66 – Überzeugtes Nein
Erik biss die Zähne zusammen und warf wütende Blicke in Richtung Kirche. Jedenfalls hoffte er, dass die auf genau diese Weise bei dem Dickkopf da drüben ankommen würden. Der bemerkte ihn aber erst einmal überhaupt nicht, sondern schien vielmehr mit dem Handy am Ohr, beziehungsweise mit dem Gespräch, das er durch selbiges führte, beschäftigt zu sein.
„Ich bitte Sie“, gab Berger mit einem humorlosen Lachen gerade zurück. „Wir reden hier doch nicht über einen Fünftklässler.“
Mit einem wütenden Schnauben trat Erik vor und baute sich am unteren Ende der Treppe direkt vor Berger auf. Endlich hatte der auch die Güte, ihn zu bemerken.
Anstatt von Überraschung zeigte sich jedoch ein geradezu hinterhältiges Grinsen auf Bergers Lippen, das Erik zunächst ins Herz fuhr – und kurz darauf vierzig bis fünfzig Zentimeter tiefer ein Kribbeln auslöste. Eines, das er in den letzten Tagen nicht mehr ganz so häufig gespürt, aber rückblickend extrem vermisst hatte.
„Frau Hirvi, bitte. Ich bin ... absolut ... sicher, dass Herr Hoffmann alleine klarkommt. Ist ja nicht so, als würde er sich permanent irgendwo verlaufen und in Schwierigkeiten geraten.“
Obwohl es unmöglich erschien, wurde Bergers Grinsen noch ein Stück breiter – und das Kribbeln in Eriks Schritt allmählich zu einem Pulsieren. In seiner Brust hämmerte das Herz, um die Blutversorgung anderer Körperregionen zu gewährleisten. Dieses Grinsen war so verboten sexy, dass Erik einmal mehr den Drang verspürte, es Berger einfach von den vorlauten Lippen zu küssen. Und für eine Sekunde war es Erik sogar egal, dass der fiese Sturkopf wahrscheinlich versuchte, ihn bewusst zu provozieren. Denn dieses Katz-und-Maus-Spiel war zu erregend, als dass er ihm sonderlich lange widerstehen konnte.
Kaum war der Gedanke aufgestiegen, wurde Erik klar, was es bedeuten würde, wenn er der Versuchung nachgab. Sich hier in der Öffentlichkeit diesen Kuss zu holen, würde Berger die perfekte Chance geben, ihn ein für alle Mal abzuservieren. Etwas, das der Dickkopf bisher ja in solcher Direktheit vermieden hatte.
‚Vergiss es!‘, sagte Erik sich selbst und rang sich ein eigenes, vermutlich reichlich gequält wirkendes Lächeln ab.
„Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte Berger erneut in das Handy. Das Grinsen wurde kleiner, verwandelte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen in ein Lächeln. „Ich bin sicher, Erik wird demnächst wieder auftauchen.“
Damit legte er auf und steckte das Handy in die Hosentasche. Als Berger den Kopf hob, sagte er nichts, sah stattdessen schweigend – und diesmal ohne ein Lächeln – zu Erik hinunter. Auch wenn er das Seufzen nicht hören konnte, war Erik sich sicher, dass es Berger entkam, während dieser sich durch die Haare fuhr.
‚Er sucht die richtigen Worte‘, sagte Erik sich selbst und konnte das sofort aufkommende Lächeln kaum zurückhalten. Die Tatsache, dass ausgerechnet sein Deutschlehrer um die passenden Worte verlegen schien, löste den Druck um Eriks Brust wenigstens ein Stück weit auf.
„Hab es geschafft, mich nicht zu verlaufen“, meinte er schließlich mit einem Schulterzucken, nachdem Berger weiterhin schwieg. „Andererseits hätten Sie mich ja vielleicht eher gefunden, wenn mir das nicht gelungen wäre.“
Berger schüttelte lächelnd den Kopf, trat diesmal aber die Stufen hinunter, bis er neben Erik stand. „Ich nahm an, dass das ein Niveau ist, auf das Sie sich nicht begeben möchten.“
Langsam nickte Erik. „Richtig“, murmelte er, wohlwissend, dass Berger auf Hannas Versuche anspielte, an dessen Ritterlichkeit zu appellieren.
