Auf dem Moor:
Es waren Wölfe, die zwischen dem hohen Gras hindurch schlichen. Liams Herz schlug ihm bis zum Hals. Im Eingang zu dem großen Haus stand noch die weiße Frau, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, doch es war totenstill. Und die Luft war eisig kalt, durchzogen von Nebel, durch den die unzähligen Wölfe wie Geister huschten.
Amy packte den Regenschirm fester, aber ihre Finger zitterten.
"Was geht hier vor?", fragte Eve leise und elend.
Liam ballte die Hände zu Fäusten: "Es gi-gibt keine W-w-w-wölfe in D-deutschland!"
"Und was ist das da? Sind das vielleicht Dachse?", fauchte Milo ihn an.
Liam entdeckte einen Stock auf dem Boden, packte ihn und hob ihn als Waffe: "Ich h-habe k-keine A-a-angst!"
Er zitterte, aber er trat vor.
"Liam! Wir kennen den Weg nicht!", warnte Amy.
"I-ich bl-bleibe nicht h-hier!", sagte Liam und ging weiter, auch, als er in eine tiefe Pfütze trat. Er hörte die Bewegung der Anderen hinter ihm.
"Au, Eve. Du tust mir weh."
"Ich hab Angst!"
Amy ging halb rückwärts, den Schirm fest in den zitternden Händen. Sie atmeten flach. Schon nach wenigen Schritten waren die ersten Wölfe in ihrem Rücken. Knurrend und hechelnd liefen die großen, grauen Tiere um sie herum, im Abstand von einigen Metern, in großen Kreisen, die langsam kleiner wurden.
"Ha!", schrie Liam und schlug nach einem Wolf, der viel zu weit entfernt war. Seine Freunde erschreckten sich, der Wolf sah ihn nur verwundert an.
"Da!", hauchte Eve und deutete mit einem Finger neben Liam in die Ferne.
Nicht weit entfernt leuchtete etwas über dem Moor auf. Ein Mann stand dort und schwenkte eine Laterne.
"Das ist doch der Typ, der uns unsere Zimmer gezeigt hat", sagte Amy, als Liam den Mann auch erkannte.
"Er hat ge-gesagt, er würde uns h-helfen", erinnerte er sich.
"Glaubst du ihm?", fragte Amy ihn. Liam zuckte mit den Schultern: "K-keine Ahnung. Haben wi-wir eine andere W-wahl?"
Jetzt winkte der Mann ihnen.
Die Jugendlichen verharrten unschlüssig, dann ging Liam langsam los.
Es war eine schwache Hoffnung, aber alles, was sie hatten. Alleine im Sumpf würden sie sich verirren oder ertrinken.
Aus der Ferne gab der Mann ihnen Handzeichen, in welche Richtung sie gehen mussten. So fanden sie unbeschadet ihren Weg einen kleinen Hügel hinauf. Die Wölfe mieden die Erhebung. Langsam begann Liam, Hoffnung zu schöpfen.
"Wer sind Sie?", fragte Amy den Mann, der sich unruhig umsah.
"Ihr wollt den Sumpf verlassen?", beantwortete der Mann ihre Frage nicht.
"Ja, bitte", sagte Eve erleichtert.
Der Mann streckte einen dürren Zeigefinger aus und deutete auf den Horizont: "Da lang."
Tatsächlich entdeckten sie einem schmalen Pfad, der sich durch das dunkle Torfmoor schlängelte. Sie dankten dem Mann und machten sich ohne Umschweife auf den Weg.
Evelyn lief sofort los und zog Milo hinter sich her. Amy beeilte sich, mit ihrem zur Waffe umfunktionierten Regenschirm bei den Beiden zu bleiben. Liam drehte sich auf dem Weg nach unten noch einmal um.
"Dank-", er stockte.
Der Mann war verschwunden. Die Hügelkuppe war menschenleer. Der Erdhaufen war so flach, dass Liam darüber hinweg auf das Moor sehen konnte. Er sah das Haus, sah die Wölfe im Nebel und das Moor, dass sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte.
Von dem Mann war keine Spur zu erkennen.
So schnell er konnte rannte er den anderen nach.