6. Februar
Ich sitze auf dem Dach eines Hauses, zwischen einem unbenutzten Kamin und Radioantennen.
Ich weiß nicht, wo ich bin. In irgendeiner Großstadt. Es kümmert mich nicht.
Was mich kümmert, ist mein Plan, Fenia zu fangen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihr Gesicht vor mir, so lebendig, als stünde sie neben mir. Sie lächelt mich an, wirft mir ihre misstrauischen Blicke zu, zwirbelt ihre Locken.
Meine Gedanken kreisen um sie. Sie muss ihre Bestrafung erhalten. Ich will sie her locken – in dem ich Feuer um Feuer zünde, die Welt in Flammen tauche. Fenia wollte die Kinder im Waisenhaus beschützen – sicher wird sie nicht zulassen, dass ich eine Stadt in Schutt und Asche lege.
Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um sie zu besiegen. Ich habe unzählige Menschen, die ich als Energiequelle anzapfen kann. Aber könnte sie mich nicht wieder blockieren? Ich muss es einfach versuchen.
Ich würde schon jetzt anfangen, doch ich weiß noch nicht, welches Ziel ich habe. Ich brauche einen Plan. Wenn ich Fenia gefangen habe, was dann? Ich will sie nicht einfach nur töten. Sie soll leiden.
Etwas kribbelt an meinem Hinterkopf. Ich kratze mich dort, zwischen meinen langen Haaren. Inzwischen habe ich meine Haare geschnitten und mich vor allem rasiert. Ich habe mir auch eine pechschwarze Hose gestohlen und schwarze Lackschuhe. Inzwischen sehe ich richtig schick aus. Aber meine Haare sind immer noch auffällig rot. Ich weiß nicht, woher das kommt.
Das Kribbeln verschwindet nicht. Plötzlich entsteht eine Flamme direkt neben mir, ohne mein Zutun. Ich bekomme ein wenig Angst. Ist Fenia in der Nähe?
Nein, Aiden, ich bin es. Daemon.
„Daemon?“, frage ich verwirrt.
Ach warte, Entschuldigung. Draco, meine ich. Ist ja auch egal. Ich sehe, du brauchst etwas Hilfe.
„Wo bist du?“, frage ich und drehe mich um. Ich bin allein auf dem Dach, weit und breit Niemand zu sehen.
Ich bin in deinem Kopf, und jetzt schrei nicht so, oder jeder denkt, du führst Selbstgespräche.
Jetzt fällt es mir auf. Dracos Stimme hat keinen Klang. Sie ist nur ein Zittern unter meiner Haut, und die Worte formen sich in meinem Gehirn. Was für ein gruseliges Gefühl!
„Du-du wolltest mir helfen?“, frage ich im Flüsterton.
Ja, antwortet Draco. Bezüglich deines Planes, was du mit Fenia anfängst.
„Warum hilfst du mir?“, frage ich. Bisher hat mir noch niemand ohne Hintergedanken geholfen, und da Draco momentan eine Stimme in meinem Kopf ist, bin ich lieber vorsichtig.
Fenia hat auch mich eingesperrt, erklärt Draco. Ich will die Rache genauso sehr wie du!
Das glaube ich ihm. Fenia scheint sich viele Feinde zu machen.
Ich strecke mich leicht: „Was soll ich tun?“
Opfere sie, sagt Draco. Ich furche die Stirn, doch er redet weiter: Töte sie in einem Meer von Flammen, wenn ihre Kraft aufgebraucht ist, und dann trinkst du ihr Blut, wenn es heiß wie Lava ist. Am besten bei Vollmond.
„Was?“, frage ich entsetzt. Vor Schreck rede ich laut und sehe mich schnell um, ob mich jemand gehört hat.
Mir wird klar, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass irgendjemand mich auf diesem Dach hört.
Es gibt dir neue Macht, Aiden, fährt Draco fort. Du nimmst ihre Macht in dich auf. Es wird dich doppelt so stark machen. Danach kannst du weitere Magier suchen und töten. Es wäre der erste Schritt zur Unsterblichkeit.
Ich würde gerne widersprechen, doch das Angebot klingt verlockend. Neue Macht. Unsterblichkeit.
„Was muss ich dafür tun?“, frage ich leise. „Was ist der Preis?“
Abgesehen davon, dass du Fenia schlachten musst?, fragt Draco: Kein Preis. Du verlierst nichts, was du nicht sowieso nicht besitzt. Du weißt, was ich meine: So Dinge wie Empathie, Unschuld, Reinheit. Daran liegt dir nichts. Ich denke, den Preis wirst du gerne zahlen. Und wenn du nie stirbst, musst du dir auch keine Gedanken um die Hölle machen.
„Ich tue es“, sage ich entschlossen. Ich stehe auf. „Ich locke Fenia her, ich besiege sie. Dann sauge ich ihr alle Kraft ab und töte sie. Sie wird wissen, was ich plane. Das wird die Folter sein, die sie braucht. Sie möchte die Unschuldigen beschützen. Ich werde sie zerstören – sie und dann die ganze Welt!“
Sehr gut, Aiden. Das ist die Einstellung, die ich sehen wollte, lobt Draco.