14. Dezember
Leise rieselt Schnee auf den Boden. Ich warte. Pünktlich mit dem Sonnenaufgang öffnet sich die Tür der größten Hütte und die Bewohner treten hinaus, mit Äxten bewaffnet.
Es ist Zeit, zu arbeiten. Der Winter ist kalt, viel Feuerholz wird gebraucht. Etwa zwanzig Holzfäller wohnen in den fünf Hütten. Sie ziehen in Gruppen zu fünf oder vier Personen los.
Anoki, Dyami, Nahele und Maskah sind eine dieser Gruppen. Ohne Shiriki sind sie nur zu viert. Maskah, der Größte und Stärkste der Gruppe, zieht einen Holzschlitten, auf dem die gefällten Stämme zurück gebracht werden, wenn sie heute Abend fertig sind. Die Aufgabe der Jungen ist es, kleine Birken und Tannensetzlinge für Zunder zu fällen. Sie sind noch zu klein, um sich an die große Bäume zu wagen.
Nur, dass sie heute Abend nicht zurück kehren werden – weder mit noch ohne Holz.
Niemand bemerkt mich, wie ich im Schnee hocke. Ich warte, bis die Hütte verlassen ist, dann husche ich los.
Ja, ich habe viel zu tun. Aber zuvor möchte ich mir etwas Passenderes anziehen. Im Nachthemd komme ich mir nicht sehr bedrohlich vor.
Ich ziehe mein kariertes Hemd an und die alte Jeans. Ich bleibe barfuß. Immerhin habe ich nicht mit der Kälte zu kämpfen.
Das ist alles. Ich ziehe los.
Im Wald ist es nicht mehr still. Das Hämmern der Äxte ist weithin zu hören. Ich folge den Geräuschen und den Spuren, die mich direkt zu meinen vier Opfern führen.
Ich halte mich außerhalb ihrer Sicht. Sie werden nicht wissen, wie ihnen passiert. Aber ich muss meine Kräfte schonen.
Ich klettere leise wie ein Eichhörnchen in eine Baumkrone. Während ich darauf warte, dass Nahele und Maskah in Partnerarbeit die junge Tanne zersägt haben, suche ich nach ihren Schwächen.
Shiriki zu töten war einfach. Aber diesmal will ich es genießen. Er ist so schnell gestorben, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Den Fehler mache ich kein zweites Mal.
Anoki setzt sich direkt unter meinen Baum. Er wischt sich die Stirn.
„Alles gut?“, fragt Dyami.
Anoki nickt und reibt sich die Augen.
„Es ist nur … was Letztens passiert ist …“
„Shiriki? Ich dachte, wir reden nicht mehr darüber“, fährt Nahele dazwischen, wozu er eine Pause beim Sägen macht: „Er hat sich verlaufen, als er Glacia suchen wollte, und ist erfroren. Ende der Geschichte.“
Ich hebe eine Augenbraue: Sie haben nicht die Wahrheit erzählt? Aber gut, wer würde ihnen schon glauben? Ein Mädchen mit Eis auf den Armen!
Anoki seufzt: „Ja, schon klar. Aber was, wenn sie zurück kommt?“
„Anoki? Halt die Klappe und nimm die Axt!“, schimpft Maskah. „Ich muss pissen.“
Anoki steht auf und nimmt die Axt von Maskah entgegen. Unwissentlich haben die beiden mir etwas sehr Wichtiges verraten: Diese vier sind meine einzigen Zeugen.
Vielleicht kann ich mich um den Preis für meinen Mord drücken, indem ich einfach alle Zeugen vernichte?
Maskah geht in den Wald, um seinem Bedürfnis zu folgen. Ich warte, bis ich sicher bin, dass die restlichen drei mit dem Baum beschäftigt sind, dann folge ich ihm.
Ich finde ihn, mit herabgelassener Hose und dem Rücken zu mir, wie er genüsslich eine kränkliche, kleine Birke bewässert.
Lautlos wie Schnee schleiche ich mich an ihn heran. Er bemerkt mich nicht, bis meine Hand auf seine Schulter fällt, dicht am Nacken.
Er wirbelt herum: „Was zur … Hölle … Jungs … daas … is ...“
Er spricht immer langsamer. Seine Gesichtszüge gleiten dümmlich auseinander. Ich habe ihm einen Eisstachel direkt ins Rückenmark getrieben.
Seine Muskeln erschlaffen langsam und er sinkt friedlich auf den Boden. Eine dünne Eisschicht überzieht ihn. An seinen Beinen dauert es ein bisschen länger, weil eine warme Flüssigkeit den Einfrierungsprozess aufhält.
Er ist noch bei Bewusstsein. Er wird auch nicht sterben, nicht bevor er qualvoll verhungert ist. Durch das Eis wird kein Wassermangel herrschen.
Solange meine Macht nicht nachlässt, würde er nicht einmal auftauen, wenn man ihn in ein Feuer legt. Wenn ihn hier draußen niemand findet, ist sein Schicksal besiegelt. Und wir sind tief im Wald.