Mehrere Tage später
Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos auf dem Boden lag, umgeben von Asche und Eis. Drei oder vier Tage sind sicherlich vergangen. Als ich die Augen öffne, herrscht Dämmerlicht. Das Feuer erlischt, nur noch wenige Flammen erhellen die ewige Nacht an diesem Ort.
Ich rolle mich auf die Seite und ringe nach Atem. Ich muss husten. Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich bin erschöpft. Jede Faser meines Körpers scheint erfroren und verbrannt zugleich zu sein. Dabei verbrenne ich doch nicht.
Die Welt dreht sich um mich. Ich stürze mich auf die Hände und hebe mich langsam hoch, bis ich auf den Knien bin.
„Langsam, immer langsam, Aiden“, sagte eine Stimme.
Ich hebe den Kopf: „Wer ist da?“
Etwas bewegt sich im Schatten zu meiner Rechten. Ich kann es nicht erkennen. Meine Sicht verschwimmt und mein Kopf dröhnt. In meinen Ohren klingeln hundert Glocken.
„Ich bin ein Freund“, sagte die rauchige Stimme. „Ich werde dir helfen, dafür, dass du mich befreit hast.“
„Ich habe dich befreit?“, frage ich begriffsstutzig. Langsam richte ich mich auf den Knien auf. Ich atme tief durch. Mir ist übel. Dampf scheint von meinen Armen aufzusteigen. Ich kann kaum atmen.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Sie ist kalt. Ich merke erst jetzt, dass ich vor Kälte zittere.
„Ja, du hast mich befreit. Aus meinem Gefängnis in Eis und Kälte. Und dafür werde ich dich befreien.“
Der Fremde bringt seinen Mund nah an mein Ohr. Sein Atem ist eisig, aber er strömt trotzdem Hitze aus. Vielleicht fühlt sich die Kälte auch nur wie Feuer an.
„Wer – bist du?“, keuche ich mühsam. Ich kann nicht klar denken.
„Wer ich bin, spielt keine Rolle“, sagt der Junge. Es ist ein Junge, sehe ich jetzt. Dunkle Haare, eisblaue Augen. Er steht hinter mir, hilft mir, aufzustehen. „Du kannst mich Draco nennen.“
„Danke“, sage ich erschöpft. Draco stützt mich, als ich schwanke. Mein Körper fühlt sich fremd an. Nur langsam kommt die Klarheit zurück, die ich vermisse.
„Ich werde dir helfen“, sagt Draco flüsternd. Er reicht mir eine Hand: „Dafür verlange ich nichts von dir, außer, dass du dich nicht wehrst.“
„Ja“, sage ich, noch vollkommen benebelt. „Was muss ich tun?“
„Nichts“, sagt Draco lächelnd. Ich sehe ihn nur verschwommen. Er legt mir eine Hand auf die Stirn. Sie ist wirklich eisig – oder ich brenne in Fieber.
„Es gibt nur einen Weg hier raus“, sagt Draco leise. „Du musst aufwachen. Erinnere dich hieran und erinnere dich, wer dich hier eingesperrt hat. Erfülle deine Rache – unsere Rache. Verbrenne jeden, der sich dir entgegen stellt.“
Ich kann mich kaum konzentrieren. Seine Worte dringen wie durch Watte zu mir. Ich bin schläfrig, meine Augen fallen zu. Mein Atem steigt als Wolke auf.
„Wache auf“, flüstert Draco mir zu. „Wache auf, Aiden, und nimm Rache.“
Ich schlage die Augen auf. Ich liege. Der Untergrund ist weich. Die Decke über mir ist weiß. Irgendwo piepsen Geräte. Ich bewege mich und spüre ein Ziehen im Arm. Verwirrt sehe ich hin und entdecke einen durchsichtigen Schlauch, der mit einer Nadel in meinem Arm steckt. Ich packe ihn und reiße ihn heraus. Mit jedem Atemzug erlange ich neue Klarheit.
Der Raum ist ein Zimmer in einem Krankenhaus. Ich bin an Geräte angeschlossen, die meine Vitalfunktionen messen. Ich reiße alle Schläuche ab und springe aus dem Bett. Die Geräte schlagen Alarm, als sie meine Atmung und meinen Herzschlag nicht mehr wahrnehmen. Ich trete in die Anzeigen, bis sie Ruhe geben.
Schritte auf dem Flur. Menschen nähern sich, Ärzte, die mich retten wollen. Ich reiße das Fenster auf und sehe hinaus. Ein Stockwerk unter mir, vielleicht drei, vier Meter tiefer, liegt ein Park. Ich trage ein Krankenhaushemd, doch auf einem Stuhl neben mir liegt meine Kleidung: Eine Jeans und die Jacke, die ich geschenkt bekommen habe. Durch das geöffnete Fenster kommt kalte Luft herein.
Ich schnappe mir meine Kleidung und springe dann aus dem Fenster.