Hjorgcai parierte ihre Kamelstute und sah sich um. Vor ihr erstreckten sich die Naolak-Wüsten. Einzelne Grashalme streckten sich dem Himmel entgegen. Steine bedeckten den Boden und der Sand knirschte unter den Hufen. Die Vendirell hatten sie an der Grenze zu Sehjoldon abgesetzt, bei dem Stamm ihres Cousins hatte sie ein Kamel bekommen und war dann alleine los geritten. In der Ferne erhob sich ein Gebirge, zerklüftete Felsen, in deren Schatten Bäche flossen und Leben in die karge Landschaft brachten. Sie sah in den Himmel, bald müsste sie das Lager von Saruul erreicht haben. Nach ihrer Information hatte die Aweynche ihr Lager bei den Oasen von Tchevet aufgeschlagen. Hjorgcai erspähte etwas und saß von ihrem Kamel ab. Sie spürte den heißen Sand durch ihre Stiefel hindurch und keuchte vor Schmerz auf. Vor ihr befanden sich halb verwischte Spuren. Einige Steine waren mit Blut befleckt und halb unter Sand verborgen, fand sie einen Pfeil. Hier war wohl ein Jagdtrupp durchgekommen. Sie saß wieder auf und das Kamel trug sie mit seinen wiegenden Schritten immer weiter. Endlich tauchte ein grüner Flecken vor ihren Augen auf. Jurten duckten sich in den Schatten einiger Palmen. Kinderlachen und die vertrauten Klänge der Pferdegeige tönten zu ihr, aber das Lager war fast verlassen, nur einige Wachen standen im Schatten der Bäume. Die Mittagshitze hatte die Menschen in ihre Jurten getrieben.
„Halt.“. Einer der Wachen streckte ihr seinen Speer entgegen.
„Was wünscht Ihr?“.
„Ich wünsche Saruul zu sprechen. Ich bin Hjorgcai, Tochter von Batu, Frau von Egyran.“.
Die Wachen warfen sich einige Blicke zu, dann nickten sie und senkten ihre Speere zur Seite.
Einer der Männer kam mit ihr und führte sie zu einer Jurte, die größer als die Übrigen war.
Er ging herein und kam wenig später wieder zurück.
„Saruul erwartet Euch.“.
Hjorgcai nickte und folgte dem Mann in die Jurte. Eine Frau saß auf einem Teppich. Sie trug den Schmuck einer Fürstin und hatte ihr dunkles, geflochtenes Haar hochgesteckt. Männliche Aweynche trugen ihr Haar immer geflochten, dieses wurde nur beim Tod gelöst, während weibliche ihr Haar auch offen tragen durften. Diese Frau war groß, saß aufrecht und Hjorgcai spürte das Gefühl von Macht, das von ihr ausging, Saruul beugte sich niemandem. Bei ihr befanden sich zwei junge Frauen, die sich nahe des Eingangs der Jurte auf der linken Seite aufhielten und sich somit in der Position von Dienerinnen oder Sklavinnen befanden. Als einziger auf der rechten Seite – die Seite der Männer – saß ein Junge, vielleicht fünf Jahre alt.
Er spielte Schagai und das mit großer Sorgfalt und Geschicklichkeit. Jeder seiner Züge dauerte seine Zeit, führte dann aber zum Ziel.
„Willkommen, Hjorgcai Khatun.“, nahm Saruul die Rolle der Gastgeberin an. „Du bist an meinem Feuer willkommen.“.
„Ich danke dir, Saruul.“.
Diese neigte den Kopf und deutete dann auf den Platz links von ihr. „Setz dich.“.
Zögernd nahm Hjorgcai die Einladung an, denn der hintere linke Platz, war der Platz, der gewöhnlich Geehrten und Älteren Personen gebührte. Saruul stellte sich somit unter sie, eine verbannte Khatun und erkannte ihre Macht damit an. Die Fürstin reichte ihr eine Schüssel und ließ ihnen von einer ihrer Dienerinnen Speisen geben. Hjorgcai erkannte Öröm und Aaruul, sowie Süütei Tsai und Airag als Getränke. Wie sehr hatte sie den Duft der gegorenen Stutenmilch Airag vermisst und den gesalzenen Tee. Die Aweynche waren Nomaden und lebten von ihren Tieren, fast alle Nahrungsmittel wurden dementsprechend aus Milch oder Fleisch hergestellt.
