15 – Schlechte Gesellschaft
Berger war der Erste, der seine Sprache wiederfand und auf den jungen Mann zu trat. Der hatte sich auf Sandros dämliche Bemerkung hin zunächst etwas verwundert umgesehen, bevor er lachend mit den Schultern zuckte. Ganz sicher hatte Erik nicht vor, sich irgendetwas anmerken zu lassen, also starrte er stoisch und mit vermutlich reichlich finsterer Miene zu dem Neuankömmling.
‚Pierre.‘
Nicht, dass sich Erik tatsächlich für den Namen von dem Kerl interessierte. Dessen Offenheit ließ aber zumindest vermuten, dass es irgendwo hier in diesem Kaff eine Szene gab, in der nicht nur Pierre, sondern auch Erik Gleichgesinnte finden würde.
Wie sich recht schnell herausstellte, war das schillernde Vögelchen ihr Stadtführer. Nachdem scheinbar zwischen Berger und Pierre alles Wesentliche geklärt war, wandte Letzterer sich an den Rest des Kurses: „Trés bien! Beginnen wir mit der Führung.“
Nicht nur Eriks Kopf schnellte überrascht über das nahezu akzentfreie Deutsch wieder nach oben. Sofort setzte leises Gemurmel ein und aus den Reihen der Damen war vereinzelt verhaltenes Gekicher zu hören. Erik war sich recht sicher, dass der eine oder andere zögerliche Blick auch in seine Richtung wanderte. Finster sah er zu Boden. Das war dermaßen Klischeebeladen, dass es schon fast körperlich wehtat.
‚Vermutlich sieht Dominik inzwischen ebenso aus‘, belehrte Eriks innere Stimme ihn sofort.
Nicht, dass das irgendeinen Unterschied machen sollte. Schließlich war Erik mit dem Kerl seit über einem Jahr nicht mehr zusammen. Und fand das abgesehen von den Folgen der Trennung inzwischen sogar ausgesprochen richtig so.
„Bitte folgt mir und bleibt alle schön nah beieinander. Bei mir darf man übrigens gern auf Tuchfühlung gehen. Einfach fragen. Ich beiße nicht. Jedenfalls nicht, solange man mich nicht darum bittet.“
Das schallende Lachen ließ Erik zusammenzucken. Der Versuch in der Masse unterzugehen war bei seiner Größe allerdings reichlich sinnlos – zumal um ihn herum im Augenblick nur mehrere der deutlich kleineren Schülerinnen standen. Am liebsten würde Erik sich absetzen. Auf eine Stadtführung hatte er ohnehin keine Lust und bei dem inzwischen leiser vor sich hinträllernden Vögelchen da vorne sowieso nicht.
Wenigstens gelang es Erik, sich zum hinteren Teil der Gruppe zurückfallen zu lassen, als die sich langsam in Bewegung setzte. Selbst von dort konnte er ganz vorn Frau Farin und mehrere Schülerinnen erkennen, die sich augenscheinlich blenden mit Pierre verstanden.
Der stoppte alle paar Meter und erklärte irgendetwas zu einem der Gebäude. Da waren das Rathaus und die Kirche, beides offenbar schon steinalt und in diversen Kriegen, Aufständen, was auch immer mehrfach zerstört und trotzdem wieder aufgebaut worden.
Da er so die Gelegenheit hatte, sich zunehmend weiter zurückfallen zu lassen, blieb Erik bei jedem der Gebäude länger stehen, als der Rest der Meute um ihn herum. Beim dritten Mal wurde er dabei ziemlich unsanft zur Seite geschubst.
