»Lucien!«, keuchte Mathieu.
»Was ist? Bin ich zu spät?« Der Rothaarige lächelte milde und lehnte sich an den Rahmen der Tür. Er betrachtete den Blonden schamlos von oben bis unten und kräuselte dann seine vollen Lippen. »Wirklich heiß.«
Mathieu errötete, was man wegen des gedämpften Licht nicht sehen konnte und sah an sich hinunter. Erst jetzt begann er, sich in dem enganliegenden schwarzen Shirt wirklich wohl zu fühlen.
»Ist das hier Leder?«, schnurrte Lucien förmlich, streckte die Hand aus und strich über das Zierelement des Shirts.
»Glaub’ ... glaub’ nicht«, stotterte Mathieu und schluckte, als die kühlen Finger des Rothaarigen sanft über sein Schlüsselbein strichen, das durch den V-Ausschnitt offenlag. »Komm’ herein.«
»Nichts lieber als das«, grinste Lucien und zog sich die Kapuze vom Kopf. »Whoa, furchtbare Musik.« Der Jugendliche lachte. Er wollte nach Mathieus Hand greifen, zog seine aber schlagartig zurück, als der Klang seines Namens durch das Gewummer zu ihm drang.
»Lucien!«, rief Celeste erfreut und kam auf ihn zu. Ohne Zögern warf sie sich ihm um den Hals und presste ihren durch das Kleid aufgepushten Busen gegen dessen Brust. »Du bist wirklich gekommen.«
»Äh ... ja, hab’ ich doch gesagt. Mann, du hast dich vielleicht aufgemiezt.« Mit einem Seitenblick zu Mathieu tätschelte er ihr leicht den Rücken.
»Gefällt’s dir?«
»Ist ganz nett.«
»Och«, lehnte Celeste sich etwas nach hinten und machte einen Schmollmund. »Nur ganz nett? Komm’, das kannst du aber besser.«
»Wenn du aufhörst, mir mit deinen Möpsen die Rippen zu brechen, vielleicht«, brummte der Rothaarige und schob sie einen Schritt von sich weg. Celeste kicherte kokett und Mathieu biss die Zähne aufeinander. Sie so schamlos flirten zu sehen, machte ihn krank.
»Sag’ mir nicht, dass du das nicht magst. Alle Jungs mögen das.« Das blonde Mädchen warf einen Blick auf ihren Bruder. »Na, du vielleicht nicht, du Schwuchtel.«
»Ich glaub’s nicht!«, fauchte Mathieu und wandte sich ab. Mit einem Knall warf er die Haustür ins Schloss. »Sei’ froh, dass heute dein Geburtstag ist, du Hexe, sonst würde ich dir dazu noch ein paar Takte erzählen!«
»Was denn, Mathieu? Eifersüchtig?« Celeste packte Luciens Hand und zog ihn mit sich. »Komm’, lass’ den einfach, der ist eine Spaßbremse und nörgelt schon den ganzen Tag. Gehen wir was trinken.«
Der Rothaarige konnte sich aus dem schraubstockartigen Griff nicht entziehen, wenn er nicht an seiner Hand reißen wollte und so warf er Mathieu nur einen letzten Blick zu und formte ein »Sorry!« mit den Lippen.
Der Blonde blieb im Foyer stehen und lehnte sich seufzend an die Tür. Er ließ den Kopf hängen und fühlte sich komisch. Er hatte vielleicht zwei Minuten mit Lucien allein gehabt und irgendwie fühlte sich der Jugendliche stehen gelassen, auch wenn er wusste, dass es nicht von dem Rothaarigen ausgegangen war.
Mathieu straffte die Schultern. Nein, er würde sich nicht von seiner Schwester alles verderben lassen. Sie mochte vielleicht glauben, sie könnte Lucien heute erobern, doch am Ende würde er die Nacht mit Mathieu verbringen, ob sie sich nun vor dem Rothaarigen auszog oder sonst etwas für Sachen versuchte! Lucien hatte ihm gesagt, er solle ihm vertrauen und das würde Mathieu auch tun.
Doch dieser Wille verhinderte nicht, dass es ihm einen Stich versetzte, als er in den Salon kam und sah, dass Celeste halb auf dem Schoß seines Freundes saß, der, sich umsehend, aus einem der bunten Becher trank und sich nicht sonderlich gegen die Zudringlichkeiten des Mädchens zu wehren schien. Die fiese kleine Stimme in Mathieus Hinterkopf flüsterte gemeine Sachen und der Blonde, der diese noch nie zuvor so laut gehört hatte, verzog das Gesicht. Was kam heute eigentlich noch alles für Scheiße auf ihn zu?
