Vor dem Hotel:
Morgennebel hing noch über dem verschlafenen Dörfchen. Der Wind war kalt, die Luft feucht und Sonnenstrahlen kamen nur vereinzelt durch die dichten, weißen Wolken am Himmel. Es regnete leicht, als die 13 Tourmitglieder mit ihren Koffern das Hotel Cecilia verließen.
Luca gähnte ununterbrochen, und machte sich nicht mehr die Mühe, sich die Hand vor den Mund zu halten. Evelyn hatte sich zitternd mit unter Milos Jacke verkrochen. Liam war kaum zu erkennen, unter der dicken Wintermütze und mit dem großen, dunkelblauen Schal.
Amy trug einen Kaffeebecher und hatte bereits den kleinen Zettel gezückt, auf dem sie sich die weiteren Stationen ihrer Reise aufgeschrieben hatte.
„Das nächste Hotel ist das Hotel Fear“, las sie vor: „Benannt nach der Fear-Street-Buchreihe, passenderweise werden wir auch ein solches Buch in der Lesung haben.“
„Mhh-mhh“, machte Luca schläfrig.
Amy musterte ihre Freunde.
Evelyn sah eigentlich aus wie immer. Bereits geschminkt, trug sie einen schwarzen Rock über einer hellrosa Strumpfhose, ein glitzerndes, lässig geschnittenes T-Shirt, das ihre schmale Figur betonte und darüber eine kurze, schwarze Lederjacke. Dazu kamen schwarze Stoffstiefel mit rosa Innenfutter. Das einzige wärmende Kleidungsstück, das sie trug, war ein dunkelgrauer Schal, der sich wie eine gestrickte Flut über die zierlichen Schultern ergoss. Darauf saß ihr längliches Gesicht mit dem unordentlich scheinenden Dutt, der in Wahrheit verflucht kompliziert war, da die Haare in bestimmter Länge und Richtung daraus hervor sehen mussten.
Milo hatte seine übliche, enge Jeans angezogen, deren Gürtel ziemlich tief saß, darüber eine blaue Stoffjacke mit weißen Ärmeln, die ihm viel zu groß war und darum auch Eve Platz bot. Milo spielte gelangweilt mit seinem Tunnel und suchte in der Ferne nach dem ersten Anzeichen für den Bus, der sie abholen sollte. Eve fuhr verspielt durch Milos Haare, die auf dem Kopf lang und gestylt, ansonsten kurz geschoren waren.
Liam trug eine weite Hose, darüber eine graue Skijacke, schwere Wanderstiefel und natürlich Schal, Mütze und Handschuhe. Von dem pummeligen, blonden Jungen war nicht viel mehr als die Nasenspitze zu erkennen. Auf dem Rücken trug Liam seinen großen Rucksack mit zwei kleinen Raketen auf den Seiten.
Luca dagegen trug eine ausgefranste Jeans, einen locker sitzenden Pullover – und sonst nichts.
„Wo ist deine Jacke?“, fragte Amy, worauf sich Luca nervös im Nacken kratzte: „Ich hab sie nicht mehr gefunden. Muss sie irgendwo eingepackt haben“, sagte der schlaksige Sportler und rückte seine Brille zurecht. Wenn ihm die Haare nicht so wirr abstehen würden, und seine Gliedmaßen aufgrund seiner hageren Größe nicht so schlecht zusammen zu passen schienen, könnte er klug aussehen.
Amy verdrehte die Augen: „Hoffen wir es. Hol dir keine Erkältung, bitte!“
„Ich doch nicht!“, winkte Luca ab und gähnte wieder.
Amy verstaute den Zettel in ihrer Umhängetasche mit den roten Fransen. Sie trug einen halblangen Wintermantel in beruhigendem Braun, darunter eine dunkle Jeans, schwarze Stiefel mit leichten Absätzen und außerdem gold-orange Handschuhe aus Wolle, die ihre Finger frei ließen. Von der Tasche baumelten Fransen, von der Jacke ein Gürtel, den sie nicht geschlossen hatte und von ihren Stiefeln dunkle Stofffetzen, die an den Reißverschlüssen befestigt waren. Ihre roten Haarlocken ließ Amy offen und warf sie nun wiederholt über die Schulter. Eine vorwitzige Strähne an ihrer Stirn fiel ihr sofort wieder ins Gesicht.
Außer den fünf Jugendlichen waren auch Samstag und seine fünf Mädchen draußen, ebenso Dimitri und Samira. Samstag trug eine grüne Stoffjacke, deren Ärmel er hochgekrempelt hatte, darunter das gleiche T-Shirt und die gleiche, abgenutzte Hose. Die Mädchen trugen wie am gestrigen Abend schwarze, enge Kleidung, die für die kühlen Temperaturen viel zu viel Haut frei ließ. Eve schoss der Gruppe finstere Blicke zu.
Dimitri hatte ein kariertes Hemd mit kurzen Ärmeln an und ebenfalls auf eine Jacke verzichtet. Amy konnte rote Flecken sehen, die die Haut des Russen überzogen. Neurodermitis, erkannte sie mit dem wachsamen Blick einer baldigen Medizinstudentin. Die Hände hatte Dimitri in den Bund seines Gürtels geschoben. Er hatte einen Waschbärbauch, merkte Amy, ansonsten sah der Mann nicht sonderlich gesund aus. Seine Haut war ein wenig gelblich, er hatte tiefe Ringe unter den Augen und hustete von Zeit zu Zeit in seine Ellenbeuge. Samira dagegen trug einen eleganten, dunkelgrünen Wintermantel, der innen schwarz war, lächelte freundlich zu ihnen herüber und trug offenbar alle Taschen, die sie und Dimitri hatten.
Der Bus, der schließlich um die Ecke bog und sich seinen Weg durch die schmalen Straßen bahnte, war pink und grün. In verschwommener Schrift, die wohl Schleim darstellen sollte, standen die Worte „Gänsehaut“ darauf.
Luca stöhnte: „Ehrlich? Wir sollen den Stine-Express nehmen?“
Amy warf ihm einen Blick zu: „Ich hatte dir doch gesagt, was unsere nächste Station ist.“
„Gänsehaut?“, fragte Luca entsetzt: „Das ist doch keine Horrorliteratur – das ist Horrorschund!“
Der Bus hielt vor ihnen und die Türen öffneten sich.
„Nächster Halt: Hotel Fear!“, quäkte eine Lautsprecherstimme.
Luca unterdrückte ein Stöhnen: „Das darf doch nicht wahr sein. Diese Tour wird der Horror.“
„Genau das wolltest du doch!“, sagte Amy grinsend und schob Luca als Ersten durch die Tür in den Bus, bevor sie, Liam, Milo und Eve folgten. Dann traten Samstag und sein Gefolge ein, als letztes Samira und Dimitri.
Der Bus fuhr ab, und Amy warf einen letzten Blick auf das gemütliche Hotel Cecilia mit seinen verzierten Balkonen, hellen Gardinen und seinem Dorf-Flair.
Es war nach einem angeblich verfluchten Hotel in Hollywood benannt. Amy seufzte und ließ sich in einen abgewetzten Sitz fallen, um die Fahrt bis zum nächsten Hotel für ein wenig Schlaf zu nutzen.
Sie hoffte, dass die Tour ihren unverschämt hohen Preis auch wert sein würde.