„Na, Hoffmann? Was machst Du denn hier hinten? Die Tucke da vorn dürfte doch ganz nach deinem Geschmack sein. Den kannste sogar als Freundin ausgeben.“
Erik konnte förmlich spüren, wie sein ohnehin auf Anschlag gespannter Geduldsfaden endgültig zerriss. „Quatsch ihn doch selbst an, wenn er dir so gut gefällt, Sandro. Wobei Pierre nicht aussieht, als ob er jemanden wie dich nötig hätte.“
Es war dumm, den Affenkönig direkt zu provozieren, aber nachdem der gestrige Tag derartig ungünstig verlaufen war, schien der heutige nicht besser zu werden. Und das zehrte zunehmend heftiger an Eriks Nerven. Zumal Pierre zwar verflucht sexy aussah, aber mit seiner so offenen Art für Erik eher ein rotes Tuch darstellte, von dem er sich besser fernhielt.
„Suchst du Ärger, Schwuchtel?“, fauchte Sandro bereits und schubste Erik nach hinten.
Er schaffte es, sich abzufangen, und funkelte seinerseits Sandro wütend an. „Läuft’s bei dir im Bett so scheiße, dass du mal wieder eine Tracht Prügel brauchst, damit Ines Krankenschwester spielen kann. Oder was?“
„Wie bitte?!“
„Schluss jetzt!“, mischte in diesem Augenblick Berger genervt ein und baute sich zwischen ihnen beiden auf. „Benehmen Sie sich gefälligst. Die Leute hier haben garantiert keine Lust auf eine Vorstellung Ihres kindischen Machogehabes.“
Der Blick, den Berger Erik zuwarf, ließ diesen vorsichtshalber einen halben Schritt nach hinten treten. Zunächst wandte ihr Lehrer sich aber erneut an Sandro und deutete auf Ines und anschließend in Richtung des vorderen Teils ihrer Gruppe.
„Sie beide und der Rest Ihrer Freunde laufen vorn. Eine solche verbale Entgleisung entspricht ja wohl nicht dem Niveau, das Sie als Abiturient zeigen sollten.“ Mit weiterhin wütend blitzenden Augen fuhr Berger danach herum und sah Erik mit zusammengekniffenem Mund an, womit er ebenso seine Standpauke bekam: „Und Sie, Herr Hoffmann, reißen sich bitte ebenfalls zusammen.“
„Na los, Sandro“, meinte Ines in diesem Moment betreten und zog selbigen am Arm mit sich in die von Berger angegebene Richtung. „Es ist die letzte Woche. Jetzt lass es endlich gut sein.“ Sandro hatte keine Chance zu widersprechen, während er fortgezogen wurde. Das hielt ihn aber nicht davon ab, düster zu Erik zu schauen.
Der konnte das jedoch nur aus dem Augenwinkel erkennen, denn Eriks eigenen Augen lagen weiterhin auf Berger. Der sah inzwischen weniger wütend, als eher genervt und vielleicht auch eine Spur enttäuscht aus.
Mit ernstem aber nicht mehr so erbostem Blick trat er auf Erik zu und flüsterte: „Es würde helfen, wenn Sie ihre Wutausbrüche etwas besser unter Kontrolle halten könnten.“
„Wieso ich?“, zischte Erik ebenso leise zurück. „Er hat angefangen. So wie immer. Und das wissen Sie genau!“
Berger schnaubte. „Das ist am Ende vollkommen egal, denn das sieht niemand mehr, wenn Sie sich die Schädel eingeschlagen haben.“ Verwirrt blinzelte Erik seinen Lehrer an. Der schüttelte jedoch nur mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf und wandte sich ab.
„Bleibt zusammen“, rief in diesem Moment ihr Stadtführer lautstark über den Platz. „Wir kommen jetzt in einen Teil der Stadt, in dem man sich schnell verlaufen kann.“ Seine Stimme klang nicht mehr ganz so fröhlich wie zuvor. Auch die Blicke, die er vor allem Sandro und Erik selbst zuwarf, waren reichlich verhalten.
‚Kann man ihm nicht verübeln.‘
Dummerweise hatte Berger recht – wie so oft. Obwohl Erik das nur ungern zugab. Am Ende des Tages spielte es für Leute wie diesen Pierre oder den Rest des Kurses wohl tatsächlich keine große Rolle, wer den Streit angefangen hatte. Entscheiden war, wie er endete. Und da konnte Erik im Augenblick nicht als Sieger glänzen.