„Frau Hirvi war ziemlich aufgelöst. Offenbar sind Sie mit zwei Mitschülern fortgegangen und die kamen ohne sie zurück.“
„Sind beide nicht mein Typ“, meinte Erik daraufhin trocken, bevor er den Quälgeist in seinem Kopf davon abhalten konnte, die Worte laut auszusprechen.
„Aha“, war alles, was Berger dazu sagte. Das sanfte Lächeln, das dabei weiterhin seine Lippen umspielte, erhielt diese winzige Hoffnung in Erik am Leben.
Immerhin redete Berger nach dem ‚Vorfall‘ in der letzten Nacht mit ihm. Und das sogar recht ungezwungen. Jedenfalls erweckte es nicht den Eindruck, als würde Berger Erik bewusst aus dem Weg gehen.
Eine Befürchtung, die, nachdem Berger am Morgen einfach verschwunden gewesen war, durchaus berechtigt erschien. Der Gedanke erinnerte Erik daran, warum er überhaupt alleine in der Stadt unterwegs war. Prüfend ließ er einen Blick über Berger vor ihm gleiten. Der achtete glücklicherweise nicht auf ihn, sondern trat um Erik herum.
„Es ist wohl besser, wenn ich Sie zu den anderen zurückbringe“, bemerkte Berger.
Noch immer schwang dieses Lächeln in seiner Stimme mit. Und zur Abwechslung war Erik sich ziemlich sicher, dass er sich das nicht nur einbildete. Das Kribbeln zog sich von der Wirbelsäule um die Hüften nach vorn. Schon waren da die ersten Ausläufer des angenehmen Pulsierens, das Erik in den letzten Tagen viel zu selten gespürt hatte. Leider war jetzt der absolut falsche Augenblick dafür. Ein kurzer, aber tiefer Atemzug und es wurde glücklicherweise schwächer. Folgsam setzte auch Erik sich in Bewegung und trottete ein paar Schritte hinter Berger her.
Dessen Rückseite stellte heute Morgen allerdings einmal mehr eine ausgesprochen große Herausforderung an Eriks Konzentration dar. Offfensichtlich stieg die Mittagshitze ihm zu Kopf – jetzt wo er beruhigt sein konnte, dass Berger okay zu sein schien. Das würde zumindest erklären, warum es so wirkte, als würde sich der nette Hintern heute besonders einladend hin- und herbewegen. Prompt wurde das Pulsieren in Eriks Schritt schon wieder stärker.
„Ich hab kein Problem damit, meine Zeit lieber mit Ihnen zu verbringen als mit dem Rest der ... des Kurses“, murmelte Erik in dem reichlich sinnlosen Versuch, seine Gedanken von dem Anblick abzulenken.
Da er nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass Berger ihn hörte, überraschte dessen verhalten klingende Antwort entsprechend: „Es ist Ihre Abschlussfahrt, Erik. Vergeuden Sie die nicht.“
Der Sturkopf wusste genau, wie man die Stimmung zu Grabe tragen konnte. Statt des netten Kribbelns in Bauch und Schritt legte sich ein verdammtes Stahlband um Eriks Eingeweide und zog sie zusammen. Er senkte den Blick, um ebendiesen nicht mehr permanent auf ein bestimmtes Hinterteil zu richten. Das Band zog sich jedoch mit jeder Sekunde schmerzhaft fester.
Alex hatte gesagt, er sollte die Fahrt genießen. Und wenn Erik absolut ehrlich zu sich war, hatte er das bisher nicht wirklich geschafft. Wobei es durchaus ‚Momente‘ gegeben hatte.
Die hatten zwar nicht das Geringste mit dem zu tun, was Alex gemeint hatte, aber trotzdem kam Erik nicht umhin zuzugeben, dass er sie genossen hatte. Diese Momente, in denen Berger nicht ganz so verschlossen gewesen war – in denen Erik daran hatte glauben können, dass er sich nicht schon wieder in irgendetwas verrannte, was keine Zukunft haben konnte.
„Gehen Sie mit mir aus, dann ist es nicht verschwendet“, platzte es aus Erik heraus, bevor er sich bremsen konnte.
Berger antwortete nicht, lief stur voran. Um die nächste Ecke herum. Eine weitere Gasse entlang – wo auch immer sie hinliefen. Erik war es egal. Er folgte, so wie er in den letzten Tagen stets gefolgt war. Ein Teil von ihm drängte jedoch danach, etwas zu unternehmen. Irgendetwas sagen oder tun, was ihm diese ominöse Chance einbringen würde.
