Im Labyrinth:
Eves Herz raste. Sie hatte schon geahnt, dass diese Station die Schlimmste werden würde. Aber sie hatte sich ein wenig mehr Ruhe erhofft. Ihr ganzer Körper schmerzte, und seit Milo nicht mehr da war, stand nichts mehr zwischen ihr und dem Bedürfnis, sich auf dem Boden zusammenzurollen und aufzugeben.
Samstag und Mira machten sich quälend langsam an den Abstieg. Wild Child rief sie über die Uhr an. Bestimmt 25 Meter über ihnen nahm Samstag eine Hand von den Stangen, um zu antworten.
"Beeilt euch", sagte Wild Child: "Wir bekommen Besuch."
Samstag drehte hoch über ihnen den Kopf. "Scheiße!", zischte er. Eve kniff die Augen zusammen, als die beiden plötzlich schneller nach unten kletterten. Wenn jetzt einer ausrutschte und sich das Genick brach?
Doch Samstag und Mira erreichten den Boden lebendig.
"Los", keuchte Samstag, als er die letzten zwei Meter hinunter sprang.
Sie liefen schon wieder los. Eve hatte ihre Schuhe schon vor einer ganzen Weile verloren. Die kleinen Steinchen des Weges bohrten sich in ihre Fußsohle.
Mithilfe der Karte konnten sie bestimmen, wo die grauen Gestalten vor wenigen Minuten gewesen waren. Samstag lief voraus, den Blick auf sein Handgelenk gerichtet. Trotzdem schlug er ein schnelles Tempo an. Bald merkte Eve, dass sie nicht ewig mithalten konnte.
Sie begann, zurück zu fallen. Die Gruppe zog sich auseinander, zu vier kleinen Gruppen unterschiedlicher Schnelligkeit. Hinter Eve war nur noch Samira, die mit der schweren Aktentasche zu kämpfen hatte.
Plötzlich explodierte ein Laden neben ihnen. Er explodierte nicht wirklich, doch das Rollo flog zur Seite, und aus dem dunklen Inneren strömten mehrere Gestalten. Sie trugen die graue Kleidung der Menschen vom Foto, aber diesmal konnte Eve ihre Gesichter erkennen.
Sie trugen Clownsschminke.
Sie kreischte. Weitere Läden brachen auf und Menschen ergossen sich auf dem Inneren. Die schmale, gerade Straße, der sie gefolgt waren, glich plötzlich einem Schlachtfeld.
Jemand griff nach Eve. Sie wich aus, stolperte rückwärts in eine Gasse und fiel. Plötzlich war Samira an ihrer Seite und packte sie am Arm. Eve wurde auf die Beine gezogen. Bevor die Frauen fliehen konnten, sprang einer der grauen Clowns sie an. Er schwang ein echtes Schwert, dessen Metall in der Sonne glänzte. Eve und Samira fuhren auseinander und die schwere Klinge traf zwischen ihnen auf den Boden. Kleine Steinchen flogen fort.
Eve drehte sich um und rannte in die Gasse. Ihr Herz raste so schnell, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie wollte nur weg.
Blindlings rannte sie um mehrere Kurven, dann merkte sie plötzlich, dass sie allein war. Samira war ihr nicht gefolgt, aber sie hörte hohes Kichern.
Die Clowns verfolgten sie noch!
Eve sah eine offene Tür und huschte in das Dunkel dahinter. Sie fand sich in einem leeren Laden wieder. Souvenirs - T-Shirts, kleine Figürchen, Tassen und aller möglicher andere Tand - lagen auf dem Boden verstreut, zum Teil zerbrochen. Eve sah kein Anzeichen von Leben in dem Geschäft. Sie flüchtete sich hinter die Theke, der einzige Ort, der vom Eingang her nicht einzusehen war.
Zitternd duckte sie sich hinter den Tresen.
Sie hörte hohes Kichern. Schritte. Mit einem Quietschen wurde die Tür weiter aufgestoßen.
Eve versuchte, lautlos zu atmen, doch sie bekam schnell das Gefühl, zu ersticken. Ihre Brust wollte schier platzen, aber sie wollte sich nicht verraten.
"Hallo Mäuschen!", sagte eine fremde Stimme. Es klang nach einem Mann, der hysterisch hoch sprach. Die Stimme überschlug sich. Es war ganz klar ein Wahnsinniger.
"Komm raus, komm raus, Mäuschen. Die Meister warten auf dich, Mäuschen."
Eve duckte sich noch tiefer. Sie schloss die Augen.
>>Bitte<>Gott oder wer auch immer mir zuhört. Milo. Bitte, rette mich. Bitte! Bitte! Lass ihn mich nicht finden! Oh Gott, bitte! Ich tue alles. Bitte!<<
Die Schritte kamen in den Laden. Sie hörte, wie sich jemand umdrehte. Er suchte sie.
Trotz der Atemnot hielt sie die Luft an. Über das laute Klopfen ihres Herzens konnte sie kaum etwas hören. Würde ihr Herzschlag sie nicht verraten? Er war laut wie Trommelschläge.
Plötzlich spürte sie etwas an der Hand, weich, warm und pelzig.
Mit einem Kreischen fuhr sie zurück. Sie schlug gegen die Wand hinter dem Tresen und aus dem Regal regnete es zerrissene Kuscheltiere. Eve sah eine fette, braune Ratte, die vor ihr flüchtete.
Entsetzt sah sie auf. Ihr Schrei hatte sie verraten.
Aber der Laden war menschenleer.