Anthar, im Jahr 40.801 nach Rechnung der Elben. Varyny, Marsina.
Tabita lauschte den Stimmen der diskutierenden Hersor, während sie Berichte durchblätterte, die über die Nontre berichteten, eine hersorische Krankheit.
„Das Problem ist, das wir nicht wissen, wie die Krankheit übertragen wird.“
„Es ist kein Bakterium, wie bei Fochel und Borer. Deshalb können wir auch keine Impfung durchführen.“
„Und wenn es…“ Die Hersor entfernten sich wieder.
Eine der schlimmsten Albträume der Hersor war die Nontre, vor zwei Monaten waren Erkrankungen in Gerivar aufgetreten. Nun suchten sie verzweifelt nach einem Gegenmittel. Sie hatten zwar herausgefunden, dass die Isolation der Erkrankten die Ausbreitung verringerten, aber nicht mehr.
Tabita liebte die Stadt Marsina, mit ihren Wissenschaften und Bibliotheken. Sie wünschte sich, dass ihre Heimat so werden würde, wie diese Stadt. Aber Tyral Rorym war noch weit davon entfernt, die Entdeckungen der Hersor zu übernehmen.
Sie befand sich in der biologischen Abteilung der Universität von Marsina. Es war selten, dass jemand aus einem anderen Volk, als dem der Hersor, hier studierte und Tabita war sich der Ehre sehr wohl bewusst. Es war ein Freundschaftsdienst von König Nichos an ihre Eltern gewesen. Ihr älterer Bruder Marvon hatte ebenfalls hier studiert, Gesellschaftswissenschaften und Rechte.
Tabita selbst studierte Biologie und Sprachwissenschaften.
Sie stand auf und sah durch die gläsernen Fenster nach unten. Die Hersor nutzten ein Halbmetall namens Antimon für das farblose Glas, etwas, was die Elben in Ciyen noch nicht gefunden hatten. Die Stadt Marsina sah unglaublich aus. Die Universität lag ziemlich zentral, in einem Viertel, in dem es von Bibliotheken und Forschungseinrichtungen nur so wimmelte.
Tabita sah auf die mechanische Uhr auf dem Tisch hinter sich. Es war Zeit zu gehen.
Sie nahm ihren Mantel und ging an den Hersorn vorbei, die über Schriften diskutierten oder Pflanzen untersuchten.
„Du gehst schon, Tabita?“.
Ein Hersor legte seine Lupe beiseite und sah sie fragend an.
Tabita nickte schweigend. Die Hersor respektierten sie, aber sie betrachteten sie nicht als ihresgleichen. Sie konnten einige Dinge einfach nicht verstehen, die Tabita tat, wie abends zu gehen, anstatt bis tief in die Nacht hinein zu arbeiten.
„Nun dann.“. Der Hersor wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Tabita nickte ihnen zu und verließ den Saal. Sie ging aus der Universität und trat in den kühlen Abend. Schnee knirschte unter ihren Füßen und ihr Atem bildete Wolken in der Luft. Der Weg zu ihrem Haus war nicht weit, aber sie entschloss sich vorher noch auf der elbischen Botschaft vorbei zu sehen. Zum einen wollte sie die elbische Sprache wieder hören, anstatt Lernai und zum anderen hoffte sie auf eine Nachricht von Marvon. Ihr Bruder hatte zuletzt geschrieben, als er und ihr Vater in Riv Art angekommen waren und das war von zwei Monaten gewesen. Ihre Mutter hatte vor kurzem geschrieben, ebenso wie ihr anderer Bruder Joshua, aber Marvon und ihr Vater nicht.
Die elbische Botschaft befand sich an einen der zentralen Plätze. Es war ein schönes Gebäude, aus Marmor anstatt aus Holz. Fein gearbeitete Schnitzereien schmückten die Säulen und das elbische Wappen war in den Stein eingeritzt worden: Die Eiche, über die ein Majon seine Schwingen erstreckte und das Schwert, das zum Zeichen des Friedens mit der Schwertspitze vor der Eiche im Boden steckte.
„Anaalory, Tabita.“, begrüßte sie einer der drei Elben, die dort Wache standen.