„Was hat der Arzt gesagt?“, war alles, was Erik jedoch hervorbrachte. Dass seine Stimme zitterte, versuchte er zu ignorieren.
Schweigen. Was hatte er erwartet? Dass Berger tatsächlich zum Arzt gegangen war? Lächerlich. Der Kerl hatte sich die Hand blutig aufgerissen, während er Erik aufgefangen hatte. Für die blöde Hanna hatte der Sturkopf sich sogar verprügeln lassen. Dabei machte Berger nicht den Eindruck, als hätte er Spaß an den Schmerzen.
Andererseits hatte Erik seinerseits ja scheinbar auch ein krankhaftes Interesse an dem Ziehen, Reißen, Rumoren und sonstigen Mist in seinem Inneren gefunden. Warum sonst sollte er sich dieser Qual weiterhin aussetzen, anstatt sich Berger endlich aus dem Kopf zu schlagen? So, wie der es von Erik ja regelrecht gefordert hatte.
‚Er hat gelogen‘, behauptete der Quälgeist sofort. Machte er ja seit Monaten.
Wie weit konnte Erik diesem Arschloch in seinem Kopf glauben? Er brauchte Klarheit. Sicherheit. Eine Antwort, die mehr war als: „Vielleicht. Irgendwann. Oder auch nicht. Entscheiden Sie selbst.“
„Sie waren in der Kirche“, murmelte Erik mit einem Mal. „Wollte Gott jetzt doch irgendetwas von Ihnen?“
Abrupt hielt Berger an – plötzlich genug, als dass Erik beinahe in diesen hineingelaufen wäre. In seiner Brust drückte etwas von innen gegen die Rippen. Wollte raus und gehört werden. Aber Erik hielt sich zurück.
Und so war es schließlich Berger, der langsam antwortete: „Vielleicht spricht er tatsächlich mit jemandem. Von mir hält er sich fern. Wäre besser, wenn ... andere das auch täten.“
Das Kribbeln, das schon wieder seinen Rücken entlang nach unten lief, erinnerte Erik nur zu gut daran, wie er sich in diesen Deutschstunden ständig gefühlt hatte. So vertraut und dennoch hatte er manchmal den Eindruck, als wäre er ein anderer Mensch gewesen.
Vielleicht war er das ja auch.
Zumindest würde das erklären, warum sich Eriks Arme mit einem Mal um gar nicht so schmale Schultern legten und einen Mann an ihn pressten, der ihm eben gesagt hatte, er sollte sich besser von ihm fernhalten. Schon wieder – wenn auch nicht so direkt wie am Vorabend.
Vielleicht lag der Sturkopf damit ja nicht mal daneben. Aus dem schlichten Grund, da die blöde Hanna mit dem einen oder anderen, was sie gesagt hatte, durchaus richtiglag. Als sein Schüler stellte Erik mit dem hier für Berger garantiert eine deutlich größere Gefahr dar als Hannas dämliche Schwärmerei.
Das Dumme war, dass es Erik zwar bewusst war, er sich aber trotzdem nicht gegen diesen Drang in ihm wehren konnte. Das hier war kein Fehler, egal was alle anderen dachten. Es könnte sich doch niemals so verdammt richtig anfühlen, wenn es wirklich falsch wäre. Oder?
„Lassen Sie los, Erik.“
Anstatt genau das zu tun, weil es selbst in dieser im Augenblick verlassen wirkenden Gasse tatsächlich das einzig Richtige wäre, zogen Erik seine Arme nur noch fester um den Oberkörper vor ihm. Er wollte nicht loslassen, auch wenn Erik nicht hätte erklären können warum. Aber jetzt zurückzurudern käme einer Kapitulation gleich – und war somit inakzeptabel.
„Nein“, antwortete Erik deshalb stattdessen.
Ein kurzes Beben durchfuhr den Körper zwischen seinen Armen und brachte Erik dazu, diese umso fester zu ziehen. Vermutlich fing es für Berger allmählich an, schmerzhaft zu werden. Trotzdem ließ Erik nicht los. Jeder Atemzug schien sie noch deutlicher gegeneinanderzupressen.