Als Lucien ihm einen Blick zuwarf, presste Mathieu die Lippen aufeinander und wandte sich ab. Er wollte es gar nicht, doch die ganze Situation störte ihn einfach massiv. Am liebsten hätte er sich verkrochen und keinen von den Leuten hier mehr gesehen. Der Rothaarige musste nicht so dermaßen demonstrieren, dass er und Mathieu offiziell nicht miteinander befreundet waren!
Gefrustet nahm sich der Blonde einen Becher, füllte diesen mit Cola und kippte einen ordentlichen Schwung Whiskey dazu. Es war doch immerhin eine Party. Dann sollte er auch Spaß haben!
Mathieu verzog das Gesicht, als er den ersten Schluck genommen hatte. So wirklich Alkohol konsumiert hatte er zuvor nie und er wusste auch nicht wirklich, ob ihm das schmeckte.
»Mathieu.« Eine vertraute Stimme hinter ihm ließ ihn sich umdrehen und er sah in Anais’ blaue Augen. Ihre Wangen waren gerötet und sie hatte einen feinen Schimmer im Gesicht, der von der Hitze im Haus kam, doch sie lächelte.
»Hey. Amüsierst du dich?«
»Geht so. Ich weiß nicht, ob das was für mich ist, aber die Musik geht irgendwie schon in die Beine, findest du nicht?«
»Nein, sie ist scheußlich. Aber wenn du tanzen willst?« Mathieu nahm einen großen Schluck aus dem Becher und spürte sogleich die wohlige Wärme in seinem Bauch, die sich bis in seinen Kopf auszubreiten schien. Von jetzt auf gleich begann er zu grinsen wie ein Kobold. »Ja, lass’ uns peinlich sein. Mir ist gerade alles egal.« Er stellte das Gefäß ab und nahm die Hand des Mädchens, das sich kichernd mitziehen ließ.
Wenn Lucien sich mit Celeste amüsieren konnte, dann würde Mathieu das auch können, mit dem Unterschied, dass er Anais mochte und sie nicht annähernd so notgeil war wie seine Schwester, die dem Rothaarigen ihre Möpse unter die Nase hielt wie ein verdammtes Stück Kuchen!
Zu Mathieu und Anais gesellten sich Josephine und Violette und der Blonde hatte sich noch nie so unbeschwert gefühlt. Es war ihm absolut egal, ob die Leute um ihn drumherum ihn uncool fanden, er dachte einfach nicht darüber nach. Er tanzte zu Musik, die er hasste, mit Mädchen, die er mochte und es machte Spaß. Genauso wenig achtete er darauf, wie viel er trank, doch nachdem es so warm im Haus war und bereits die Terrassentüren geöffnet worden waren, war das eisgekühlte Bier ein unbeschreibliches Vergnügen.
»Ich brauch’ ‘ne Pause«, rief er nach einer ganzen Weile Anais zu, die nicht weniger rot im Gesicht war und sich inzwischen köstlich amüsierte.
»Okay.«
Mathieu schlängelte sich zwischen etlichen seiner eigenen Mitschüler durch, die in in der Schule kaum groß mit ihm sprachen und ihn jetzt grüßten und machte ein erschrockenes Geräusch, als jemand seinen Gürtel packte und ihn auf das Sofa zog.
»Hey, du Schnapsdrossel«, hörte er Luciens Stimme nahe an seinem Ohr und die Tatsache, dass sie sich vor all den Leuten hier so nahe waren, jagte Mathieus Puls in die Höhe.
»Sag’ bloß, du kennst mich noch«, knurrte der Blonde und wollte sich losmachen, doch der Rothaarige hielt ihn fest.
»Immer, ich habe dir zugesehen.«
»Ich dachte, du hättest mehr damit zu tun gehabt, in den Ausschnitt meiner Schwester zu fallen«, zischte Mathieu gereizt. Der kleine Teufel auf seiner Schulter, der die Eifersucht in dem Jugendlichen schürte, war noch nicht zur Ruhe gekommen.
»Du bist süß«, schnurrte Lucien leise und Mathieu, der versuchte, von dem niedrigen Sofa hochzukommen, scheiterte und fiel dem Rothaarigen halb in den Schoß. Erschöpft und mit einem schwindeligen Gefühl im Hirn blieb der Blonde einfach liegen. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Es war eine verdammte Party und er hatte getrunken. Er zog die Beine auf die Couch, winkelte sie an und sah, mit dem Kopf auf Luciens Oberschenkel, von unten zu dem Rothaarigen hoch, der nur lächelte.
