Unter der Erde:
Milo schreckte aus dem Dämmerzustand auf, in den er vor lauter Erschöpfung verfallen war. Ein Geräusch ertönte, ein Geräusch, dass tief an seinen Urinstinkten rührte und ihn mit der Kraft, die den Krallen eines Raubtieres innewohnte, aus dem Nebel der Müdigkeit riss.
Ein Heulen. Ein hohes, unnatürliches Heulen. Milo richteten sich die Nackenhaare auf.
Den Anderen ging es nicht besser. Die Elf in dem kleinen Raum richteten sich kerzengerade auf.
"Was ist das?", fragte Amy mit hoher Stimme.
Samstag lief zu der Tür und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand daneben, den Kopf lauschend schräg gelegt und das lange Klappmesser in der Hand.
"Waffen raus", befahl Wild Child den anderen. Tee-jo, Lily, Mira und Fay waren bereits bewaffnet.
"Was ist das?", wiederholte Amy, die blass geworden war. Milo tastete nach dem Messer, das er bekommen hatte, dann stellte er sich schützend vor Evelyn.
"Bleibt da hinten", sagte Lily und deutete auf die nackte Erde hinter dem Sekretär. Milo, Eve, Amy, Luca und Samira gingen dahinter in Deckung.
Die blonde Frau schluckte: "Das klingt nach einem wilden Tier!"
Milo sah, dass Eve nur noch blasser wurde.
"Könnte das nicht einfach der Wind sein?", fragte Luca mit einem Unterton in der Stimme, der beinahe bettelnd war.
Das Heulen brach ab, aber die Anspannung der Elf blieb. Samstag und die anderen blieben auf ihrer Position an der Tür. Sie harrten aus. Milo spürte, wie die Müdigkeit wieder nach ihm griff, aber er zwang sich, wach zu bleiben. Er hatte Angst. Aber nach den langen Tagen verrückter Hotels - heute musste der zehnte Tag sein! - hatte er nicht mehr viel Angst übrig.
Er hörte das Schaben als einer der ersten. Ein leises Kratzen, das alles hätte sein können und beinahe in dem Geräusch der schnellen Atemzüge unterging. Milo glaubte erst, seine Nerven würden ihn Dinge hören lassen, doch dann sah auch Fay irritiert auf den Boden in der Mitte des Raumes.
Von dort erklang das Geräusch.
"Hierhin!", rief Mira ihnen zu. Die fünf, die sich hinter dem Sekretär versteckt hatten, sprangen auf.
Milo glaubte seinen Augen erst nicht. Der Boden bewegte sich! Die Erde wölbte sich und sank zusammen wie ein Meer mit sachtem Wellengang. Dann spürte er, wie sich der Grund unter seinen Füßen aufbäumte. Ihm wurde schwindelig. Beinahe wäre er gefallen, doch die fünf Schülerinnen von Samstag sprangen vor und packten jeweils einen von ihnen, um sie in Sicherheit zu ziehen.
Samstag stieß die Tür auf und die Elf stolperten auf den Gang hinaus. Hinter ihnen schoss brüllend ein Feuerstrahl aus dem Boden. Milo spürte, wie eine Welle von Hitze seinen Rücken traf. Kleine Brocken von Erde, Funken und schmelzendes Gestein flogen in den Gang, bevor Samstag die Metalltür zuschlug.
Doch das Metall warf bereits Blasen.
"Lauft!", stieß Samstag hervor und hetzte los. Bevor sich die Gruppe orientieren konnte, fielen große Brocken Gestein von der Decke. Milo musste zurück springen, Eve stolperte vorwärts. Eine große Staubwolke füllte den Gang. Jemand packte Milos Arm und zog ihn mit sich. Er stolperte hustend hinterher, rannte durch die Dunkelheit, die erst nach einigen Schritten von dem Strahl einer Taschenlampe durchschnitten wurde. Doch das Licht wurde durch die Staubwolke gedämpft. Er konnte nicht einmal den Boden erkennen.
Als der Lärm endlich verklang, hielt er keuchend an. Staub hatte sich auf seine Zunge gelegt. Er spuckte auf den Boden.
"Ich glaube, es ist vorbei", sagte die Stimme neben ihm. Es war Fay, die sich im Licht der Taschenlampe offenbarte, die blassen Wangen mit Dreck verklebt.
Sie leuchtete in die Höhle. Amys Gesicht tauchte aus der Finsternis auf, doch die anderen waren hinter dem eingestürzten Tunnel.
"Da kommen wir nicht mehr durch", befand Fay mit leiser Stimme.
"Dann suchen wir einen anderen Weg", schlug Amy vor.
Milo hoffte inständig, dass es den anderen gut ging. Sein Herz raste, aber er hatte den Schock noch nicht vollständig realisiert. Das war zu knapp gewesen, um zu verstehen, dass er beinahe tot gewesen wäre.
Mit schweißnassen Fingern folgte er den beiden Mädchen weiter den Gang entlang.
In die Dunkelheit.