„Unser kleines Städtchen ist zwar normalerweise ausgesprochen friedlich“, fuhr Pierre laut fort und dabei wanderte sein Blick erneut zwischen Erik, Sandro und Berger hin und her. „In den Gassen hier kann man sich allerdings recht schnell verlaufen und steht als Tourist dann oft dem ... einen oder anderen Problem gegenüber.“
„Alles ... okay?“, fragte Sophie mit einem Mal neben Erik, als sich ihr Tross allmählich in Bewegung setzte.
„Ich bin kein Baby, das sich vor einem Idioten wie Sandro in die Hosen macht“, gab Erik grummelig zurück.
„Rich...tig.“
Sie zögerte zwar einen Moment, schließlich wandte Sophie sich trotzdem ab und eilte zu ihren Freundinnen. Erik fuhr sich unsicher über die kurzen Haare und sah ihr nach. Das hatte er ja super hinbekommen. Wirklich bedauern konnte er es allerdings nicht, denn diese klare Einteilung der Fronten machte am Ende das Leben schlicht einfacher.
Er hier, alle anderen dort drüben. Früher war der Gedanke nicht so beschissen gewesen.
„Fallen Sie nicht zurück“, ermahnte ihn in diesem Moment Frau Hirvi, die am Ende der Gruppe lief.
„Natürlich“, murmelte Erik und setzte sich neben ihr in Bewegung.
Hier hinten würde er weder Pierre noch Sandro oder Berger zu nahe kommen und damit hoffentlich Ruhe haben. Ein suchender Blick über die Gruppe fand den schwarzen Haarschopf ein Stück weiter vorn. Selbstverständlich war Berger von einigen Mädchen aus dem Kurs umringt. Darunter – wie üblich – Hanna.
Genervt wandte Erik den Blick ab und starrte stattdessen auf seine eigenen Füße. Einen vor den anderen gesetzt lief er gelangweilt über das Kopfsteinpflaster. Erst als das Gedränge um Erik herum stärker wurde, sah er wieder auf und musste feststellen, dass die Gassen, durch die sich ihre Gruppe schob, inzwischen recht schmal geworden waren. Es konnten gerade zwei Leute nebeneinander laufen, ohne sich so nah zu kommen, dass es peinlich werden würde. Auf diese Weise zog sich ihre Reisegesellschaft immer weiter auseinander.
Pierre war derweil weder zu hören noch zu sehen. Und auch Bergers schwarzer Haarschopf weiter vorn zwischen den Schülern war verschwunden. Genervt stapfte Erik hinter dem Rest her – neben sich Frau Hirvi, die mit ihm zusammen das Schlusslicht der Gruppe bildete.
Zwischendurch drangen Stimmen der vor ihnen Laufenden nach hinten durch und gaben irgendeine Erklärung weiter, die Pierre angeblich am Anfang ihrer Gruppe herausgehauen hatte. Wie bei ‚stille Post‘ üblich war Erik sich jedoch ziemlich sicher, dass das, was bei ihm am Ende ankam mit dem, was Pierre gesagt hatte, nicht mehr viel gemein haben dürfte.
„Was ist denn das für ein Unsinn“, murmelte irgendwann Frau Hirvi genervt und drängelte sich durch die vor ihnen laufenden Schülern, um herauszufinden, wer sich da einen Scherz erlaubte. Für Erik war das nicht wirklich eine Frage. Es dürfte ja wohl klar sein, wessen Affenbande dafür verantwortlich war. Letztendlich war es Erik aber so oder so egal. Denn für den Inhalt der Führung interessierte er sich genauso sehr, wie für deren Leiter.
Missmutig stapfte Erik weiter hinter den Mädchen her. Die hatten wenigstens jemanden zum Quatschen, um diesen Unsinn zu ertragen. Wenn er Sophie nicht verprellt hätte, könnte er das von sich selbst vielleicht auch behaupten. Nicht, dass er sich sonderlich um Gesellschaft reißen würde, aber dann würde er nicht wie der letzte Volltrottel alleine hier herumlaufen.