„Du bist heute Abend herzlich zum Boodog eingeladen.“, erklärte Saruul lächelnd, denn Öröm und Aaruul waren fester Rahm und getrockneter Quark.
„Ich werde so bald wie möglich in das Lager Egyrans zurückkehren.“, lehnte Hjorgcai mit Bedauern ab, denn in Gedanken an das gegarte Fleisch lief ihr das Wasser im Mund zusammen
„Warum hast du dann mein Lager aufgesucht? Wenn nicht um dich an meiner Gastfreundschaft zu erfreuen.“.
Hjorgcai musste nicht erst zu dem Jungen zu blicken, der konzentriert auf sein Spiel starrte, sie wussten beide, um wen es ging.
Saruul stand auf und rief einige Befehle, worauf die Dienerinnen verschwanden.
Die Fürstin betrachtete sie nachdenklich.
„Du bist jung, Hjorgcai. Wie lang ist deine Namensgebung her?“.
„Fünfzehn Winter.“, murmelte sie leise.
„Du bist jung, vielleicht zu jung. Aber in deinen Augen brennt ein Feuer, ein Feuer des Mutes und der Stärke.“. Sie nahm einen Schluck Airag und fuhr dann nachdenklich fort: „Es ist viel geschehen, seitdem du gegangen bist. Hes-Argan hält das Lager des Khans fest und Egyran selbst ist im Moment nur eine Marionette, eine Marionette, der jedem Moment die Fäden durchgeschnitten werden können. Und du bist nicht länger verbannt, sondern wieder rechtmäßige Khatun, womit Egyran eine Gefahr für den Taidschie geschaffen hat. Wobei ich glaube, dass du immer eine Möglichkeit gefunden hättest, den Bann zu lösen. Ebenfalls sind dein Vater und dein älterer Bruder tot.“.
„Wer hat die Leitung über meine Sippe übernommen?“.
„Töretchin.“.
Hjorgcai spuckte auf den Boden. „Er wird meine Sippe in den Untergang treiben, ein eingebildeter Junge, der treu auf Seite von Hes-Argan steht und keine Ahnung vom Regieren hat.
Dein Vertrauen in mich ehrt mich. Aber um Hes-Argan zu besiegen, brauche ich den Jungen und das Blut, das in seinen Adern fließt.“.
„In deinen Adern fließt ebenfalls das Blut des Khesyaran.“, entgegnete Saruul leise.
„Ja, doch bin ich eine Frau und das goldene Blut besitze ich durch meine Mutter. Eine Frau kann nie ohne Mann an ihrer Seite regieren, mag er auch ein Kind sein.“.
„Ich glaube nicht, das er bereit dafür ist.“, warnte die Aweynche sie, „Er ist sieben und in sich zurückgezogen. Er meidet die anderen Kinder und bleibt für sich alleine, sie finden ihn seltsam. Und doch habe ich den Eindruck das er alles versteht – durch zusehen. Er stellt keine Fragen, er beobachtet nur und handelt nach dem, was er sieht. Die anderen halten ihn für einfältig, aber das ist er nicht. Er tut nur so, um sich selbst zu schützen. Er taut nur dann auf, wenn er sich unbeobachtet fühlt, in dieser Jurte.“.
Hjorgcai sah zu dem Jungen. Nein, er war nicht dumm. Wer so sorgfältig und geduldig planen konnte, war nicht dumm.
„Er ist ein Stratege.“, wisperte sie mehr zu sich selbst als zu Saruul, „Ein Stratege, der dies verbirgt, um sich zu schützen.“.
„Er muss bereit sein. Ich muss jetzt handeln und um Frieden in unser Land zu bringen, brauchte ich Esrens Enkel, der letzte Erbe von Khesyaran.
„Ich weiß.“. Saruul sah zu dem Jungen, ihr Gesicht war von Sorge verzogen. „Und ich weiß ebenfalls, dass ich ihn nicht ewig schützen kann. Ich habe nur wenige Männer, die mir folgen und die Wüste wird eines Tages für Hes-Argan zu überwinden sein. Deshalb muss etwas geschehen, wenn Hes-Argan seine Macht gefestigt hat, wird er hier her kommen.“. Sie stand auf und legte Hjorgcai die rechte Hand auf die Schulter.
„Ich gebe dir meinen Segen, Khatun, und vertraute dir Hälöron an, den letzten aus der goldenen Erblinie neben Egyran. Mögest du Frieden und Einheit in unser Land bringen. Ein gutes Pferd und eine weite Ebene.“.