Er schloss die Augen und senkte den Kopf, bis seine Lippen nur mehr Millimeter über dem schmalen Streifen Haut an Bergers Hals schwebten. Erik konnte es hören, dieses verfluchte Flüstern in seinem Kopf, das ihn dazu drängte, auch das letzte Stück des Weges zu gehen. Nur ein paar Millimeter, eine winzige Berührung.
Aber es würde nicht reichen, das wusste Erik genau. Es war kein sanfter Kuss, nachdem der Quälgeist rief, sondern ein deutlich tieferes Verlangen. Er schloss die Augen und versuchte vergeblich, sein heftig hämmerndes Herz wieder zu beruhigen. Ein tiefer Atemzug brachte auch keine Ruhe, sondern eher das Gegenteil. Denn was ihm in die Nase stieg, war nicht dieser verdammte Geruch von Aftershave, den Erik all die Monate mit Berger verbunden hatte, sondern eine Mischung aus Zigaretten und Schweiß unter der Mittagshitze.
Dabei waren sie im Augenblick im Schatten einer dieser verfluchten Gassen. Alleine. Es war niemand hier. Als Erik die Haut unter seinen Lippen spürte, spannte sich der Körper zwischen seinen Armen noch mehr an. Aber Berger stieß ihn nicht weg, sondern blieb stehen.
Wie lange würde er stillhalten? Wie weit konnte Erik gehen, ohne dass Berger ihn wegstieß? Wann würde er seine Chancen auf mehr als diese kurze körperliche Berührung endgültig verspielen?
„Nein“, wiederholte Erik erneut.
Diesmal klang seine Stimme deutlich rauer – jedenfalls in den eigenen Ohren. Wobei das unterschwellige Rauschen darin stetig lauter wurde. Eriks Augen waren weiterhin geschlossen. In ihm tobte der Kampf darum, seine Hände nicht dorthin wandern zu lassen, von wo es vermutlich kein Zurück – und ebenfalls keine weitere Chance auf dieses undefinierbare ‚mehr‘ – geben würde.
„Ich habe es Ihnen doch schon mehrmals gesagt“, flüsterte Erik heiser.
Für einen Sekundenbruchteil wurde er schwach und hätte beinahe der Versuchung nachgegeben. Aber am Ende schabten seine Zähne nur leicht über die Haut an Bergers Hals, anstatt tatsächlich zu markieren, was der Quälgeist lautstark als ‚seins‘ bezeichnete.
„Ich tue nichts, was Sie nicht wollen.“
Bergers Körper bewegte sich, aber es war nicht einmal ein halbherziger Versuch, sich aus der Umklammerung zu befreien. Nur ein kurzer Ruck, bei dem Erik sich für einen Sekundenbruchteil einbildete, der Sturkopf würde womöglich doch endlich nachgeben.
„Ich bin Ihr Lehrer“, hauchte Berger jedoch stattdessen. „Das hier ist falsch.“ Ein lächerlich leises Stimmchen, mit dem der Dickkopf sich vermutlich nicht einmal selbst überzeugen konnte.
Trotzdem lockerte sich Eriks Griff. Ganz ließ er Berger dennoch nicht los. Auf keinen Fall wollte er den Mann jetzt einfach entkommen lassen. Nicht so. Und schon gleich gar nicht mit dieser lächerlichen Ausrede. Aber für den Moment hatte Berger recht. Im Augenblick war der Mann noch sein Lehrer. Erik wollte nicht so dumm sein, alle Fortschritte der letzten Tage aufs Spiel zu setzen.
‚Versuchung ist ein Biest!‘
„Es ist nicht falsch“, gab Erik schließlich zurück. Vermutlich viel zu spät, um noch als angemessen zu gelten.
Irgendwo weiter weg waren Stimmen zu hören. Worte, die sich kaum über das weiterhin anhaltende Rauschen in Eriks Ohren hinwegsetzen konnten. War aber ohnehin egal, denn garantiert laberten die sowieso in einer Sprache, bei der er sich keine Mühe mehr geben würde, sie zu lernen.
Die Hitze des Tages, die Wärme des Körpers, der noch immer zu nah an Eriks Brust gepresst war – wenn auch nicht mehr ganz so fest wie zuvor. Dazu das Höllenfeuer, das in Erik brannte und weiterhin drohte, jeden letzten Funken Verstand in Asche zu verwandeln.