‚Wozu?‘, fragte es prompt verwundert in Eriks Kopf. ‚Das sind eure letzten gemeinsamen Tage. Danach siehst du keinen von diesen Idioten jemals wieder.‘
Der Gedanke ließ ihn stocken. In Eriks Bauch zog sich etwas zusammen. Es waren eben nicht nur die anderen Schüler oder Schülerinnen, die Erik in diesem Fall nicht mehr sehen würde. Berger wäre in einer Woche mit ziemlicher Sicherheit auch für immer aus seinem Leben verschwunden. Vergeblich wartete Erik auf die Stimme im Kopf, die ihn anfuhr, dass das schließlich super wäre. Immerhin war der Blödmann nur ein Lehrer. Zu alt, zu kompliziert, zu viel von allem, was Erik nicht in Worte fassen konnte.
Seufzend sah er auf und setzte an, weiter zu gehen. „Was zum ...?“, keuchte Erik erschrocken, als er vor sich keinen ihrer Gruppe mehr ausmachen konnte. „Scheiße!“ Hastig lief er zur nächsten Hausecke und betrat die Gasse, die von dort weiterführte. Aber hier war ebenso niemand zu sehen. „Verdammt noch mal!“, fluchte Erik erneut. Wo waren die anderen langgelaufen?!
‚Warum träumst du auch schon wieder rum?!‘
Obwohl er keine Ahnung hatte, ob das hier der richtige Weg war, rannte Erik zur nächsten Ecke. Auch hier war niemand zu sehen. Den Lärm dieser Chaoten sollte man doch eigentlich in der halben Stadt hören. Also versuchte er, nach Sandros vorlauter Klappe zu lauschen. Aber da war nichts. Alles, was Erik hörte, war ein pulsierendes Rauschen in seinen Ohren, das zunehmend stärker wurde.
Wo zum Teufel war der Blödmann von Lehrer, der Erik doch sonst ständig im Auge behielt? Jetzt, wo er tatsächlich mal hilfreich wäre, ließ er sich natürlich nicht blicken. Dabei hätte er ausnahmsweise nichts dagegen, dieses wütende Fauchen zu hören.
„Das kann doch nicht wahr sein“, zischte Erik.
Die Gruppe von Chaoten konnte sich schließlich nicht schlagartig in Luft aufgelöst haben! Man hörte die doch sonst auf drei Kilometer Entfernung. Noch vor ein paar Minuten hätte Erik sich genau deshalb nur zu gern abgesetzt, um von dem Sauhaufen loszukommen. Nach der Standpauke eben, würde sein Verschwinden aber zumindest bei Berger garantiert den völlig falschen Eindruck hinterlassen. Eilig stürzte Erik vorwärts. Versuchte, irgendwo in einer der Gassen jemanden aus seinem Kurs auszumachen. So weit konnten die schließlich nicht weg sein.
‚Ist doch scheißegal!‘
Nein, war es nicht! Denn Erik hatte für heute schon genug Ärger gehabt. Und der Gedanke, Berger weiter zu verärgern, behagte ihm gar nicht.
‚Denk nach!‘, forderte Erik sich selbst auf und stoppte.
Wo auch immer es lang ging, wenn er anfing, in den schmalen Gassen im Kreis zu laufen, würde er gar nichts erreichen. Logisch an die Sache rangehen. So riesig war das Kaff hier schließlich nicht. Wenn Erik einfach immer die gleiche Richtung lief, musste er aus diesem Gassengewirr auskommen oder auf seinen Kurs treffen.
‚Berger verpasst dir einen Einlauf, für diesen Scheiß.‘
Schon konnte Erik spüren, wie ihm das Blut in den Kopf schoss bei dem Gedanken, dass das unter anderen Umständen und weniger übertragen gemeint sein könnte.
„Krankes Hirn“, zischte er zähneknirschend.