Hjorgcai schüttelte den Kopf. „Ich brauche dich Saruul. Ich kann nicht einfach mit einem Kind auftauchen und behaupten es ist der Erbe von Khesyaran. Ich eine Khatun, die nur wenige Wochen regierte und als tot angesehen wird. Aber du bist Saruul, Esrens Schwester und Herrscherin der Stämme Bactoc und Derictech, eine Größe, die selbst Hes-Argan akzeptiert.“.
„Ich bin alt und strebe nicht nach der Macht und Bürde der Khatun, Hjorgcai, aber ich werde dir helfen, diesen Platz zu erringen. Es wird Zeit, dass sich die Herrscherin der Naolak-Wüsten von ihrem Platz erhebt und in die Welt zurückkehrt. Morgen Nachmittag brechen wir auf.“.
Hjorgcai klopfte der Fürstin auf die Schulter. Sie war froh, dass es jemanden gab, den sie hinter sich wusste und der ihr den Rücken stärkte. Wen wusste sie denn sonst noch hinter sich? Ihr Cousin Reyncher stand sicherlich hinter ihr, Saruul und selbst bei ihrem eigenen Stamm war sie sich nicht mehr sicher, bei einem Leiter wie Töretchin. Es war nicht viel. Reyncher war jung und hatte sich seinen Platz unter den Fürsten erst erkämpft, aber Saruul war eine vollkommen anderen Größe, mit der man arbeiten konnte.
Also kam Hjorgcai doch noch zum Boodog-Essen. Sie genoss das abendliche, gemeinschaftliche Essen. Es tat gut wieder unter ihresgleichen zu sein. Lieder ihres Volkes zu hören, die sich zwischen schallendes Lachen mischten. Saruul saß bei ihrem Volk und war nicht fern von ihnen wie bei den Sebetjh.
Hjorgcai und der Junge. Die Khatun und der zukünftige Khan. Über Egyran machte sie sich keine Illusionen, er war schon so gut wie tot, außerdem würden die Stämme ihn nie als ihren Herrscher akzeptieren. Und an Egyrans Seite zu regieren, nein, ihr hatten die paar Wochen gereicht, die sie an seiner Seite verbracht hatte. Bei einem Kind hatte sie dagegen freie Möglichkeiten und konnte ihn zu einem verantwortungsbewussten und guten Khan erziehen. Vorher musste sie allerdings sein Vertrauen gewinnen.
Hjorgcai hatte ihn vor sich auf den Sattel festgebunden, damit er nicht hinab fiel. Dass er nicht reiten konnte, machte ihr Sorgen, denn Pferde und Reiten waren das Machtsymbol eines Aweynche. Er zitterte als ob er Angst vor dem Schritt ihres Reittieres hatte und trieb ihr somit Sorgenfalten in die Stirn, sie mussten reiten und er musste in wenigen Tagen selbstständig reiten können. Hjorgcai wollte nicht wissen, wie die Mutter des Jungen gewesen war, aber diese Frau hatte Esrens Enkel zerstört. Vielleicht hatte er Angst vor Kamelen und Pferden, weil seine Mutter ihn nicht von klein auf an das Reiten gewöhnt. Vielleicht hatte sie ihn nie vor sich in den Sattel gesetzt oder als Baby in einer Tragetasche mitgenommen. Das hieß Hjorgcai musste anders vorgehen, um das Vertrauen des Jungens zu gewinnen. Von aweynchischen Kindern wurde viel Selbstständigkeit erwartet, sie wurden nie viel umsorgt. Und von Saruul konnte man viel sagen, aber sonderlich auf das Kind geachtet hatte sie sicherlich nicht.
„Wenn du ruhig sitzt, dann darfst du diese hier behalten.“, erklärte sie am zweiten Abend und reichte dem Jungen, als er nickte, eine Tsuur. Eine Holzflöte. Zögernd fingen seine Finger an über das Holz zu tanzen, leise Töne füllten die Wüsten.
„Das hört sich schön an.“, ermutigte sie ihn leise, doch der Junge erschrak und versteckte das Geschenk hinter seinem Rücken. Hjorgcai seufzte erneut, wie so oft in den letzten Tagen, vor ihr lag noch ein ganzes Stück Arbeit.
