Dimitri – 3. Oktober
Ich schließe konzentriert die Augen und entspanne mich. Ich weiß ja, dass Demetia da ist und auf mich aufpasst. Also kann ich mich getrost fallen lassen.
Das Bett quietscht bei jeder Bewegung, aber nach den Tagen in den Wäldern kommt mir das billige Gestell aus Stahl mit der dünnen Matratze drauf wie der größte Luxus vor.
Ich versuche, den heruntergekommenen Raum um mich herum zu ertasten. Ich kämpfe darum, dass Gespür wiederzuerlangen, dass ich tief in der Erde vergraben empfunden habe.
Aber es vergehen lange Minuten, ohne dass ich etwas spüre. Ich stelle mir den Raum in allen Einzelheiten vor, die kaputte Tapete, das Fenster, dass nicht richtig schließt, die beiden grauen Betten, die die einzigen Möbel in dem kleinen Raum sind – man kann die Schimmelflecken in den Ecken erkennen und auch die Stellen, wo vorherige Besucher mangels einer Toilette ihr Geschäft erledigt haben.
Das Gefühl des Wissens kehrt nicht zurück. Dabei habe ich die anderen Kinder sehen können, wie leuchtend helle Flecken auf der Erdkruste. Ich kann mich auch noch grob erinnern, wo sie waren, doch als ich in der Erde lag und mein Wille zu sterben sich langsam in das Wissen wandelte, dass ich leben musste, da habe ich nicht genau darauf geachtet.
Wir wollen losziehen und die Kinder finden, die uns am nächsten sind. Doch dazu muss ich diese Kinder finden!
Mit geschlossenen Augen warte ich, in dem Bewusstsein, dass Demetia auf meine Antwort wartet.
Ich balle verzweifelt die Hände zu Fäusten.
Plötzlich landet etwas Kaltes auf meinen Händen und meiner Brust. Ich zucke zurück und will die Augen öffnen, aber mit einem Schlag falle ich.
Meine Sicht ist zurückgekehrt. Ich kann wieder Spuren sehen. Allerdings nur ganz blass. Ich kann manche Kinder nicht sehen.
Sie schlafen noch. Ihre Kräfte sind noch nicht erwacht. Eis und Feuer schlafen noch, aber ich kann die Nacht sehen. Das Kind der Dunkelheit ist weit entfernt und es kämpft verzweifelt mit seiner Angst.
Der Junge ist unerreichbar für uns. Aber ich höre eine Stimme mit dem Wind singen. Sie klingt kräftig und nah – vielleicht sogar schon erschreckend nah.
Der Wind scheint an mir zu reißen und ich bekomme Angst. Er nimmt mir fast den Atem, plötzlich habe ich das Gefühl, zu ersticken.
Aber ich kann die Augen nicht öffnen. Ich weiß immer noch nicht, wie ich mit der Magie aufhöre. Schon habe ich Angst, dass ich jetzt wieder sterben werden, weil alle Kraft aus meinem Körper gerissen wird.
Eine Hand umfasst meinen Arm.
Demetia.
Sie nimmt mir die Magie ab, Stück für Stück, und zieht mich aus der Trance. Es ist, als würde ich aufwachen. Ich muss erst das Gefühl für meinen Körper zurückerlangen. Ich bin noch ganz benommen und will die Decke wegstreichen, als mir einfällt, dass wir in diesem Zimmer keine Decken haben.
Ich hebe den Blick und sehe, dass ich von Erde bedeckt bin. Das Fenster steht offen und kalter Wind kommt herein. Der trostlose Blumenkasten, in dem nur verkümmertes Unkraut wuchs, ist jetzt auf meiner Brust und dem Bett verteilt.
Eine hübsche, gelbe Blume erhebt sich aus der Erde auf meiner Brust. Demetia nimmt sie vorsichtig, darauf achtend, die Blüten nicht zu berühren, und steckt sie in den beinahe erdleeren Blumenkasten.
„Die ist giftig“, sagt sie mir.
„Warum bin ich voller Erde?“, verlange ich zu wissen und schnippse einen Krümmel von meiner Brust.
„Ich hatte das Gefühl, dass du nicht vorwärts kamst mit deiner Trance“, erklärt Demetia. „Also dachte ich, vielleicht hilft es dir ja, wieder unter der Erde zu sein.“
Ich lache trocken und sehe sie an: „Ja, geholfen hat es schon.“
„Und? Was hast du erfahren? Es sah so aus, als hätte es dir nicht gefallen.“