17. Februar, Fenias Geburtstag
„Was?“, frage ich schwach.
Fenia lächelt traurig: „Ich bin deine Schwester. Wir sind Familie.“
Meine Welt bricht zusammen. Ich habe noch eine Familie.
„Wie kann das sein?“
Fenia sieht auf unsere verschlungenen Hände.
„Ich war vier, als unsere Eltern starben. Du warst zwei. Du kannst dich nicht mehr daran erinnern. Wir wurden in zwei getrennte Waisenhäuser gebracht. Ich in ein Haus für Mädchen und du in Frau Jägers Heim. Ich hätte etwas dagegen tun sollen. So lange schreien, bis sie uns zusammen sein lassen. Irgendwas. Aber ich war zu jung, um etwas in der Art zu tun.“
Immer noch laufen Tränen über Fenias Wangen. Ich kann mich nicht rühren. Mein Hals schmerzt – was ist das für ein Gefühl? Ich kenne es nicht.
„Ich habe meinen kleinen Bruder nie vergessen“, flüstert Fenia. Obwohl das Feuer brennt, ist die Nacht plötzlich kalt.
„Ich wurde nicht adoptiert, denn wann immer eine Familie kam, sagte ich ihnen, sie müssten auch meinen Bruder nehmen“, fährt Fenia fort. „Ich wurde im Waisenhaus erwachsen. Als ich alt genug war, durchsuchte ich die Bücher, um dich zu finden. Ich wollte sofort zu dir, dich mitnehmen. Wir hätten so viel nachholen können“, Fenia lacht trocken: „Weißt du, dass man eine spezielle Erlaubnis braucht, um die Waisenhäuser überhaupt besuchen zu dürfen? Du musst dich bei tausenden Behörden melden, denen sagen, wie viel du verdienst, in was für Verhältnissen du lebst – einfach alles. Ich war alleine, arm, hatte kaum eine feste Bleibe. Niemand hat mir zugehört, dass du mein Bruder bist. Ich kam einfach nicht zu dir.
Also habe ich eine Ausbildung zur Erzieherin angefangen. In der Zeit entdeckte ich das Feuer in mir. Es half mir durch die Prüfungen. Ich musste nicht mehr schlafen und habe Tag und Nacht gelernt. Dann bin ich zu Frau Jäger gegangen.“
Fenia macht eine Pause. Mir ist eisig kalt. Wie seltsam. Ich sitze mit meiner Schwester hier, irgendwo in einem brennenden Wald, wir halten Händchen und reden. Nachdem ich mehrere Menschen umgebracht hatte und sogar sie töten wollte. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Mein Hals brennt, meine Augen auch. Als ich blinzele, läuft mir etwas über die Wange.
Tränen. Wann habe ich das letzte Mal geweint?
„Warum ...“, ich räuspere mich und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter: „Warum hast du nichts gesagt?“
Fenia sieht auf den Boden: „Ich wusste nicht, wie. Ich sah dich, aber du erkanntest mich nicht. Es brach mir das Herz. Ich habe wohl mit einem glücklichen Happy End gerechnet. Dann hatte ich Angst. Wie sollte ich dir denn sagen, dass du nicht alleine bist. Ich fürchtete, du wolltest mich nicht sehen. Du hättest bereits dein Leben geplant und ich würde alles für dich zerstören. Alles über einen Haufen werfen. Kannst du mir verzeihen? Ich beschloss, dir die Wahrheit zu deinem Geburtstag zu sagen. Dann hättest du dich immer noch entscheiden können. Vielleicht hattest du ja einen Job im Kopf, einen Plan. Ich hätte dir nur Armut bieten können.“
„Du siehst nicht aus wie ich“, sagte ich leise. Ich kann es noch nicht ganz glauben.
Fenia hebt meinen Kopf: „Doch, ich sehe genau aus wie du. Es ist das Feuer. Es verändert uns. Sieh doch deine Haare, sie sind blond.“
Sie hält mir eine Locke vor die Augen. Ich nicke, unfähig zu sprechen. Die Tränen laufen jetzt ungehindert. Sturzbäche.
„Du warst da“, flüstere ich. „Ich war nicht allein. So nah, die ganze Zeit.“
Ich kippe nach vorne. Fenia fängt mich auf. Sie hält mich im Arm und ich weine wie ein Kind. Auch sie schluchzt. Ganz ohne Feuer wird mir warm. Ich spüre ihre Körperwärme. Wir halten uns weinend im Arm,. Und ich weiß, dass eine dicke Eisschicht taut.
„Es tut mir so leid“, sagt Fenia. „Ich war so feige. Ich habe alles falsch gemacht.“
Ich hebe den Blick und fasse ihr Handgelenk. „Ich könnte dir doch eine zweite Chance geben“, sage ich.
Fenia lächelt unwillkürlich. Sie erwidert den Druck meiner Hände.
Und ich lächele. Ein breites, ehrliches Grinsen, das auch meine Augen erreicht. Mein Lächeln ist zurückgekehrt.