14. Februar
Die Sonne sinkt langsam. Die Feuer erhellen die Stadt, wie es zuvor elektrische Lampen getan haben. Meine Opfer, die Menschen, deren Magie ich aufnehme, sind am Ende ihrer Kräfte. Beinahe die Hälfte von ihnen ist gestorben. Inzwischen sind auch die Gebäude wenig mehr als qualmende Trümmer. Rauch hängt als dicke Decke über der Stadt. Funken gleiten durch die Nacht. Nur der Hauptbahnhof steht noch, wo ich mit Fenia darauf warte, dass sich der Vollmond erhebt.
Da der Hauptbahnhof nicht brennt, ist der Himmel über uns klar. Sternenlicht fällt durch die großen Fenster und taucht den großen, leeren Gang im ersten Stock in Silber, wo draußen die Stadt brennt und blutet.
Ich lasse meine Finger durch das silberne Sternenlicht gleiten. Es ist Feuerlicht, nur viele, viele Jahre alt. Ich kann das Licht um meine Finger tanzen lassen. Die Energie, die ich dafür brauche, kostet drei weitere Menschen das Leben. Die oberen Fenster der großen Glasfläche vor mir sind offen und ich atme die Nachtluft tief ein.
Fenia rührt sich. Ich drehe mich langsam um und betrachte sie.
Sie sitzt auf einem Klappstuhl aus Metall. Ihre Hände und Füße habe ich mit Kabelbindern an den Stuhl gebunden. Sie trägt ein weißes Kleid, wie ich es von ihr verlangt habe. Die blonden Haare fallen ihr ins Gesicht. Ihre Augen sind rot umrandet vom Weinen.
„Warum tust du das, Aiden?“, fragt sie mich.
Ich zucke mit den Schultern: „Es ist schön, Macht zu haben.“ Langsam schlendere ich zu ihr. Ein zweiter Stuhl steht neben ihrem. Ich lasse mich hinein fallen.
„Das meine ich nicht“, sagte Fenia: „Das Sternenlicht. Warum tust du das?“
Ich sehe auf meine Arme, die noch in Silber gebadet sind.
„Es ist schön“, sage ich und lasse das Sternenlicht aufflackern. „Warm und schön. Ich zeige es dir.“
„Nein!“, protestiert Fenia, doch ich fasse ihre Schulter und lasse das Sternenlicht von meiner Haut auf ihre überspringen. Das Silber fließt über ihren Körper. Sie wendet den Blick ab und beißt sich auf die Unterlippe.Wenn sie so weitermacht, vergeudet sie noch mein wertvolles Blut.
Ich betrachte sie konzentriert, den Kopf schief gelegt. Ich überspüle sie vollständig mit Sternenlicht. Dann lasse ich das Licht an ihrem Rücken hervor springen. Es formen sich zwei silberne Flügel. Nachdenklich forme ich sie weiter, bis man einzelne Federn erkennt. Über Fenias Wange läuft eine Träne. Ich fange sie in Sternenlicht auf. Die junge Frau ist zu einem Kunstwerk geworden. Sie leuchtet, sie ist so wunderschön.
Ich strecke die Hand aus und nehme ihre Träne auf: „Warum weinst du?“
Sie sieht mich an: „Wie viele Menschen sterben, damit du diesen Trick vollführen kannst?“
Ich lege den Kopf schief und überlege: „Hmm. Fünf.“
Fenia reißt die Augen auf: „Das weißt du?“
„Ich spüre es.“
Jetzt fängt Fenia an zu schluchzen. Ihre Schultern beben. Ich ziehe meine Hand zurück. Wieso reagiert sie so?
„Du spürst es? Du weißt, welche Opfer du forderst, und machst trotzdem weiter? Aiden, warum?“
„Weil ich die Macht liebe“, sage ich ruhig. „Was machen ein paar Menschen, wenn ich unsterblich werden kann?“
Fenia sieht mich an, wieder ruhig. Tränen laufen über ihr Gesicht, doch sie wirken wie Regen. Fenias Gesicht ist gefasst: „Du musst doch irgendwas spüren, Aiden. Schuld, Mitgefühl. Irgendwas.“
Ich horche in mich hinein und schüttele den Kopf: „Nein. Hunger. Ich habe Hunger auf mehr Macht. Seit ich das Feuer kenne, habe ich allerdings auch keinen richtigen Hunger mehr.“
Fenia atmet durch: „Ich weiß. Ich bin auch eine Magierin, Aiden. Wenn du deine Energie aus dem Feuer beziehst, musst du sie nicht durch Nahrung auffüllen. Du musst auch nicht schlafen, jedenfalls nicht in der Nähe von Feuer … oder Menschen.“
„Das erklärt, warum ich nicht müde werde“, sage ich gelassen.
Der Mond ist inzwischen aufgegangen. Sein Licht erhellt die leere Halle. Gegenüber der Fensterseite sind geschlossene Geschäfte. Ihr Inhalt ist ebenfalls verbrannt. Was will ich mit Souvenirs anfangen?
Ich stehe auf und ziehe ein langes Messer, das ich im Bund meines Hose getragen habe. Es ist ein goldener Zierdolch mit gezackter Klinge, aus einem Laden in der Innenstadt. Ich habe ihn nicht gestohlen, sondern mit glühenden Kohlen dafür bezahlt.
Fenias Blick hängt an dem Dolch. Sie atmet schnell und flach. Aus der Tasche meiner Jacke ziehe ich eine flache Schale.
„Bist du bereit, Fenia?“, frage ich freundlich.
Sie starrt mich an, zu ängstlich, um zu sprechen.