Tabita nickte ihm respektvoll zu und trat ein. Sie kam in einen Saal, in dem einige Elben sich unterhielten oder sich über Schriften beugten. Zwei Hersor waren ebenfalls da, sie diskutierten mit einigen Elben.
„Tabita.“. Eine Elbe kam auf sie zu und umarmte sie. „Ein Brief ist angekommen, aus Riv Art.“.
„Danke, Lavioèn“.
Die Elbe lächelte ihr zu und kam mit einem Brief zurück.
„Wir werden schon einen ruhigen Platz für dich finden.“, meinte sie und führte Tabita durch einige Gänge in einen kleinen Raum. Dann schloss sie die Tür.
Hastig riss Tabita den Brief auf.
Tabita,
Tabita lächelte. Tabita war nicht ihr eigentlicher Name, ihr richtiger Name war Erendi. Tabita war ihr Name, seitdem sie und ihr Bruder Joshua in den Wald gelaufen waren. Er hatte zurückgehen wollen, aber sie hatte ein verletztes Rehkitz gefunden und sich geweigert den Platz zu verlassen, wo das Kitz lag. Und so hatten sie zusammen gewartet, bis die Wachen ihrer Eltern sie gefunden hatten. Damals war sie fünf gewesen und das Kitz war in den königlichen Gärten aufgewachsen. Bis vor sieben Wintern hatte es dort gelebt. Der Name Tabita aber war geblieben, was in Sérethran Kitz bedeutete. Sie blickte auf den Brief, um zu erfahren, was er ihr noch geschrieben hatte.
Mir geht es gut. Ich glaube, meine ersten Briefe haben dich nicht erreicht, es herrschen zurzeit starke Stürme im Torle. In der Stadt ist es sicher, aber wir bekommen weder Nachricht von draußen, noch können wir welche schicken. Vater geht es gut, er lässt Grüße ausrichten. Ich wünschte, du wärst ebenfalls hier. Die Stadt hat sich stark verändert, seitdem wir vor neun Wintern das letzte Mal da waren. Sie hat sich weiter nach Norden ausgebreitet und du glaubst nicht, was die Zwerge alles herstellen. Ihre Minen reichen tiefer ins Gestein als in jeder anderen Stadt Nors.
Das Erstaunlichste ist aber, dass sie eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht haben. Sie haben einen in den Stein gegrabenen Raum gefunden. Der Raum liegt außerhalb der Stadt, deshalb haben sie ihn jetzt erst entdeckt. Aber darin befindet sich nur ein Bogen. Dennoch haben die Zwerge festgestellt, dass sie das Holz, aus dem er gefertigt ist, nicht kennen. Sie wissen nur, dass es unglaublich alt ist. Das Holz ist nicht verrottet, noch in irgendeiner Weise beschädigt. Auch die Sehne ist vollkommen in Ordnung. Es ist ein Kompositbogen, ähnlich denen der Istrór. Die Innenseite der Arme ist aber mit durchsichtigen Hornstreifen beklebt, durch die man das Holz sehen kann. Das Holz ist mit bunten Zeichen versehen, mal sind es Bilder, dann scheinen es Schriftzeichen zu sein. Das Horn ist von einem Tier, was wir nicht kennen. Der Bogen ist eine Kunst für sich, er ist ein Meisterwerk. Für einen einfachen Jäger wurde er sicherlich nicht geschaffen. Wenn du mich fragst, ist es eines Königs würdig. Allerdings fehlt ein Köcher, oder irgendein Zeichen von Pfeilen. Vielleicht stammt es aus früheren Zeiten unseres Volkes?
Aber aus welchem Volk sollte er sonst kommen, wenn nicht aus unserem oder dem der Menschen? Hersor und Zwerge kämpfen nicht mit Bögen und Sphinxe können keine so guten fertigen. Und auch, dass er dort verborgen wurde, ist seltsam. Es ist kein Grab, er wurde versteckt! Von den Zwergen, denn kein Elb könnte solche steinernen Kammern errichten. Aber warum die Zwerge? Warum versteckt jemand einen Bogen? Ich gebe zu, dass der Bogen außergewöhnlich ist. Aber so kostbar, dass man ihn sorgfältig verstecken muss, so wie es getan wurde? Meiner Meinung nach verbirgt der Bogen ein Geheimnis. Ich hoffe nur, dass es kein gefährliches ist.