Erneut sah Erik sich in der schmalen Gasse um. Da hörte er mit einem Mal Stimmen von weiter links. Na also! War doch klar gewesen, dass er den Rest des Kurses allein aufgrund deren Lautstärke wieder finden würde. Erleichtert lief Erik in die Gasse, aus der er die Stimmen gehört hatte. Verständlich waren die Worte zwar nicht, aber selbst wenn es nicht sein Kurs sein sollte, könnte er ja wen auch immer Erik dort traf einfach fragen, wie er zum Strand kam. Irgendwann mussten die Übrigen da ja auftauchen.
Ein merkwürdiges Kribbeln floss mit einem Mal Eriks Rücken entlang. Ein ähnliches Gefühl hatte er am Vortag schon einmal gehabt. Dort hatte er angenommen, dass Berger ihn angestarrt hatte. Heute fühlte es sich aber deutlich weniger angenehm an. Unsicher hielt Erik an und blickte sich um. Es war jedoch niemand zu sehen. Er konnte die Stimmen trotzdem weiterhin hören und es klang, als ob sie noch immer von links kamen. Also bog er an der nächsten Ecke in diese Richtung ab – nur um prompt erneut zu stocken.
„Sackgasse. Scheiße“, fluchte Erik leise und drehte sich um. Vielleicht die nächste Seitenstraße.
Er hatte gerade die Ecke umrundet, als mit einem Mal sein Gesicht gegen eine der Hauswände gepresst wurde. Die raue Oberfläche kratzte unangenehm an der Haut auf Eriks Wange. Keuchend stemmte er sich nach hinten, schaffte es, sich dabei loszureißen und herumzudrehen.
Fast rechnete Erik damit, dass es Berger, mit einem fetten Grinsen im Gesicht, sein würde. Dazu der dämliche Spruch, dass Erik wohl mal wieder auf der Suche nach Ärger war. Als er stattdessen in die hässliche Visage von einem reichlich ungepflegt wirkenden Kerl starrte, wünschte Erik sich die Standpauke umso mehr herbei.
Von irgendwo waren weitere hastige Schritte zu hören. ‚Pierre hat euch gewarnt‘, dröhnte es bereits anklagend in Eriks Kopf.
Als er kurz nach links blickte, war dort niemand zu sehen. Wenigstens war der Weg bisher nicht abgeschnitten. Aus dem Augenwinkel bemerkte Erik gerade noch rechtzeitig, dass der ungepflegte Kerl zum nächsten Angriff überging. Schnell hob er den Arm und schaffte es mit einem Ächzen, den Schlag abzufangen. Mit aller Kraft stemmte Erik sich gegen den Mann. Es gelang ihn, den Kerl dabei von sich zu schubsen. Als Erik sich umdrehte, um den Rückzug anzutreten, stand da jedoch ein weiterer Mann. Der sah mit seinem struppigen Vollbart nicht wirklich freundlich aus.
‚Andere Richtung!‘
Ehe Erik dazu kam, erneut zu wenden, wurde er von hinten unter den Armen gepackt. Die Hände in Eriks Nacken verschränkt, hielt der erste Mann ihn davon ab, die Flucht zu ergreifen.
„Loslassen!“, rief Erik, obwohl er nicht wirklich damit rechnete, dass einer von diesen Kerlen irgendwas tun würde, was er sagte – insofern sie ihn überhaupt verstanden.
Eine Faust landete in Eriks Magen und presste ihm mit einem überraschten Keuchen die Luft gleich mit aus den Lungen. Der Kerl hinter Erik schleuderte ihn zusätzlich herum, sodass er, mit dem Gesicht voraus, auf dem dreckigen Kopfsteinpflaster landete. Erik schrie vor Schmerz kurz auf, als sein rechte Knie unsanft auf den Boden prallte.
‚Scheiße. Genau auf den Knochen. Das hat wehgetan.‘
Schon saß einer der Kerle auf Eriks unteren Rücken und zerrte ihm mit aller Gewalt den Rucksack herunter. Währenddessen brüllte der Typ ihm irgendwas auf Französisch ins Ohr. Jedenfalls nahm Erik an, dass es Französisch war, denn wie üblich verstand er kein Wort. Irgendwie musste er hier wegkommen.