Allmählich begann ihr Begleiter aufzutauen. Er wehrte sich nicht mehr gegen den Schritt des Reittieres, klammerte sich zwar immer noch heftig fest, aber das unkontrollierte Zittern hatte aufgehört. Manchmal antwortete er auf ihre Fragen und dann kam der Tag, an dem sie endlich wusste, was sie zu tun hatte. Die Wüsten waren einer steppenartigen Landschaft gewichen und harte Flechten und Gras boten Nahrung für Saigas und einige Maralhirsche, die im Schatten des Seymur-Gebirges grasten, das sich gegen den Himmel erstreckte. Murmeltiere hatten den Boden mit ihren Gängen untergraben und Hjorgcai war froh, dass das Kamel nicht stürzte. Endlich erblickte sie das, was sie gesucht hatte.
„Sieh.“, meinte sie zu dem Jungen und deutete auf die Herde Wildpferde, die den Schatten von einigen Bäumen als Ruheplatz nutzte.
„Siehst du ihre Kraft, die geballte Macht ihrer Muskeln, ihre Eleganz und Schnelligkeit?“.
„Ja.“, flüsterte der Junge ehrfürchtig.
„Wenn du es schaffen solltest, eines von ihnen zu reiten, dann bekommst du einen Namen.“.
Erstaunt sah er sie an.
„Einen Namen. Alle sagten ich bin zu schwach für einen Namen, aber ich bin kein Nichts.“.
„Nein.“. Sanft betrachtete sie ihn. „Das bist du nicht. Du musst ihnen beweisen, dass du den Mut und die Kraft besitzt, etwas zu ändern.“.
Der Junge nickte eifrig. Sie ließen das Kamel zurück und schlichen sich geduckt näher an.
„Such dir ein Tier mit viel Kraft und Schnelligkeit aus und ein Tier, das nicht bei jedem Geräusch erschrickt.“.
Seine Augen huschten von einem Tier der Herde zum Nächsten und blieben schließlich an einer kleinen, fuchsroten Stute hängen.
„Eine gute Wahl.“, bestätigte Hjorgcai ihn und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Er fiel viele Male. Schon nach wenigen Stunden zierten blaue Flecken und Schrammen seinen gesamten Körper und dennoch gab er nicht auf. Einmal kam er mit blutigen Schrammen, die er sich durch einen Sturz in einen Dornenbusch zugezogen hatte und erzählte mit strahlenden Augen, wie nahe er der Stute schon gekommen war. Die Pferde sahen ihn nicht als Gefahr an und spielten ein Spiel aus Zurückweichen und Annäherung mit ihm. Zwei Tage folgten sie der Herde, bis es ihm endlich gelang, die rote Stute zu reiten. Ein Wiehern und ein Lachen ertönten und Hjorgcai sah auf. Ein bockendes und ausschlagendes Pferd auf dem ein lachender Junge saß. Er hatte ein Seil um den Hals der Roten geschlungen und hielt sich an diesem und der Mähne fest. Hjorgcai erinnerte sich noch gut daran, wie sie selbst ihr erstes Wildpferd geritten hatte und wie stolz sie damals gewesen war. Der Kampf zwischen Pferd und Reiter schien Ewigkeiten zu dauern, doch am Ende unterlag die Stute. Zitternd stand sie still und gehorchte ihrem Reiter, der sie zu Hjorgcai trieb.
„Sehr gut.“, erklärte die Aweynche, „Jetzt fliege wie der Wind und genieße die Flügel, die die Pferde uns verleihen.“.
Dann ritten sie davon und verschwanden hinter der untergehenden Sonne. Als sie zurückkamen waren beide schweißbedeckt und die Stute ließ sich widerstandslos mit dem Kamel anbinden.
„Gut gemacht.“. Zufrieden umarmte Hjorgcai ihren Schützling. Sie hatten Zeit verloren, viel Zeit, aber das Selbstbewusstsein des Jungen war angewachsen und es war ein Fundament geschaffen, mit dem man arbeiten konnte.
„Setz dich.“, wies sie ihn an und er kniete vor ihr nieder. Sie nahm ihr Messer und schnitt seine Zöpfe ab.
„Lasse deine Vergangenheit hinter dir und erhebe dich als Hälöron, der stetig in seiner Größe wachsende.“. Mit strahlenden Augen erhob sich Hälöron und lächelte ihr zu. Stolz betrachtete Hjorgcai den Jungen vor ihr und versuchte nicht an den Mann zu denken, der in weiter Ferne mit einem Schiff seine Heimat ansteuerte. Dies war ihr Weg und es gab nur diesen einen.