Schreibe Mutter, Joshua, Arlèn und Ketylèn dass es uns gut geht, falls du diesen Brief erhalten hast. Mutter wird zwar nicht zeigen, dass sie sich Sorgen macht, aber sie tut es.
Und schreibe Ketylèn, dass ich sie liebe und dass ich bald zurückkomme. Sie ist noch so klein, sie versteht nicht, warum ich weggegangen bin.
In Liebe,
Marvon
Tabita sah den Brief überrascht an. Ein Bogen? Sie sprang auf, jetzt war auch ihre Neugier geweckt. Es gab einen Ort, wo sie suchen musste. Sie steckte den Brief auf und ging hinaus. Ihre Würde musste sie trotzdem bewahren, sie war dreiundzwanzig und die Tochter des elbisches Königspaars. Die Zeiten, wo man davon rennen konnte, wenn einem eine Idee gekommen war, waren vorbei.
Die Bibliotheken Marsinas hatten sie schon als kleines Kind beeindruckt, als sie mit ihrer Mutter Königin Teres und König Nichos besucht hatte. Obwohl sie schon viele Jahre durch diese Gänge wandelte und sie eine zweite Heimat nannte, kannte sie nicht so viele Schriften, wie sie es gerne tun würde.
Aber wenn sie etwas über den Bogen herausfinden würde, dann hier. Einer der Bibliothekare nickte ihr zu. Tabita ging durch die Säle, bis sie zu denen kam, die Schriften über die Elben enthielten.
Sie trat vor einen Saal. Ein Schild davor verkündete: „Erste Besiedlungszeit Ciyens. Von Kéros bis Kaye, die Jahre 0-7981 (elbische Zeitrechnung).“.
Dafür, dass in diesem Saal nur Geschichten über die ersten drei der bisher neunzehn Könige oder Königinnen der Elben aufgezeichnet waren, war er groß.
Die Nacht wurde zu Tag, der Tag wieder zur Nacht. Tabita durchblätterte Bücher und las sich in die Vergangenheit. Dann am vierten Tag stieß sie auf einen Hinweis. Eine hersorische Botschafterin hatte sich Vermutungen aufgeschrieben
„Wie ich aus meinen Beobachtungen entnehmen kann, schlossen Zwerge und Elben im achten Monat des Jahre 1351 ein Bündnis. Dieses Bündnis obliegt höchster Geheimwahrung, selbst Gold kann die Zwerge nicht überreden, dass Geheimnis zu verraten. Sie verlangen den Standort der Tyrise-Minen! Als ob ich es ihnen sagen würde, selbst wenn ich den Standort kenne. Dieses Bündnis wurde noch vor dem Bau von Städten geschlossen, also scheint es für die Elben höchste Priorität haben. Es geht nicht, um den Handel von Lebensmitteln…Waffen? Ich weiß es nicht, aber es hat etwas mit Waffen zu tun. In meinen weiteren Briefen werde ich dir darlegen, wie ich zu dieser Ansicht gekommen bin.
Tichre Hartrer, am 29.8.1351
Das Jahr 1351 war das Jahr, in dem die Elben nach Ciyen gekommen war. Das Jahr, in dem der elbische Kalender mit dem Jahr Null begann. Weitere Briefe? Tabita stand auf. Die Hersor führten Einträge über jedes einzelne Buch, jeden Brief, der sich in den Bibliotheken befand. Allein für diese Einträge gab es mehrere Saale. Tabita war froh, dass die Hersor einen solchen Sinn für Ordnung hatte. Alles war nach Personen und Orten sortiert worden. Unter dem Eintrag Tichre Hartrer wurde sie fündig. „Briefverkehr mit Fririm Hartrer vom Jahr 1351. Mehrere Untersuchungen und Vermutungen über den Grund ihres Todes in Saal…“.
Es folgten Beschreibungen, wo die Schriften zu finden waren. Tabita ging wieder zurück, aber sie fand nur die Untersuchungen, nicht die Briefe. So sehr sie auch suchte, die anderen Briefe von Tichre blieben verschwunden. Und die Untersuchungen erzählten nur, dass sie ermordet worden war, in Ciyen. Ihr Adler war entkommen, aber ihre Leiche wurde nie gefunden.
