Dimitri – 21. Oktober
Innerhalb von Sekunden wird der ruhige Morgen nachtschwarz und von tödlichen Mächten geschüttelt.
Ich ziehe Demetia hinter mir her und wir fliehen in den Bahnhof hinein, zusammen mit tausend anderen Menschen. Schreie erfüllen die Luft.
Ich habe das Gefühl, dass der Weltuntergang schon begonnen hat. Für einen kurzen Moment habe ich eine Vision, oder eher einen schrecklichen Gedanken: Was, wenn das Ende nur deshalb kommt, weil ein paar Kinder ihre Macht über die Elemente missbrauchen? Was, wenn wir der Grund für das Ende sind?
Ich verdränge die Gedanken. Damit darf ich nicht einmal anfangen. Unsere Aufgabe ist es, die Welt zu retten, und das werden wir tun!
Die Glasscheiben am Bahnhof erzittern unter der Macht des Sturms. Donner grollt und Blitze schlagen in Hochhäuser ein. Scheiben klirren draußen.
Ich halte Demetias Hand so doll fest, wie ich kann. Auf keinen Fall dürfen wir getrennt werden, obwohl sich viele Menschen rücksichtslos um uns drängen.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich kriege kaum noch Luft. Es ist, als wäre ich in bewegter Erde begraben. Nur, dass mich diese Erde nicht wieder freigeben wird.
Demetia zieht an meinem Arm und plötzlich reißt sie mich nach oben, über die Köpfe der Menschen hinweg. Sie hat einen Baum entdeckt, der im Bahnhof in einer kleinen Einfriedung aus Pflastersteinen wächst. Mit ihrer Macht hat sie ihn anwachsen lassen. Jetzt sitzen wir auf einem großen Ast, der uns hoch über die Menschen trägt und dann still stehen bleibt.
Demetia hält mich fest. „Alles gut, Mitja?“, fragt sie mich.
Ich nicke, vor Angst unfähig, ein klares Wort zu bilden. Demetia hat mich gerettet. Mal wieder.
Wir haben einen sehr guten Blick auf den Sturm, der draußen tobt. Noch während wir hinsehen, bricht ein Gebäude donnernd ein, vom Sturm niedergerissen.
„Wie stark ist dieser Junge?“, fragt Demetia entsetzt.
Die Fenster splittern. Regen und Glas fliegen ins Innere des Bahnhofes, Menschen kreischen.
Seelenruhig kommt ein einziger Junge durch die Flügeltüren spaziert. Die Menschen weichen vor ihm zurück. Demetia und ich können unsere Augen nicht von ihm wenden.
Er ist groß, mit dunkler Haut und blonden Haaren, schiefen Raubtieraugen und einem gefährlichen Lächeln. Er trägt einen weiten Mantel, über dem unzählige Riemen und Taschen hängen. Ich sehe, dass er ein Gewehr trägt und eine Brille, die er in seine Haare geschoben hat.
Es ist kein Junge mehr, sondern ein großer Mann, muskulös und garantiert ein furchtbarer Gegner. Er richtet den Blick seiner gelben Augen direkt auf uns.
„Guten Morgen, Erdkinder. Genießt ihr die Show? Bald wird es überall so aussehen“, begrüßt er uns. Seine Stimme wird über den Lärm der kreischenden Menschen getragen. Vielleicht ist es ja der Wind, der dafür sorgt, dass wir jedes Wort verstehen können.
„Wer bist du?“, rufe ich laut und stehe auf. Ich spüre die Erde beben, als ich den Mann wütend fixiere.
Ich weiß, dass auch ich mächtig bin. Also balle ich die Hände zu Fäusten und lasse die Erde direkt unter dem Mann einbrechen.
Leider fällt mein Gegner nicht, sondern schwebt in der Luft und lacht: „Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin derjenige, der diese Welt zerstören wird!“
Ein Windstoß erfasst mich und wirft mich von dem Ast. Im Fallen sehe ich Demetia, die schreiend nach mir fasst – dann fliegt eine Metallstange von draußen aus dem Sturm herein und durchbohrt die Brust meiner Schwester.
„Nein!“, schreie ich, dann falle ich mitten unter die Menschen, die unter mir in Panik nach einem Fluchtweg strömen.
Irgendwo wurde eine Tür geöffnet und die Massen strömen fort wie Wasser durch einen Abfluss. Ich werde mitgerissen, bis ich auf den Boden springen kann und mich zurück zu Demetia kämpfe, durch hunderte von großen Menschen, die mir entgegen rennen, mich stoßen und treten und nicht einmal bemerken.
Ich erreiche Demetia. Sie liegt am Fuß des Baumes, die Metallstange in der Brust. Ihre Augen sehen leer nach oben.
Sie ist fort.