»Wo ist der schüchterne Schulsprecher hin, der nicht mit mir gesehen werden wollte?«
»Ich nicht mit dir? Dass ich nicht lache! Du hast mich nicht mal anständig begrüßt«, knurrte Mathieu und setzte seine Flasche an. Er bekleckerte sich etwas, aber es kümmerte ihn nicht. »Ich hatte mich den ganzen Abend nur darauf gefreut und du ...«
Lucien sah sich um. Sie saßen in einer dunklen Ecke des Sofas, fern der bunten Lichter, die über die Wände krochen und Mathieu war so unglaublich sexy, wenn er ein bisschen was getrunken hatte. Der Rothaarige warf alle Bedenken über Bord, beugte sich hinunter und legte seine Lippen auf die des Schulsprechers. Das lange Haar des Jugendlichen verdeckte ihre Gesichter. Mathieu griff nach oben in eben diese Mähne und zog Lucien näher zu sich, öffnete den Mund etwas und schnurrte. Nur für einen Moment schlossen sie die Augen und genossen einander, bevor der Rothaarige die Verbindung trennte und sich argwöhnisch wieder aufrichtete.
Nichts hatte sich verändert, keiner hatte etwas bemerkt.
Mathieu kicherte albern und streckte sich. »Ich hab Hunger«, giggelte er und versuchte erneut, aufzustehen, doch fiel als Konsequenz von der Couch. »Autsch.«
»Du bist wie eine Babyrobbe, Grantaine.«
»Klein und fett, oder was?«
»Nein«, entgegnete Lucien, stand auf und zog Mathieu auf die Beine, »ungeschickt!«
»Soll ich dir zeigen, wie geschickt ich sein kann?«, grinste der Blonde und legte den Kopf schief. Seine goldenen Augen schimmerten in dem Dämmerlicht des Salons verheißungsvoll und Lucien schluckte schwer. Mathieu wirkte wie ein Kobold, der sämtliche Ängste und Hemmungen verloren zu haben schien. »Aber erst brauch’ ich was zu essen. Ich will Nachos mit Käse, jetzt!«
Entschlossen drehte der Blonde sich um und stiefelte an den Buffettisch, Lucien auf den Fersen, der vor sich hin grinste. Es fühlte sich verrucht hat, dass sie sich in einem Raum voller Menschen geküsst hatten und keiner hatte es gemerkt.
»Lucien!«, juchzte Celeste wieder, die mit einer Mädchentraube am Tanzen war, »Komm, tanz’ mit mir. Und weißt du, was ich von dir zum Geburtstag haben will?« Sie packte seine Hände und zog ihn zu sich und ihren Freundinnen.
»Keine Ahnung, ein Pony?« Der Jugendliche wollte nicht tanzen, ihm war es viel zu warm dazu und er hatte einen leichten Druck im Kopf.
»Nicht doch, du Dussel«, das blonde Mädchen lachte und zog damit die Aufmerksamkeit von Mathieu und einigen anderen umstehenden Leuten auf sich, unter anderem Anais, die jedoch den Schulsprecher ansah und nicht die Situation vor sich.
Celeste grinste und setzte zu einem Frontalknutscher an, doch Lucien, der es hatte kommen sehen, drehte das Gesicht zur Seite, sodass die klebrigen Lipglosslippen seine Wange trafen. Die Umstehenden lachten und nur Anais, die genau hinsah, bemerkte den Blick, den der Rothaarige und Mathieu austauschten und das kleine zufriedene Lächeln auf dem Gesicht des Schulsprechers.
»Nix da, Püppi«, brummte Lucien mit einem Auflachen und machte einen Schritt zurück. »Küsschen zum Geburtstag gibt es nur für meine Maman!« Das Gelächter verstärkte sich und Celeste bekam einen roten Kopf.
»Bist wohl auch ‘ne Schwuchtel wie mein Bruder, hm?«, schnappte sie blamiert und beleidigt. Sie wandte den Kopf ab, als der Rothaarige mit Daumen und Zeigefinger nach ihrem Kinn griff.
»Wärst du dann gern ein Junge? Selbst wenn’s so wäre und du ein Typ ... Nein bleibt Nein«, schnurrte er spöttisch, worauf das blonde Mädchen schnaubte und wutentbrannt abrauschte. Die Aufmerksamkeit zerstreute sich wieder, der allgemeine Trubel der Party war viel interessanter als ein kleiner Zwist.
