute würde er sicherstellen, dass er jede Regel, jede Anweisung, die er bisher bekommen hatte, ohne Abstriche einhielt. Die letzten Tage hatte Erik ja ebenfalls mehrheitlich in Bergers Gesellschaft verbracht. Also konnte der Sturkopf kaum damit rechnen, dass Erik seine Worte vom Vortag nicht wahr machen würde.
Bevor Erik den Gedanken weiterspinnen konnte, trat Berger plötzlich vor und rief in die Runde. „Hören Sie mir bitte alle kurz zu!“
Prompt sah jeder im Kurs zu ihm hin. Der Kerl hatte aber auch etwas an sich, dem man sich einfach nicht verweigern konnte.
„Aufgrund der Baustellensituation ist auch für die Rückfahrt mit Verzögerungen zu rechnen“, fuhr Berger gelassen fort – und ignorierte die daraufhin sofort ertönenden Protestrufe gekonnt. „Deshalb sind Sie bitte alle bis achtzehn Uhr wieder am Bus, damit wir pünktlich zurückfahren können.“
„Das sind nicht einmal vier Stunden!“, rief eines der Mädchen, hörbar genervt.
„Sie können gern auch so lange hier warten, Valea. Dann sind Sie zumindest pünktlich.“
Ein nicht unerheblicher Teil der Gruppe lachte. Auch Erik konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, hielt sich aber wohlweislich zurück. Schließlich hatte er den Rüffel von wegen ‚Schadenfreude steht Ihnen nicht‘ schon am ersten Tag der Fahrt kassiert gehabt.
„Nehmen Sie einfach Rücksicht auf Ihre Mitschüler und seien Sie rechtzeitig zurück am Bus“, forderte Berger ungerührt noch einmal alle auf. „Und denken Sie daran, dass Sie sich zu Ihrer eigenen Sicherheit bitte nicht alleine durch die Stadt bewegen, sondern in Gruppen von mindestens zwei Leuten zusammenbleiben.“
‚Darauf kannst du wetten‘, dachte Erik bei sich und trat näher zu Berger heran.
Egal, was der sture Esel sagen würde, ganz sicher würde Erik ihm nicht von der Seite weichen. Dummerweise war er damit nicht der Einzige. Was sich schon innerhalb der nächsten paar Minuten als ziemlich nervig erwies. Denn entgegen so manchem Sprichwort schienen hier nicht alle Wege in die Stadt zu führen, sondern lediglich einer – und dem folgte entsprechend der ganze Kurs samt ihrer drei Lehrer.
‚Gruppen von maximal zwei Personen wären angenehmer‘, dachte Erik bei sich. Zumindest wusste er sehr genau, wen er nur zu gern als Partner für diese Zweisamkeit gehabt hätte.
Vorerst ließ sich aber an der ungewollten Begleitung nichts ändern. Berger lief voran, Erik einige Meter dahinter. Leider war der Weg hier breit genug, dass sich um sie herum eine nicht geringe Traube seiner Mitschülerinnen scharte.
Immerhin hatte Hanna keinen Platz neben Berger ergattert, soweit er erkennen konnte. Trotzdem blieb Erik wachsam, damit sich das nicht änderte. Vom Rest des Kurses hatte er schließlich nichts zu befürchten. Die waren zwar lästig, mehr aber auch nicht.
Bisher konnte Erik ohnehin nur hoffen, dass sich der Rest des Kurses eher früher als später verpissen würde. Sonderlich groß war diese Hoffnung zugegeben nicht. Aber bekanntlich starb sie als letzte.
‚Hoffentlich stirbt heute gar niemand‘, verhöhnte Erik umgehend genau die Stimme in seinem verfluchten Hirn, die ihn in den letzten Tagen erstaunlich oft in Ruhe gelassen hatte.
Entsprechend heftig musste er sich auf die Lippe beißen, um keinen dummen Kommentar abzulassen. Da Berger zwar einige Meter vor ihm lief, aber im Gegensatz zur gestrigen Wanderung heute nicht als Gesprächspartner zur Verfügung stand, würde er damit sowieso nicht wirklich punkten können.
Da sie diesmal keiner festen Stadtführung folgen würden, verabschiedeten sich die Ersten glücklicherweise recht bald. Die Nächsten verloren sie, nachdem ein Klamottengeschäft in Sichtweite kam. Und weitere auf dem Weg durch die anschließende Einkaufsstraße. Da Eriks Blick weniger den potenziellen Sehenswürdigkeiten und schon gar nicht den Geschäften galt, bemerkte er erst relativ spät, wie deutlich ihre Gruppe nach gut zwanzig Minuten geschrumpft war.
„Hat noch jemand außer mir Hunger?“, fragte Sophie mit einem Mal in die Runde.
Erik hielt sich mit einer Antwort zurück. Etwas zu essen klang durchaus verlockend, wie sein prompt knurrender Magen bestätigte. Aus dem Augenwinkel konnte er aber sehen, wie Hanna sich näher in Richtung Berger schob.
Solange Erik die beiden im Auge behalten musste, würde er wohl mit dem knurrenden Magen leben müssen. Jedenfalls, wenn die Alternative bedeutete, dass die zwei womöglich sogar alleine weitergehen würden.
‚Kommt nicht infrage!‘
Tatsächlich war es aber Berger, der sonst ja eher zur Dauerdiät zu neigen schien, welcher als Erster antwortete: „Das klingt nach einem vernünftigen Vorschlag, Sophie.“