„Es ist nicht falsch.“
War das eigentlich Einbildung, oder wiederholte Erik hier tatsächlich ständig alles, was er sagte? Wenigstens hatte der Sturkopf bisher nicht widersprochen. Ein Hoffnungsschimmer. Zögerlich ließ Erik seine rechte Hand von Bergers linker Schulter abwärts gleiten – quer über den flachen Bauch. Der Druck, den Erik dabei ausübte, war gerade groß genug, um die festen Muskeln darunter spüren zu können.
„Falsch wäre nur ... wenn ich jetzt nachgebe und Sie endlich gegen diese Wand presse“, fügte Erik mit einem Zischen hinzu.
Es war so verdammt schwer, nicht die Kontrolle zu verlieren. Dabei hatte Erik das in den vergangenen Tagen doch auch ganz gut hinbekommen. Es war total einfach gewesen, nicht darüber nachzudenken, wie es sich anfühlen würde, wenn seine Hand erst einmal nicht über, sondern unter dem Hemd entlangfuhr. Keine glatte Haut, nein, Erik würde genau der Spur dieser Narbe folgen. Etwas, von dem Berger scheinbar gehofft hatte, dass es Erik abturnen, abschrecken würde. Offensichtlich erfolglos.
„Gestehen Sie sich endlich ein, was Sie wirklich wollen, Erik. Wenn Sie sich am Strand umsehen, finden Sie garantiert einen willigen Kandidaten genau dafür“, krächzte Berger mit einem Mal.
„Da brauche ich nicht am Strand zu suchen“, entgegnete Erik, bevor sein Verstand es schaffte, ihn aufzuhalten. „Sie weigern sich zwar, es zugeben, aber erzählen Sie mir nicht, dass Sie unter anderen Umständen nicht genauso ... willig wären.“
Erik schob die Hand tiefer. Kurz vor dem Hosenbund bremste er sich jedoch. Dieses verdammte Rauschen in seinen Ohren benebelte ihm allerdings weiterhin. Nun, womöglich nicht wirklich jeden, denn Bergers Geruch hing Erik sehr deutlich in der Nase. Nur zu gern hätte sich ein Teil von ihm darin verloren.
Es dauerte zwei, vielleicht auch drei Augenblicke und mindestens ebenso viele Atemzüge, bis Erik es schaffte, den Griff um Bergers Körper endlich zu lösen. Langsam trat er einen Schritt zurück. Noch zwei weitere tiefe Atemzüge und Eriks Herzschlag hatte sich wieder einem normalen Tempo angenähert. Das Rauschen in seinen Ohren nahm ab. Selbst das verräterische Ziehen in seinen Eiern war einigermaßen erträglich.
Da in den blöden Shorts nicht viel zu verstecken war, gab Erik sich nicht wirklich Mühe, den Griff in die Hose zu verbergen. So war sein Ständer zwar nur unwesentlich besser verborgen, aber zumindest deutlich bequemer. Und da Bergers Hinterteil sich inzwischen nicht mehr dagegen presste, würde dieser hormongesteuerte Verräter sich hoffentlich schnell wieder beruhigen.
Der Besitzer besagter Kehrseite starrte Erik aber inzwischen an und das half nicht wirklich, die eigene Erregung abschwellen zu lassen – in jedem irgendwie gearteten Sinne der Worte.
„Geben Sie mir ein paar Stunden Zeit und Sie werden mich anbetteln, dass ich Sie endlich kommen lasse.“
Erik erstarrte, kaum dass die Worte seinen Mund verlassen hatten. Wann hatte das Arschloch in seinem Kopf eigentlich die alleinige Kontrolle übernommen? Unsicher hielt Erik den Atem an und wartete auf Bergers Reaktion.
Dessen Augenbrauen waren so hoch gewandert, dass sie mit dem Haaransatz zu verschmelzen schienen. Bergers Mund klappte auf und prompt wieder zu. Es dauerte sicherlich zwei, drei Sekunden, bevor Erik klar wurde, dass er es tatsächlich geschafft hatte, den Mann sprachlos zu machen.
