Abendessen:
Es gab keinen richtigen Speiseraum, deswegen hatten die Veranstalter sich offenbar überlegt, dass man doch im Herbst draußen essen könnte. Amy fror, während sie die wenigen Meter von der Tür ihres Zimmers zu dem flackernden Feuer auf dem leeren Parkplatz überwand.
Rund um einen großen Kugelgrill standen 13 Klappstühle, sowie ein weißer, alter Klapptisch, auf dem Pappteller und eingepackte Würstchen bereit lagen.
Evelyn stand verloren ein wenig abseits und beobachtete Samstag und seine fünf Frauen, die bereits knapp die Hälfte der Stühle besetzt hatten und fröhlich damit beschäftigt waren, Würstchen und Marshmallows zu grillen. Den sechs schienen die Umstände wenig aus zu machen, aber Amy fühlte sich nicht wohl. Sie hatte Hunger auf etwas Richtiges, das vielleicht Kartoffeln und Gemüse enthielt. Die Salate und Minischnitzel auf dem Tisch schienen ihre Anforderungen nicht zu erfüllen.
Sie ging zu Evelyn und wärmte sich gemeinsam mit ihrer Freunden die Hände am Feuer.
„Gut angekommen?“, fragte sie die schweigsame Eve.
Das andere Mädchen nickte und kaute auf ihrer Unterlippe. Amy seufzte: „Dein Zimmer ist auch voller ausgestopfter Tiere, oder?“
Eve nickte: „Ich weiß, ich habe versprochen, nicht die ganze Zeit zu jammern“, sagte sie leise: „Aber es ist furchtbar hier! Ich würde am Liebsten nach Hause.“
Amy sah in die großen, traurigen Augen ihrer Freundin: „Vielleicht kannst du mit den Veranstaltern sprechen.“
„Nein“, sagte Evelyn entschieden, „ich bleibe.“
„Milo?“, riet Amy.
„Genau“, bestätigte Evelyn und wandte ihr ein bleiches Gesicht zu: „Sag ihm nichts, ja?“
Amy grinste: „Ich werde schweigen wie ein Grab!“
Wenig später tauchten Liam und Luca gemeinsam auf. Dann kamen Dimitri und Samira und als Letzter Milo. Sie setzten sich nah ans Feuer. Samstag verteilte angespitzte Stöcke mit Würstchen. Eve lehnte ab und kauerte sich mit einer Plastikschüssel voller Salat am Feuer zusammen. Milo setzte sich neben sie und schenkte ihr ein mitleidiges Lächeln, was deutlich machte, dass Amy überhaupt nicht zu schweigen brauchte.
Luca ließ sich neben sie auf einen Stuhl fallen, als sie alle langsam ihre Plätze einnahmen.
„Cool. Ich hab seit Jahren nicht mehr gegrillt!“, grinste der schlaksige Junge: „Glaubst du, sie haben auch Stockbrot?“
Amy zuckte mit den Schultern: „Ich vermute, eher weniger.“
„Naja, wird schon gehen“, meinte Luca und reckte seinen Stock ins Feuer, der gleich sieben Würstchen trug.
„Übertreibst du nicht?“, fragte Amy mit einem Blick darauf.
„Nö. Ich habe ganz selbstlos auf meinen Anteil vom Salat verzichtet“, erklärte Luca: „Dafür stehen mir mehr Würstchen zu.“
Amy verdrehte mit einem müden Lächeln die Augen.
„Gibt es irgendein Programm hier?“, fragte Samira in die Runde, die Amy gegenüber saß. Es war um das Lagerfeuer recht still, was vor allem an der Müdigkeit der einzelnen Personen lag.
„Amy? Weißt du was?“, fragte Milo, aber Amy schüttelte den Kopf: „Ich weiß nichts. Vielleicht dürfen wir uns „Psycho“ ansehen.“
„Ich denke, für heute sollten wir Ruhe haben“, meinte Dimitri, der mit düsterem Gesichtsausdruck an einem Würstchen kaute: „Es stünde uns jedenfalls zu.“
„Sag mal, schwächelt ihr alle?“, fragte Samstag und grinste: „Das hier ist die Hell-Hopping-Tour! Ich erwarte mehr Begeisterung!“
Samira lächelte kühl über das Feuer hinweg: „Wir sind alle müde.“
Amy nickte abwesend. Morgen früh würde alles besser aussehen. Heute war ihr kalt, sie war müde und erschöpft. Nicht einmal der Hunger konnte dafür sorgen, dass ihr das Essen schmeckte. Und sie vermisste ihr Handy. Nicht, dass sie ein Handy-Junkie gewesen war, aber es war beruhigend gewesen, ein Kommunikationsmittel zu haben.
Amy bemerkte, dass Evelyn auf den Boden starrte. Sie würde diese Nacht bestimmt nicht gut schlafen.
Sie aßen schweigend. Niemandem schien danach zu sein, viel zu reden, auch nicht Samstag. Dann räumten sie die Pappteller schweigend in einen großen, blauen Müllsack, der bereits stand. Amy dachte wehmütig an das Geld, dass sie zur Hälfte selbst hatte bezahlen müssen. Dafür hätte man besseres Essen erwarten können, oder?
Sie ging zurück in ihr Zimmer, nachdem sie sich kurz mit Milo, Luca, Eve und Liam ausgetauscht hatte, damit jeder von ihnen wusste, in welchem Raum der andere schlief. Es gab sowieso nur dreizehn Zimmer in dem Motel, und Amy fragte sich, ob die Herberge extra für die Hell-Hopping-Tour entworfen worden war – und wenn ja, auf welche fiesen Gedanken die Erbauer wohl gekommen waren.
Mit diesen düsteren Gedanken schlief sie schließlich ein, unter einem Hirschkopf und mit dem Gefühl, am nächsten Tag dringend duschen zu müssen.