Doch, dass die Briefe fehlten, war seltsam. Dafür stieß sie noch auf etwas anderes. Tabita hatte nie behauptet, dass sie schlecht in Geschichte war. Doch ein Bericht über die Ankunft der Elben in Ciyen führte ihr vor Augen, wie wenig sie über die Vergangenheit ihres Volkes eigentlich wusste.
Der Bericht war von einem Hersor geschrieben worden und sprach von einem Seekrieg, der sich vor Ciyens Küste ereignet hatte.
Es war ein Kampf zwischen Elben und ein menschliches Volk, von dem sie noch nie gehört hatte. Sehjol. So nannte der Hersor sie. Die Elben gewannen den Krieg und die Sehjol verschwanden. Es waren vier Monate gewesen, in denen sich Elben und Sehjol heftige Gefechte geliefert hatten.
Die Briefe von Tichre waren kurz nach dem Krieg datiert. Aber wie kam es, dass sie noch nie von diesem Krieg gehört hatte? Vor allem, da die Elben ihn gewonnen hatten. Die Elben waren ein Volk, das über Kriege nicht schwieg, es wurden Lieder über die Helden und tapferen Krieger gesungen. Und selbst bei verlorenen Kriegen waren sie bereit ihre Niederlage anzuerkennen. Ein Lied über Seeschlachten bei der Ankunft in Ciyen war noch nie in den Hallen Tyral Roryms erklungen. Über die Ankunft der Elben schon, aber wie konnte etwas so Wichtiges wie ein Krieg einfach vergessen werden? Nein, es musste etwas Großen hinter dem Krieg und dem Tod von Tichre stecken. Tichre hatte etwas herausgefunden, dessen war sich Tabita sicher, etwas, was so gefährlich war, dass sie dafür hatte sterben müssen.
Es gab jemanden, mit dem sie reden musste. Jemand, der ihr möglicherweise Antworten geben konnte. Sie räumte die Bücher wieder zurück und rannte hinaus.
Die Hersor, die in der Bibliothek arbeiteten, blickten ihr verblüfft nach.
Tabita hielt schon nach ein paar Meter später, auf Grund der Seitenstiche, inne. Sie war nie besonders sportlich gewesen, Bücher waren viel interessanter gewesen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter. Wenn Königin Kayra die Regierungsgeschäfte oder die Bittsteller zu viel wurden, kämpfte sie. Das war ihre Art sich auszuruhen, auch Tabitas Bruder Joshua handelte so. Es war für sie nicht immer leicht gewesen mit zwei älteren Brüdern. Besonders mit Joshua hatte sie sich häufig geprügelt. Aber sie liebte ihre Familie. Ihre Brüder, ihre Eltern, ihre Schwägerin Arlèn und ihre Nichte Ketylèn.
Tabita sah auf, sie hatte den Palast erreicht, wenn ihr jemand helfen konnte, dann König Nichos. Die Wachen ließen sie passieren, Königin Teres hatte sie angewiesen, dass die elbische Prinzessin den Palast jederzeit betreten konnte. Wenn Tabita gewollt hätte, dann dürfte sie sogar hier wohnen, aber sie zog ein einfaches Haus vor.
Der Palast war von innen mit Holz verkleidet worden, überall waren Schnitzereien. Ein Diener führte sie zu König Nichos, der in seinen Privatgemächern las.
Er sah auf, als sie herein kam.
„Tabita. Setz dich.“. Er deutete auf einen Hocker.
„Was liest du da?“, fragte sie neugierig.
„Rechte und Gesetze des Stammes Dorire am Ende des zweiten Jahrhunderts“. Er seufzte. „Es gibt bessere Lektüre. Aber was ist mit dir? Du hast dich die letzen Tage nur in der Bibliothek aufgehalten, wie man hört?“.
„Woher weißt, du das schon wieder?“.
„Du glaubst doch etwa nicht, dass ich die Tochter von König Josia und Königin Kayra unbeobachtet durch die Gegend spazieren lasse? Was glaubst du, was passieren würde, wenn dir etwas zustoßen würde? Ich habe genug von Kriegen.“. Tabita lächelte ihn an.
„Ich weiß, auch ich will keinen Krieg.“.