Vor ihnen erhob sich das Lager des Egyran, das Lager, in dem Hes-Argan regierte. Ob Egyran noch lebte? Hjorgcai bezweifelte es.
„Komm, Hälöron.“. Wie immer, wenn er seinen neuen Namen hörte, lächelte er.
„Sie feiern.“, deutete er das Gelärme.
„Ja, vermutlich feiern sie Hes-Argans Erhebung zum Khan.“, erwiderte sie und die Bitternis übertönte jegliche Freude darüber, das Ziel endlich erreicht zu haben. Hjorgcai trieb ihr Kamel an und Seite an Seite ritten sie in das Tal hinab. Sie machten sich nicht die Mühe abzusteigen, sondern ritten weiter in das Zentrum des Lagers. Der Klang von Pferdekopfgeigen, Trommeln und weiteren Instrumenten drang zu ihnen. Eine Gruppe Tänzer in bunten Gewändern zeigten ihre Kunst, Hjorgcai schenkte ihnen keinen Blick. Die Menschen wichen zurück und der anfängliche Ärger über ihre Rücksichtslosigkeit änderte sich in Erstaunen.
„Die Khatun. Die Khatun ist zurück.“. Die Worte wurden weiter getragen, bis sie die gesamte Menge erfassten. Verwirrung und Freude mischten sich in wilden Strömen, doch letztendlich überwog die Freude, denn niemand wollte die Khatun zum Feind haben. Doch Hjorgcai betrachtete nur den einen Mann, der vorne stand. Hes-Argan. Einen Moment erblickte sie Zorn, Zorn darüber, dass sie seine Pläne durchkreuzte, doch seine Miene schlug blitzschnell um.
„Meine Khatun. Ich muss Euch bedauerlicherweise vom Ableben Eures Gemahls berichten.“. Gespieltes Mitleid war auf seinem Gesicht zu lesen.
„Ich habe nichts anderes erwartet, denn der Wolf befindet sich unter den Schafen und muss vertrieben werden.“. Verächtlich betrachtete sie ihn.
„Und wie stellt Ihr euch das vor? Der letzte Erbe von Khesyaran ist tot und Euch ist es nicht gelungen, einen Sohn zu zeugen. Das goldene Blut ist erloschen und da Ihr die Khatun seid, wäre es klug, wenn Ihr Euch einen…starken und weisen Mann wählt.“.
„Das seid dann wohl Ihr.“, erkannte Hjorgcai.
„Allerdings.“. Ein zufriedenes Lächeln bedeckte das Gesicht des Taidschies.
Sie lächelte ebenfalls. „Nein.“. Ihre Stimme war leise, doch die Botschaft hätte nicht deutlicher sein können. „Nein. Ich weiß, dass Ihr das Blut des Khesyaran über die weibliche Linie tragt, aber wieso Esel nehmen, wenn es auch Pferde gibt?“.
Finsternis verdeckte das Lächeln, das eben noch so offensichtlich gewesen war.
„Verneigt Euch vor dem Khan. Hälöron Khan.“, befahl sie und trat zur Seite, um Hälöron vorzulassen, der bisher stumm hinter ihr gestanden hatte.
Sie sah wie Angst Hes-Argan einnahm. Ob er wohl Esrens Tochter, Hälörons Mutter, in dem Jungen erkannte, der seine Pläne vernichtet hatte? Ob er sie gekannt hatte? Esren hatte er gekannt, denn der Taidschie hatte einst gegen ihn gekämpft. Oh ja, sie sah das Widererkennen in seinen Augen und es trug Furcht mit sich.
„Ich bin Hälöron, Sohn von Tartyran Khan und Geriard, die Tochter von Esren war. Ich trage das Blut des Khesyaran und bin damit rechtmäßiger Erbe von Egyran Khan.“.
„So sei es.“, rief das Volk, denn die Erben von Khesyaran waren heilig und alleine sie zum Herrschen befähigt.
Hes-Argan betrachtete sie. Zorn brach wie ein Gewitter in seinen Augen hervor, aber es wurde nicht laut, sondern blieb leise und still. Die Macht war unter seinen Händen zerronnen wie Sand. Er wandte sich ab und verschwand in der Menge. Hjorgcai ließ ihn gehen. Sie musste nicht Hes-Argan besiegen, sie musste die Macht des Taidschies brechen.
„Hälöron Khan. Hjorgcai Khatun.“.
Hjorgcai lächelte. Der Kampf um die Macht hatte begonnen.