7. Dezember
Eine Rose liegt auf meiner Fensterbank. Sie ist tiefrot und noch frisch. Kleine Wassertropfen perlen auf den Blütenblättern.
Es ist früher Morgen, die Sonnenstrahlen leuchten rot über der verschneiten Prärie, auf die ich von meinem Fenster aus eine perfekte Sicht habe.
Ich habe das Fenster geöffnet und streiche nachdenklich über die rote Blüte. Ich rieche ihren Duft. Direkt daneben liegt eine Lederkette, an der ein einziger Zahn hängt.
Das ist Shirikis Kette. Er trägt sie immer. Ich habe noch nie erlebt, dass er sie auszieht. Ich zittere ein bisschen. Er hat mir die Rose dagelassen. Ich sehe die Fußspuren im Schnee, noch ganz frisch. Der Morgen ist klar.
Ich habe nur mein Nachthemd an, als ich aus dem Fenster klettere. Ich streiche meine Haare zurecht, die noch durcheinander von der Nacht davor sind. Barfuß laufe ich durch den hohen Schnee, Shirikis Fußspuren folgend.
Er ist in den Wald gegangen, wieder zu der Trauerweide am Schwanenteich. Das Wasser ist jetzt gefroren, obwohl das Eis noch lange nicht dick genug ist, um darüber zu laufen. Schneeflocken rieseln aus dem Baum auf Shiriki, wenn der Wind durch die verschneiten Äste fährt. Shiriki trägt eine dicke Jacke und reißt die Augen auf, als er mich in meinem weißen Hemd kommen sieht.
Ich lächele zurück, furchtlos.
„Hallo Shiriki“, sage ich.
„Frierst du nicht?“, fragt er entsetzt. Sein Blick wandert zu meinen Füßen. „Du machst keine Abdrücke!“
„Nein“, erkläre ich. Ich will ihm zeigen, wer ich bin. Er zieht seine Jacke aus und kommt auf mich zu, um das blaue Kleidungsstück über meine Schultern zu legen.
Ich stoppe ihn, indem ich meine Hand ausstrecke. Ich berühre ihn und spüre seine Wärme
„Ich friere nicht, Shiriki. Niemals.“
Er sieht mich an. Mein Atem ruft keine Wolken mehr hervor.
„Was bist du?“, fragt er und weicht einen Schritt zurück.
„Ich bin Glacia“, sage ich ruhig. „Ich bin eine Freundin des Schnees.“
Shiriki schluckt. Ich sehe, wie sein Adamsapfel hüpft.
„Du brauchst keine Angst zu haben!“, sage ich sanft: „Ich tue dir nichts.“
Ich strecke eine Hand nach ihm aus, aber berühre ihn nicht.
Shiriki sieht mir in die Augen: „Ich … ich wollte mich entschuldigen … für alles.“
„Wo hast du die Rose her?“, unterbreche ich ihn und komme ich einen Schritt näher. Langsam, damit er sich nicht erschreckt.
„Es ist eine Wildrose. Tief im Wald gibt es ganz viele. Ein paar blühen noch.“, stammelt Shiriki. Er atmet tief durch: „Du bist wirklich eine Freundin des Schnees?“
Ich nicke und weiche seinem Blick aus. „Seit einiger Zeit“, antworte ich ausweichend.
„Ähm. Und wie ist das so?“
„Kalt“, meine ich schief lächelnd. „Es ist nicht wirklich spannend. Ich kann Eis auf meinen Armen erscheinen lassen.“
Ich strecke die Hände aus und zeige es ihm. Shiriki reißt die Augen weit auf.
„Das – das ist cool. Echt.“ Er überlegt kurz: „Cool – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Ich grinse. Trete noch einen Schritt näher.
„Du wolltest mit mir reden, nicht wahr, Shiriki?“, frage ich.
Er nickt: „Ja. Gut, dass du mich daran erinnerst. Ich hätte es glatt vergessen.“
Er weicht meinem Blick aus und kratzt sich im Nacken, bevor er mir wieder in den Augen sieht.
„Jetzt, Leute!“
„Was?“, schreie ich verwirrst, als auch schon meine Arme von hinten umklammert werden.