„Das will niemand, Tabita. Und dann ist er doch da und alle fragen sich, wie es dazu kommen konnte.“.
„Die Sphinxe wollen keinen Frieden.“, stellte Tabita fest.
„Doch. Ein hervorragender Wissenschaftler namens Darochs meinte einst: „In Kriegszeiten sind die Könige der Sphinxe die Mächtigsten, in Friedenszeiten die Schwächsten.“. Und er hat Recht. Ascarna ist eine großartige Königin. Du verstehst nicht, was sie geleistet hat, weil du nicht weißt, wie die Sphinxe früher waren. Die Sphinxe sind von ihrem Charakter jemand, der leicht Kriege herbeiführen kann, weil sie rücksichtslos mit anderen umgehen. Aber auch dieses Volk will Frieden. Dieses Zitat stimmt nicht mehr, denn Ascarna ist mächtig und sie führt keinen Krieg gegen andere Völker.“.
Tabita war der Königin der Sphinxe erst einmal begegnet und sie hatte nicht gewusst, was sie von ihr halten sollte. Sie schien genau zu wissen, was sie wollte. Und sie konnte rücksichtslos sein. Sie regierte mit harter Hand, aber wahrscheinlich war das auch nötig, bei einem Volk wie dem der Sphinxe.
„Also, was ist dein Anliegen, Tabita. Geht es um den Bogen?“.
Tabita zog eine Augenbraue hoch.
„Woher…“.
„Du bist nicht die Einzige, die Briefe schreibt. Vor einigen Tagen erreichte mich ein Brief von deinem Vater. Ich bin noch nicht dazu gekommen, genauer zu forschen, aber was hast du herausgefunden?“.
„Im Jahr 1351 lebte eine Tichre Hartrer. Sie hat etwas gewusst, von einem Bündnis zwischen Elben und Zwergen. Sie denkt, dass es etwas mit Waffen zu tun hat. Und sie wurde ermordet. Ich hab einen ihrer Briefe gefunden, in dem sie auf weitere Briefe verweist. Diese Briefe sind sogar im Register eingetragen, aber sie sind verschollen.
Wusstest du, dass die Elben einen Seekrieg gegen ein Volk namens Sehjol geführt haben? Es war zu der Zeit. Ich wusste es nicht! Wieso gibt es keine Lieder davon? Sie haben den Krieg doch gewonnen? Wieso wird es nicht unterrichtet? Ich kann dir den Verlauf jedes sphinxisch-elbischen Krieges erklären, aber ich hatte keine Ahnung von diesem Krieg. Ein Krieg kann doch nicht einfach so in Vergessenheit geraten, selbst die meisten Hersor scheinen nicht davon zu wissen.“.
Nichos wandte sich zu ihr. „Tabita. Ich verlasse mich darauf, dass nichts diesen Raum verlässt, was für mein Volk von Bedeutung ist.“.
„Du wusstest von dem Krieg. Du wusstest von dem Bogen, oder?“.
„Ich wusste von dem Krieg, aber ich wusste nicht von dem Bogen. Ich wusste nur von einem Schatz, den die Zwerge für die Elben verstecken sollten. Und die Elben haben uns gebeten, den Krieg geheim zu halten.“.
„Sie schämen sich dafür. Sie haben irgendetwas getan und haben Angst vor Rache.“, erklärte Tabita leise.
„Selbst wir Hersor wissen nicht sicher, was damals zwischen Sehjol und Elben passiert ist. Aber wir wissen in der Zwischenzeit mehr, weil wir uns die andere Seite angesehen haben.“.
„Ihr habt Kontakt zu den Sehjol aufgenommen?“.
„Na ja, Kontakt aufgenommen. Sagen wir es so. In der Nähe leben einige Hersor und wir haben dort Spione eingeschleust. In Sahres herrscht Krieg zwischen zwei Völkern. Den Sehjol, die sich heute Sebetjh nennen und einem Volk, das mit den Elben verwandt ist. Die Sebetjh sind Menschen.“.
„Es gibt andere Elbenvölker?“.
„Nicht in Sahres. Die Aweynche sind keine richtigen Elben. Ich vermute, dass sie von Halbelben abstammen, die bei der Flucht der Elben zurückgelassen worden und dann ein eigenes Volk gegründet haben. Sie sind eine Mischung zwischen Elben und Menschen. Soweit ich weiß, haben sie keine Gaben, aber sie werden älter als normale Menschen.“.