Mathieu lehnte an der Wand und naschte seine begehrten Nachos, während er vor sich hin grinste. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass Lucien sich jeder Versuchung widersetzte, weil er eigentlich nur ihn, Mathieu, haben wollte.
»Das war echt gemein«, hörte er Anais neben sich und drehte den Kopf herum.
»Waff?«, nuschelte er mit vollem Mund.
»Diese Abfuhr vor allen. Das war fies, das hätte er auch anders machen können. Aber Hauptsache, er steht im Mittelpunkt. Findest du das nicht gemein? Sie ist deine Schwester!«
»Ich weiß«, Mathieu schluckte krampfhaft und hustete leicht. »Aber er hat ihr schon so oft gesagt, dass er sie nicht will und sie versucht es immer wieder, irgendwann bleibt nur die harte Tour. Wenn ein Mädchen so von einem Jungen belästigt werden würde, würden alle aufschreien und ihr zu Hilfe eilen, sei’ mal ehrlich. Da würde jeder denken, der Typ ist ein Perverser. Und bei ihr ist es gemein, wenn man ihr die Meinung sagt? Müssen Jungs, nur weil sie Jungs sind, automatisch jedes Mädchen wollen? Wäre es andersherum, hätte sie ihm bereits ins Gesicht geschlagen. Sie ist meine Schwester, aber ihr Verhalten ist nicht in Ordnung. Und dieser versuchte Kuss gegen seinen Willen auch nicht.«
»Na, seine Küsse scheint er woanders ja williger zu verteilen«, murmelte Anais, blickte Mathieu einen Moment ernst ins Gesicht und drehte sich dann um. Der Blonde zog kurz die Augenbraue hoch, doch sein etwas benebeltes Gehirn konnte ihre Aussage nicht richtig verarbeiten und so dachte er nicht weiter darüber nach.
Während Lucien an der geöffneten Terrassentür eine Zigarette rauchte und einigen Verrückten dabei zusah, wie sie tatsächlich nur in Unterhosen in den Pool der Grantaines sprangen, stopfte Mathieu sich, angeheizt durch plötzlichen Heißhunger, voll und kippte mit einen weiteren Bier nach, bevor er sich wieder den Mädels um Anais anschloss, um ein bisschen abzuzappeln. Die komischen Blicke, die das brünette Mädchen ihm zuwarf, realisierte er nicht und vielleicht interessierten sie ihn auch nicht. Sein normales Leben würde morgen schon früh genug weitergehen, heute Abend wollte er peinlich sein und Spaß haben.
Doch es dauerte nicht lange, bis sein Körper, der weder Alkohol noch so viel Junkfood gewöhnt war, mit einer Gegenkeule konterte. Mathieu wurde blass und der Magen drehte sich ihm um. Der Jugendliche presste die Hände auf den Mund und taumelte aus dem Salon in den Flur.
Lucien, der ihm beim Tanzen zugesehen hatte, sah ihm hinterher, drückte die Zigarette aus und folgte ihm. Er vereitelte damit den Versuch von Anais, dem Blonden nachzugehen. Sie blieb enttäuscht und mit einem höchst irritierten Gesichtsausdruck stehen. Sie konnte immer noch nicht so ganz verstehen, was sie da vorhin zwischen dem Rothaarigen und Mathieu gesehen hatte und fragte sich, ob es sich vielleicht nur um ein Missverständnis handelte. Seufzend drehte sie sich wieder zu ihren Freundinnen, die nichts bemerkt hatten.
Währenddessen holte der Rothaarige den Schulsprecher ein, der würgte und kurz davor stand, auf den Boden des Foyers zu kotzen.
»Wohin?«, raunte ihm Lucien ins Ohr, legte ihm den Arm um die Schultern und hielt ihn davon ab, das Gleichgewicht zu verlieren.
Mathieu deutete auf eine Tür und ohne zu zögern zog der Rothaarige diese auf und ertappte zwei ihrer Mitschüler beim heftigen Herumknutschen.
»Raus hier!«, herrschte er die beiden an, die eilig die Biege machten, schob Mathieu in das Badezimmer und zog die Türe hinter sich ins Schloss.
»Oh Gott, erinnere mich daran, dass ich nie wieder Bier und Nachos zu mir nehme«, stöhnte der Blonde zittrig, fiel vor der Kloschüssel auf die Knie und erbrach sich, während Lucien sich auf den Wannenrand setzte und ihm über den Rücken strich.