Im Jahr 2987
Wir rennen durch den Wald, alle sechs, Seite an Seite.
Hinter uns ertönen Stimmen, Schreie und Schüsse. Wir waren zu unvorsichtig. Wir hätten auf Garrik hören sollen.
Jetzt sind die Männer, die wir jagen, uns auf den Fersen.
Mit lautem Keuchen springen wir über Baumstämme und Schutt.
„Wohin?“, schreit Torben voller Angst.
Wir tauchen in den Schatten hinter mehreren verkümmerten Büschen ein.
„Zur Tube“, sage ich.
Das ist der schnellste Weg hier fort. Und die Vogelfreien werden niemals durch die Sicherheitsschleusen kommen.
„Was ist mit den anderen?“, fragt Lars und meint Garrik, Julian und Morten.
„Wir suchen sie später. Sie müssen alleine zurecht kommen.“
Ich ziehe die Jungen hinter mir her. Die Schreie werden lauter. Wir haben keine Zeit, uns zu besprechen.
Weiter geht die Flucht, durch einen Wald, der zu einem Schrottplatz umfunktioniert wurde. Überall Elektroschrott, alte Möbel und vergessene Erinnerungen.
Wir klettern über Hügel aus Metall und Holz. Je weiter wir rennen, desto mehr zieht sich unsere Reihe auseinander. Ich bin der Schnellste von uns. Zielstrebig laufe ich voraus. Meine durch den Wind geschärften Sinne sagen mir, in welcher Richtung die Tube liegt.
Dann folgt Tobi, hinter ihm Lars und Sven, die unzertrennlichen. Kalle keucht ihnen hinterher, und als letztes Torben, der ständig stolpert.
„Beeilt euch!“, rufe ich. Als würden wir nicht bereit um unsere Leben rennen. Ich kann die düsteren Gestalten sehen, die uns jagen. Verzweifelt schicke ich ihnen Gegenwind, doch das wird uns nicht vor Kugeln beschützen.
Der Sicherheitszaun der Tube kommt in Sicht. Wir werden alle noch einmal schneller. Überall ertönen Schüsse, das Sicherheitspersonal der Tube kommt mit gezückten Waffen auf uns zu.
Im Rennen hebe ich beide Hände als Zeichen unserer Schutzlosigkeit. Die Security schießt, jedoch nicht auf uns.
Atemlos stolpern wir durch den Kugelhagel. Ich werde langsamer, warte auf Tobi und ziehe ihn dann mit mir. Wir stolpern weiter. Kalle schreit etwas. Sven flucht.
Wir gehen hinter einem Schrank in Deckung. Sven und Kalle stoßen zu uns. Nur wenig später springen wir wieder auf und rennen weiter.
Endlich rasen wir durch die geöffneten Pforten, durch den Zaun und hinter die kugelsicheren Stahlplatten. Mehrere Security-Männer mustern uns. Durch die Masse der schwarzen Anzüge wühlen sich Garrik, Morten und Julian.
Sie mustern uns auch: „Geht es euch gut?“
Wir nicken. Einer nach dem anderen wird auf Wunden untersucht. Wie durch ein Wunder haben wir nur Schrammen erhalten.
Und dann: „Wo ist der sechste von euch? Einer fehlt – Torben!“
Wir sehen uns um. Torben ist weg.
Auf dem Schrottplatz brüllen die Vogelfreien. Garrik schiebt uns schnell weg, aber auch so sehe ich, wie sie einen leblosen Körper an einem Kleiderständer in die Luft heben wie eine morbide Fahne.
„Nein!“, keucht Lars.
„Diese Schweine!“, schimpft Sven.
Ich bin vor Entsetzen wie gelähmt. Wir haben nicht einmal mitbekomme, wie unser treuer Freund gestorben ist.
Wir werden in die Tube verfrachtet, Morten bleibt bei uns. Garrik und Julian ziehen alleine den Vogelfreien hinterher, um Torben zu rächen.
Die Tube rast in die Tiefe, fällt dem Erdmittelpunkt entgegen, um uns von Australien nach Amerika zu bringen. In nur zwanzig Minuten.
Ich bin wie gelähmt und achte kaum auf den Lärm unserer Fahrt.
Jetzt haben wir keine Angst mehr. Nur noch Hunger, Tod, Pestilenz, Krieg und Sturm.