24. September
Mein Weg führt mich nach Westen, in Richtung Sonnenuntergang. Sam trottet neben mir durch das kühle Laub. Ab und zu rufe ich meine Macht, suche mit dem Blick der Dunkelheit nach der hellen Eis-Aura und richte mich nach ihr.
Der Weg ist weit. Zum Glück führt er uns ein wenig aus der Bahn von Jens' Rache.
Ich fürchte fast, dass ich den Rächer zu dem Kind des Eises führen werde. Ich hoffe, dass Jens seine Verfolgung aufgeben wird, wenn ich ihm nur lange genug entkomme.
Ich gebe Sam jetzt alle Würste und esse selber nichts. Mein Hund ist abgemagert und launisch geworden, aber er verlässt mich trotzdem nicht. Wann immer ich eine Pause mache und mich im Licht des Tages unter einem Baum zusammen rolle, verschwindet Sam im Gestrüpp und sucht nach Beute.
Heute Morgen kam er mit blutverschmiertem Maul zurück. Ich freue mich, dass er einen Weg gefunden hat, zu überleben.
Jetzt bin ich doch zuversichtlicher. Wir können es schaffen.
Von Jens habe ich seit ein paar Stunden nichts mehr gesehen. Offenbar ist meine Sicht seiner Aura begrenzt und ich kann nur die anderen der Sieben auf jede Entfernung wahrnehmen.
Wir sind weit weg von Jens. Ich wage wieder, aufzuatmen, aber noch bleibe ich wachsam. Nur Tiere sind außer uns in den Wäldern, aber ich bin nicht so töricht, zu glauben, dass Jens aufgegeben hat. Er darf uns auf keinen Fall einholen, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass er noch eine Spur hat, der er folgen kann.
Der Weg durch die Wälder führt mich langsam in Richtung der Berge. Schneebedeckte Gipfel thronen dort über dem grünen Meer der Blätter. Doch scheinen sie nur so nah, wenn ich sie Nachts beobachte, mit meinem durch Schatten geschärften Blick.
Sie sind weit fort. Ich werde vielleicht einen oder zwei Monate brauchen, um sie zu erreichen. Dann muss ich die Berge überqueren. Vielleicht erreiche ich das Kind des Schnees, wenn der Winter beginnt. Eine passende Jahreszeit, finde ich.
Langsam geht die Sonne in meinem Rücken auf. Ich pfeife Sam zu mir.
„Wir machen jetzt eine Pause, Sam. Ruh dich ein bisschen aus und sei nicht den ganzen Tag auf der Jagd, ja, Junge?“
Ich gebe ihm das vorletzte Würstchen, dass er mir hungrig aus der Hand frisst. Die Würstchen sind trocken und riechen bereits süßlich. Aber Sam kümmert sich nicht mehr um so etwas.
Mein Magen knurrt und ich halte die letzte Wurst nachdenklich in der Hand. Gleichzeitig sehe ich den bettelnden Blick, den Sam darauf wirft.
Ich seufze: „Das ist unser letzter Vorrat, Sammy.“
Er legt den Kopf schief und winselt ein wenig. Ich gebe nach und strecke ihm auch die letzte Wurst zu. Viel zu schnell ist das letzte bisschen Essen verschlungen. Ich setze mich mit dem Rücken an einen Baum und wickele mich in meinen Mantel.
Sam legt sich über meine Beine. Er ist warm, sodass meine eiskalten Zehen langsam wieder auftauen. Müde lasse ich meine Augen zu fallen.
Vor meinen Augen erscheint alles winzig klein und ich habe das Gefühl, nach hinten zu fallen. Schwindel, das ist ein Effekt des Hungers. Ab jetzt muss ich hoffen, dass Sam ein guter Jäger wird und für uns beide jagen kann.
Aber ich weiß, dass er mich nicht verlassen wird.
Mitten am Tag werde ich durch ein Gefühl wach. Ich blinzele gegen den hellen Sonnenschein, bin zu schwach, um auch nur die Hand zu heben, um meine Augen abzuschirmen. Sam liegt immer noch auf meinen Beinen und schläft. Ich lausche, aber mein Blut rauscht so laut in meinen Ohren, dass ich die Schritte erst viel zu spät höre.
Da werde ich schon von kräftigen Händen gepackt und auf den Boden geworfen. Jemand kniet sich in meinen Rücken und verdreht meine Arme. Ich schreie und wehre mich, doch ich habe keine Kraft. Irgendwo bellt Sam wütend, um mich zu beschützen.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragt eine Stimme.
Es ist Jens.