‚Scheiße, Mann! Wofür warst du jahrelang im Ringen?!‘
Erik riss die Augen auf. Richtig! Schließlich hatte er nicht derart viele Jahre damit zugebracht, den Bauch über der Matte zu halten, um sich hier zwei versifften Arschlöchern geschlagen zu geben. Erik zog ein Knie zum Bauch heran und bäume sich unter dem Angreifer auf. Tatsächlich schaffte er es so irgendwie, den Kerl zur Seite abzuschütteln und ihm stattdessen die Schulter in die Brust zu rammen.
Der andere Mann wühlte einen halben Meter entfernt in Eriks Rucksack und murmelte dabei irgendwas vor sich hin. Nachdem der gestrige Tag so beschissen verlaufen war und der heutige bisher nicht besser geworden war, hatte Erik jetzt wirklich keine Lust, sich auch noch beklauen zu lassen. Zumal er für die paar Kröten, die in dem Rucksack waren, genug Nerven bei Alex hatte opfern müssen.
Zähneknirschend rappelte Erik sich weiter auf und stürzte sich auf den Mistkerl, der weiterhin seine Sachen durchwühlte. Kaum dass er den Mann beiseite gestoßen hatte, tastete Erik nach dem Rucksack und zog ihn zu sich heran.
‚Nichts wie weg!‘
Doch bevor Erik es schaffte, aufzustehen, war der zweite Kerl schon wieder da und stürzte sich erneut auf ihn. Er zerrte Erik beiseite und schrie dabei weiter unverständliches Zeug. In dem sinnlosen Versuch, den Mann irgendwie von den Beinen zu holen, trat Erik keuchend nach seinem Angreifer. Der wich jedoch geschickt aus. Ehe Erik es sich versah, hatte ihn schon wieder der zweite Mann am Kragen gepackt. Mit einem Ruck wurde er nach hinten gezerrt und schlug rückwärts auf der Straße auf.
Das Nächste, was Erik sah, war entsprechend ein Haufen Sterne. Leider nicht am Himmel, sondern vor seinen Augen. Den beiläufigen Tritt in den Magen merkte Erik angesichts der allmählich verblassenden Kugelgalaxie im Kopf wenigstens nicht wirklich. Die Faust in seinem Rücken auf Nierenhöhe war allerdings schmerzhaft genug, um Erik erneut zum Aufschreien zu bringen. Dahinter verblasste sogar das Dröhnen in seinem Kopf.
Entschlossen, seine Sachen diesen Kerlen nicht zu überlassen, presste Erik dennoch den Rucksack an die Brust. Und tatsächlich hörten die Schläge auf – wurden erneut durch unverständliches Gebrülle der beiden Männer ersetzt. Im Hintergrund konnte Erik weitere Schritte hören, die sich rasch näherten. Er seufzte, drehte sich auf den Bauch und presste den Kopf gegen das kühle Kopfsteinpflaster.
‚Was für ein beschissener Urlaub!‘
Und dabei hatte vor ihrer Abfahrt tatsächlich einen Moment lang an Alexanders Worte glauben wollen. Dass er diese dämliche Fahrt irgendwie würde genießen können. Ein paar hübsche Franzosen – wenn schon nicht näher kennenlernen, dann wenigstens lüstern anstarren. In dem Punkt wäre etwas mehr Sinn für Realität vielleicht angebracht. Dass die Fahrt derart scheiße verlief, war aber nun wirklich nicht fair.
Der Rucksack wurde Erik jetzt doch mit Gewalt aus den Armen gezerrt und ein weiterer Tritt landete auf seinem Rücken. Von Sandro war Erik im Laufe des letzten Jahres deutlich heftiger vermöbelt worden. Was das anging, waren die Typen Amateure. Aber auch wenn der Schmerz erträglich war, krümmte Erik sich zusammen, wollte nur noch nach Hause. Da war sein Leben zwar auch scheiße, aber zumindest wurde er da nicht mehr ständig verprügelt. Und beklauen würde ihn da ebenfalls keiner.