„Aber ich dachte, dass die Elben vorher Menschen waren und erst zu Elben wurden.“.
„Nein, Tabita, das denke ich nicht. Die Elben waren schon vorher Elben, sie waren immer Elben. Ich glaube nur, dass sie sich von dem abgrenzen wollten, was früher war. Sie wollten vergessen, was sie getan haben.“.
„Aber was haben sie getan?“.
„Du musst wissen, dass Aweynche und Sebetjh schon seit Jahrtausenden gegeneinander Krieg führen. Friede dauerte nie länger an als ein Jahrzehnt. Die Aweynche sind die Nachfahren der Elben.“.
„Und die Sebetjh haben sich an ihnen gerächt. Aber warum, was haben die Elben getan?“.
„Ich weiß es selbst nicht genau…“.
„…Die Elben sie haben den Bogen gestohlen, von den Sebetjh. Deshalb wurden sie verfolgt, das war der Schatz, den die Zwerge verstecken sollten. Marvon hat geschrieben, dass dieser Bogen eines Königs würdig ist. Diese Waffe war etwas Besonderes für die Sebetjh, vielleicht gehört sie ihrem König, falls sie einen haben oder einem Fürsten.“.
„Ich weiß nicht, ob sie den Bogen wirklich gestohlen haben. Die Sebetjh behaupten das, die Aweynche verneinen es und die Elben schweigen sich darüber aus. Wer kennt schon die Wahrheit?“. Er sah sie an, „Ich weiß nicht, was genau sie getan haben. Ich kann ihre Beweggründe nicht nachvollziehen, aber ich weiß, dass der Bogen mindestens einer der Gründe ist, warum der Krieg zwischen Elben und Sebetjh ausgelöst wurde.“.
„Und was bedeutet das für uns?“.
„Tabita. Wenn ich es wüsste…Ich weiß nur, dass die Sebetjh und Aweynche seit vierzigtausend Jahren gegeneinander Krieg führen und das beide versuchen den Bogen zurück zu bekommen.“.
„Aber es sind nie irgendwelche Schiffe angelandet, Nachrichten gekommen…Ihr…ihr habt sie aufgehalten.“. Tabita starrte Nichos an.
„Ja. Du weißt, dass Ciyen und Nor am Meer liegen? Nun Anthar liegt in einer riesigen Bucht. Genauer gesagt sind es zwei Buchten. Warte, ich habe irgendwo eine Karte“.
Nichos stand auf, nach ein paar Minuten kam er mit einer riesigen Karte zurück.
„Das ist die uns bekannte Welt. Es gibt fünf Kontinente. Wir leben auf dem größten. Siehst du hier? In Bocrov haben wir mehrere Festungen. Und im Norden halten die Elben Noliôns die Passage. Bisher haben sie es nicht geschafft größere Schiffe durch diese Passage hindurch zu manövrieren, aber wir befürchten, dass sie Spione haben.“.
„Spione? In Ciyen?“.
Nichos nickte. „Sebetjh sind Menschen und Aweynche können sich leicht als Halbelben ausgeben. Gewissheit haben wir vor fünfhundert Jahren bekommen, als wir einen Aweynche gefasst haben. Er hat schließlich Selbstmord begangen. Aber ich befürchte, sobald die Bevölkerung Anthars von dem Bogen weiß, wissen sie es auch.“.
„Dann müssen wir ihnen zuvor kommen. Wir müssen den Bogen nach Sahres bringen, als Friedensangebot.“.
„Ja, Tabita. Das werden wir tun müssen. Geheim halten wird sich das Ganze nicht lassen, sobald der Winter vorbei ist, wird sich die Nachricht aus Riv Art verbreiten.“.
Er stand auf und nahm einen Bogen mit Briefpapier.
„Ich denke, es ist Zeit für eine Versammlung der Regierungen der Völker Anthars.“.
Tabita sah ihm über die Schulter und erkannte, dass er an Ascarna, die Königin der Sphinxe, schrieb.
„Es wird sich alles verändern.“, meinte sie leise.
„Ja.“, erwiderte er, „das wird es.“.