Unterwegs zum Speisesaal
Die Kinder auf den Gemeinschaftsschlafsälen trafen auf dem Gang aufeinander, als ihr Gastgeber sie mit einer Glocke zusammentrommelte.
„Mutige Narren, euer letztes Abendessen ist angerichtet. Ihr dürft euch jetzt ausrüsten, dann folgt dem Gang hinunter, immer der Nase nach!“, mit einer Verbeugung zog sich der Mann rückwärts zurück.
Die Tür fiel ins Schloss.
„Wir sollen uns ausrüsten?“, echote Luca verwirrt: „Wie denn, mit Messer und Gabel?“
„Entweder, das sollte uns nur Angst machen, oder wir brauchen gleich tatsächlich irgendwas“, meinte Samstag und gab seinen Begleiterinnen ein paar Zeichen.
Amy beobachtete, wie die Mädchen schnell in die beiden Zimmer huschten und wenig später zurück kamen. Die Ausrüstung bestand aus Taschenlampen und Seilen, zwei hatten warme Jacken dabei. Die rothaarige Wild Child nahm sogar eine Handtasche mit, in der vermutlich einiges versteckt war.
„Okay!“, rief Samstag und übernahm damit offenbar die Führung: „Gehen wir!“
„Sollten wir uns nicht auch ausrüsten?“, fragte Evelyn leise, aber eine s der Mädchen – die mit den schwarzen Haaren – winkte ab: „Keine Bange. Wir haben genug Taschenlampen für uns alle.“
Amy folgte dem Rest ein wenig nervös. Sie hatte keine Ahnung, was sie nun schon wieder erwartete. Bis Wild Child eine Karte aus ihrer Tasche zog: „Black Stories?“
Samstag und seine Mädchen jubelten, Samira verdrehte genervt die Augen, Eve nickte zögerlich, Luca und Milo grinsten einander an.
Sie hatten schon im Schlafsaal gespielt, und offenbar war Amys Gruppe nicht die einzige gewesen. Samira hatte offenbar die Nase voll vom Raten, aber Amy war durchaus geneigt, sich ein wenig von der grellen Umgebung abzulenken.
„Also:“, las Samstag vor: „Der Winter hatte gerade begonnen, als Sören in einem Haus eine halb verweste Leiche fand.“
„Ihh!“, kommentierte Evelyn.
„Ist der Typ erfroren?“, fragte Luca, aber Samstag hob eine Hand, um die Fragen aufzuhalten: „Ich muss erst die Rückseite lesen.“
Eine längere Stille schloss sich an, während der Samstag im Licht einer Lampe stehen blieb. Dann hob er den Kopf: „Nein.“
„Nicht erfroren, okay“, murmelte Fay nachdenklich.
„Ist Sören ein Mensch?“, fragte Lily leise, was Samstag bejahte.
„Hat sich wieder jemand strohdumm angestellt?“, fragte Luca und Samstag musste auch dazu grinsend Ja sagen.
„Die stellen sich immer strohdumm an!“, warf Wild Child berechtigterweise ein.
„Warum hat Sören den Mann nicht vorher gefunden?“, überlegte Amy laut. Tee-jo merkte auf und fragte: „Ist die Leiche überhaupt ein Mensch?“
„Ja“, sagte Samstag.
„Ein Mann?“, hackte Tee-jo nach und Samstag nickte.
„Hätte ja auch eine Maus sein können“, meinte Tee-jo schulterzuckend zu den anderen.
„Ist das ein Ferienhaus?“, fragte Amy, was Samstag verneinte.
Der Weg führte sie inzwischen aus dem langen Gang heraus und auf einen breiteren Gang, dessen Wände mit gemalten Augen dicht an dicht beklebt waren. Von allen Seiten starrten die unterschiedlichsten Pupillen ihnen nach.
„Also ist das seine normale Wohnung?“, fragte Milo zum besseren Verständnis: „Und er findet Anfang Winter eine Leiche?!“
„Ist die Leiche schon länger da?“, quiekte Evelyn entsetzt. Samstag bejahte.
Wild Child rieb sich die Nasenwurzel: „Warum findet man einen Toten erst Anfang Winter. Die stinken doch!“
Evelyn verzog das Gesicht: „Ich weiß nicht, was ihr alle an dem Spiel findet!“
„Es hängt mit dem Winteranfang zusammen, dass er die Leiche findet, ja?“, fragte Lily.
Samstag nickte und grinste in dem Wissen, dass sie noch eine ganze Weile raten würden.
„Also irgendwas, was man im Sommer nicht tut, hat zum Fund geführt?“, fragte Lily.
Samstag nickte.
Samira rief von weiter hinten: „Heizen!“
„Ja, es hat irgendwas mit den Heizungen zu tun!“, rief Wild Child.
„Jaaa-in“, sagte Samstag.
Die Ratenden tauschten verwirrte Blicke: „Moment, was?“
Samstag grinste nur: „Teilweise ja, teilweise nein.“
„Nicht Heizungen, sondern Heizen?“, fragte Fay schüchtern und Samstag nickte mit einem Seufzen: „Ihr ratet zu gut. Also, weiter!“
„Hmm, Sören heizt, aber nicht mit Heizungen?“, fragte Lily und Samstag nickte: „Womit heizt man denn noch?“
„Feuerholz!“
„Kamin!“
„Streichhölzer!“
„Osterfeuer?“
Alle riefen durcheinander, bis Samstag die Hand hob: „Die richtige Lösung war schon dabei!“
Für einen Moment herrschte Stille, dann grinste Tee-jo plötzlich: „Der Tote … ist das zufälligerweise der Weihnachtsmann?“
„Was? Nein!“, rief Samstag, aber etwas in seiner Stimme klang ein wenig überrascht. Wild Child schlug sich vor die Stirn: „Aber ein Einbrecher, der durch den Kamin einsteigen wollte!“
„Was?“, fragte Luca: „Wie kommt ihr darauf?“
„Ja“, sagte Samstag gequält: „Echt, wie kommt ihr darauf?“
„Es ist richtig, oder?“, fragte Wild Child: „Der Mann wollte über den Kamin einsteigen, ist stecken geblieben und verhungert, und als Sören im Kamin Feuer machen wollte, zog der Qualm nicht ab!“
„Verdurstet“, berichtigte Samstag und gab die Karte geschlagen an Wild Child weiter. Die Rothaarige überflog die Rückseite und grinste: „Ja!“
„Das ist furchtbar!“, sagte Evelyn und schlang die Arme um ihren Oberkörper: „Stellt euch vor, da hängt die ganze Zeit ein Toter in eurem Kamin!“
„Wie seid ihr so schnell darauf gekommen?“, beschwerte Luca sich weiter.
Sie hatten die Tür am Ende des Ganges erreicht, aus der ein rotes Auge aus Plastik hervorsprang, jede Wimper stand einzeln ab. Ein paar der fingerlangen Plastikwimpern waren bereits abgebrochen.
Einen kurzen Moment zögerten die Jugendlichen, bis schließlich die blonde Mira vortrat und die Tür öffnete, indem sie in das schwarze Loch der Pupille griff und dort den Türknauf fand.
Die Tür öffnete sich zum Speisesaal.