‚Scheiße, ja!‘
Da war wieder dieses Gefühl. Das gleiche, was Erik am Vortag bei Frau Farin verspürt hatte, als er der die Meinung gesagt hatte. Nein, diesmal war es sogar besser. Ein so verdammt befriedigendes Hoch, dass es Erik gefühlt einen halben Meter über dem Boden schweben ließ. Dazu das Bild, wie der Mann den Mund auf ganz andere Art und Weise einsetzte, das wie von allein kam.
‚Fuck, das ist beinahe zu viel!‘
Erik grinste und schob die Hände in die Hosentaschen. Die illusorische Vorstellung, mit Berger endlich auf Tuchfühlung zu gehen, war genug, um dem abklingenden Pulsieren in seinem Schritt neuen Auftrieb zu geben.
„Sie unterrichten doch Französisch. Ich kann Ihnen gern mal meinen ... Wissensstand vorführen, was das angeht. Mal sehen, worauf Sie sonst noch so stehen. Ich bin sicher, da wird sich einiges finden lassen ...“
In Eriks Brust hämmerte schon wieder der blöde Muskel gegen die Rippen, der ihm in den letzten paar Tagen so viel Ärger gemacht hatte. Berger starrte ihn weiter mit halb geöffnetem Mund an. Prompt lieferte der heute wieder als Arschloch auftretende Quälgeist zusätzliche passende Bilder. Eriks Hände ballten sich in den Hosentaschen zu Fäusten.
‚Er steht drauf! Mach weiter!‘
Einen Moment zögerte Erik, aber dann gab er nach. Allmählich hatte er hier nicht mehr viel zu verlieren. Und so ungern er es zugab: Diese Reaktionen von Berger hatte Erik bisher nur bekommen, wenn er auf dieses dämliche Flüstern in seinem Kopf gehört hatte.
Also fuhr Erik fort, darum bemüht, seine Stimme gelassen klingen zu lassen: „Ich werde Ihnen beweisen, dass ich kein beschissenes Kind mehr bin. Und dann werde ich rausfinden, ob ich das Arschloch, das Ihnen die Narben verpasst hat, finden muss, oder ob das schon jemand anderer für mich erledigt hat.“
Berger starrte ihn weiterhin wortlos an.
„Was? Sie haben gesagt, ich soll mir eingestehen, was ich will“, fuhr Erik unbeeindruckt fort.
Ohne zu zögern, machte Erik den Schritt wieder nach vorn, den er zuvor zurückgetreten war. Die Hände hielt er aber vorsorglich weiterhin in den Hosentaschen. Allerdings sicher nicht, um irgendetwas damit zu verstecken. Berger dürfte bis vor wenigen Augenblicken noch sehr genau gespürt haben, was sich unterhalb Eriks Gürtellinie abspielte.
Umgehend verschränkte Berger die eigenen Arme vor der Brust und trat seinerseits einen Schritt nach hinten, um den Abstand zwischen Ihnen wieder zu vergrößern.
„Ich habe kein Interesse daran, Ihre spätpubertären Fantasien zu befriedigen“, gab Berger schließlich mit gerunzelter Stirn zurück.
Erik verzog das Gesicht. Da war es wieder, dieses beschissene Totschlagargument, dass er nur seinen Hormonen folgte wie ein dämliches Kind. Zugegeben, der halbsteife Schwanz, mit dem Erik hier weiterhin stand, trug vermutlich nicht dazu bei, dieses Bild zu entkräften. Aber Berger war doch verflucht noch einmal auch kein alter Knacker. Der hatte garantiert genauso Bedürfnisse.
„Ich will Sie“, meinte Erik und sah Berger fest in die Augen. „Und zwar nicht ausschließlich im Bett. Nur falls das eben falsch rübergekommen ist.“
Schweigen. Die zusammengepressten Lippen Bergers sprachen nicht dafür, dass der von Eriks Worten überzeugt worden war. Aber immerhin standen sie weiterhin hier. Erik war geneigt, das als einen weiteren Erfolg zu verbuchen. Als Berger den Mund schließlich öffnete, um zu antworten, rechnete er trotzdem damit, dass jetzt die Abfuhr kam, auf die Erik gefühlt seit Tagen wartete.
„Warum soll ich Ihnen glauben?“, fragte Berger jedoch nur verhalten.
Erik lächelte und zuckte mit den Schultern. „Weil ich bei Ihnen immer ehrlich sein konnte. Sie haben mich nie dafür verurteilt, wer ich bin.“