Dimitri – 11 September
Alle Kinder sind aus dem eingestürzten Gebäude befreit, doch unsere Lebensmittelvorräte sinken rapide. Niemand war auf ein Erdbeben mitten in Russland vorbereitet, dass den Keller und damit alle Vorräte verschütten wird. Jetzt naht der Winter und es ist fraglich, dass irgendjemand die Kälte überstehen wird.
Inzwischen sind zwei Boten zur Außenwelt unterwegs, eine der jüngeren Nonnen, Anuschka, und Max, der älteste Junge im Haus. Die Verbindung nach draußen ist immer noch zerstört, getroffen von einem unerklärlichen Erdbeben.
Ein Erdbeben, das ist hier noch nie vorgekommen.
Ich würde gerne mit Demetia reden, von ihr hören, dass es nicht meine Schuld ist. Aber sie ist viel zu beschäftigt damit, in der Dunkelheit der Nacht Verletzte zu heilen oder auf wundersame Weise Obstbäume im Garten zu finden, wo nie zuvor ein Baum gewachsen ist.
Ich weiß, ich bin egoistisch. Sie arbeitet sich zu Tode und wird immer erschöpfter. Aber wenn sie die Kraft hat, Apfelbäume wachsen zu lassen, könnte sie doch auch ein paar Minuten am Tag mit ihrem eigenen Bruder reden!
Nein, sie hilft allen, nur mir nicht. Vermutlich hat sie Angst vor mir und der Kraft, die ich habe. Also muss ich gehen.
Die nächste Stadt ist mehrere Tagesreisen entfernt. Waisenhäuser sind immer so abgelegen, weil die unbarmherzige Welt da draußen kein Ort für Kinder ist. Wir müssen davor beschützt werden.
Nun, ich denke, ich gehöre nun auch zu dieser Außenwelt, vor der man beschützt werden muss. Also werde ich Anuschka und Max folgen.
Ich kenn den Weg nicht, aber Erde ist ja mein Element. Ich habe mir heimlich ein paar Äpfel gestohlen und warte jetzt nur noch darauf, dass die Nacht und mit ihr mein Schutz vor neugierigen Blicken kommt.
Ich werde die Stadt finden und alle Menschen dort zwingen, uns zu helfen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.
Aber ich möchte garnicht weg, um den Menschen hier zu helfen, jedenfalls ist das nicht mein Hauptgrund.
Ich kann es nicht ertragen, in die hoffnungslosen Gesichter zu sehen, mit dem Wissen, dass ich verantwortlich bin. Ich möchte einen Ort aufsuchen, wo ich niemandem schaden kann, um dort meine Kräfte zu erproben.
Ich werde nicht zurück kehren. Demia ist doch eh beschäftigt und ich muss einfach hier weg. Keinen Tag länger halte ich es aus, durch die Zerstörung zu gehen.
Die Sonne sinkt unerträglich langsam. Ich wühle mit den Händen durch den Schmutz am Boden.
Plötzlich stoßen meine Hände auf festen Widerstand. Ich greife zu und ziehe etwas aus der Erde.
Ein Stein. Ich halte einen glatten, schwarzen Stein in der Hand, dessen Oberfläche geheimnisvoll glänzt. Neugierig starre ich auf meinen Fund. Was für ein Stein ist das? Kohle? Obsidian?
Weder noch, denke ich, denn der Stein färbt meine Finger nicht, fühlt sich aber zu weich für Obsidian an. Vielleicht Onyx?
Ich zucke mit den Schultern und stecke den Stein in meine Tasche. Ich werde ihn „Krähenstein“ nennen, bis ich herausfinde, um was für einen Stein es sich handelt. Denn er hat die Farbe von Krähenfedern.
Endlich wird es dunkel. Ich sehe mich um, ob mich jemand beobachtet – natürlich nicht, alle sind viel zu beschäftigt – dann stehe ich auf. Mit einer Hand umfasse ich den Stein, der sich sogar ein wenig klebrig anfühlt. Der Stein in klein, aber er passt perfekt in meine Hand, wenn ich sie zur Faust balle.
Seltsamerweise fühle ich mich nicht mehr allzu einsam.