19. Dezember
„Ich höre dir zu“, sage ich wie in Trance.
Matoskah legt seine große Hand auf meine Hände.
„Es naht die Zeit der Dunkelheit, in der die Nacht nicht sehen kann. Die Zeit der Kälte, in der auch das Eis friert. Die Zeit des Feuers, in dem auch die Flammen brennen. Die Zeit des Sturmes, in dem der Wind nicht atmen kann. Die Zeit der Erdbeben, durch die auch der Stein zerbricht.
Und sieben müssen sich erheben, um dem Ende zu trotzen. Sieben, die richtig gewählt haben und reinen Herzens sind. Sieben voller Weisheit.“
Er stockt, dann sieht er mich an: „Eis und Wasser sind Eins, vergiss das nicht. Wasser kann genauso brennen wie Feuer. Eis ist nicht taub. Wenn deine Entscheidung kommt, wählst du falsch.
Wo keine Gnade ist, kann keine Hoffnung wachsen.“
Spätestens an dieser Stelle verliert Matoskah meine Aufmerksamkeit. Er spuckt die Worte förmlich aus, so schnell hintereinander, dass ich ihm kaum folgen kann. Unmöglich, dass ich mir das alles merke. Aber ein Eindruck bleibt. Tod und Zerstörung. Sieben Kinder mit Fähigkeiten. Anscheinend Feuer, Wasser, Erde, Luft und Dunkelheit. Die Dunkelheit soll mir nah sein.
Ach ja. Und ich werde auf jeden Fall versagen.
Matoskah schnippt mit dem Finger vor meiner Nase: „Hör zu!“
„Ich kann nicht!“, beschwere ich mich: „Sie sind zu schnell!“
Er schnippst wieder. „Dummes Kind. Soyala, höre dem Weißen Bären zu: Vertraue der Nacht. Das Ende kommt. Im nächsten Jahr. Es gibt keine wahre Gnade ohne Opfer. Aber es gibt Opfer ohne Gnade. Und jetzt horch, die Soldaten kommen!“
Ich springe auf und lausche, wie Matoskah es mir befohlen hat.
Tatsächlich, ich höre raue Stimmen im Wind. Ich muss fort!
Ich laufe zur Tür. „Danke, Matoskah.“, sage ich in der Tür. Obwohl ich verwirrt bin, glaube ich doch, dass der alte Mann mir wirklich helfen wollte. Der kalte Wind pfeift in den Raum.
Doch Matoskah ist bereits neben mir: „Ich zeige dir den Weg hinauf.“
„Ich finde den Weg“, protestiere ich.
„Nicht den schnellen Weg. Nur der Hüter kennt ihn.“
Ich folge dem alten Mann, der auch mit Stütze erschreckend schnell ist. Ich frage mich, wie alt er genau ist. Vermutlich ist die Antwort vierstellig.
Er führt mich um mehrere Felsen und offenbart mir dann eine Treppe. Sie ist steil und führt fast senkrecht nach oben. Mir wird schwindelig, als ich hinauf sehen.
„Klettere, Soyala. Klettere wie der Schneevogel. Wenn du oben bist, denk an meine Worte.“
Ich nicke und will los klettern, aber Matoskah hält meinen Arm fest: „Was waren meine Worte?“
Ich sehe ihn entgeistert an: „Die Soldaten sind gleich hier!“
Er fasst meinen Arm fester: „Meine Worte, Kind! Wiederhole sie.“
„Das Ende kommt nächstes Jahr“, sage ich aus dem Gedächtnis: „Sieben Kinder der Elemente müssen es aufhalten. Und Gnade gibt es nur mit Opfer, aber Opfer auch ohne Gnade. Und jetzt, Matoskah, bitte, lauf. Bring dich in Sicherheit.“
Er lächelt und nickt: „Ich bin stolz auf dich, Soyala. Kletter nun. Kletter hoch hinauf, Schneevogel, Soyala. Singe dein Lied.“
Ich beginne zu klettern. Wenig später verstehe ich, das Matoskah mir Lebewohl gesagt hat.
Denn die Soldaten, die mich suchen, treffen den alten Mann auf dem Berg an. Die Schüsse sind ohrenbetäubend laut. Es ist ein Wunder, dass keine Lawine ausgelöst wird. Ich klettere weiter, an dem Felsen geschmiegt und weine.
Matoskah war seltsam. Aber das hat er nicht verdient.
Jetzt ist eine Lawine wirkliche Gerechtigkeit.
Das Ende kommt.
Es gibt keine Gnade ohne Opfer, aber es gibt Opfer ohne Gnade.
Ich wünsche Matoskah von ganzem Herzen, dass er Gnade erhält.