Morgendämmerung:
"Für uns ist der Fall klar", erklärte Mira hitzig: "Wir vertrauen Niemandem mehr außer uns selbst."
Sie gingen ein Stück vor dem Rest der Gruppe. Sie, das hieß Samstag, seine fünf Schülerinnen und Luca, der ihnen unaufgefordert gefolgt war.
"Drei Verräter, das können wir nicht riskieren", sagte auch Lily.
"Aber wir können sie nicht einfach im Stich lassen", protestierte Fay mit sanfter Stimme.
"Wir lassen sie nicht im Stich, wir vertrauen ihnen nur nicht mehr", sagte Samstag. Alle Blicke waren auf Luca gerichtet, der nervös schluckte. Vertrauten sie ihm?
Er räusperte sich: "Ich-ich glaube nicht, dass irgendwer von meinen Freunden uns verrät. Ich kenne sie, jeden von ihnen! Samira und Dimitri, vielleicht. Aber Niemand von ihnen."
"Du könntest genauso ein Spion sein!"; zischte Tee-jo ihm giftig zu.
Luca warf die Hände in die Luft: "Ja, könnte ich. Wie wollt ihr das herausfinden?"
"Genau das ist unser Problem, Fay", erklärte Samstag ruhig: "Wir kennen Luca nicht. Auch, wenn er ganz vernünftig zu sein scheint."
"Das ist echt nicht euer Ernst", fluchte Luca: "Was kann ich denn tun, um euch zu beweisen, dass ich kein Spion bin?"
"Nichts", sagte Fay leise: "Wir haben zu viele gute Schauspieler erlebt."
"Ist das nicht vollkommen egal?", fragte Luca weiter: "Wir sind entkommen. Es gibt keinen Grund mehr, sich zu fürchten. Wir sind frei."
Zu seinem Erstaunen tauschten die sechs anderen bedeutungsschwere Blicke.
"Was soll das heißen?", fragte er entgeistert.
"Ich glaube", begann Samstag leise, "dass immer noch die Möglichkeit besteht, dass sie uns einfangen. So, wie es deinen Freunden nach dem Haus im Moor passiert ist. Solange nicht jeder von uns in Sicherheit ist, würde ich mich nicht entspannen."
Luca starrte sie an, dann drehte er sich einmal im Kreis und deutete auf die schweigenden Bäume und die verlassene Landstraße: "Wir sind im Nirgendwo! Wer sollte uns hier finden?"
Fay berührte sanft seinen Arm. "Wir haben ein Sprichwort", erklärte sie ihm, ohne einen missmutigen Blick von Samstag zu beachten: "Es heißt `Überschätze den Feind´. Und das müssen wir tun. Wir müssen immer davon ausgehen, dass die Tourleiter uns finden könnten."
Luca schüttelte den Kopf: "Dann kann ich aber auch nicht davon ausgehen, dass ich sicher bin, wenn ich Zuhause ankomme."
"Du bist nie mehr sicher", sagte Samstag düster: "Keiner von uns. Solange wir nicht genau wissen, was hier gespielt wird und welche Macht hinter der Tour steht."
"Wartet mal bitte!", rief Milo hinter ihnen. Die kleine Gruppe um Samstag hielt an und warte auf Lucas vier Freunde, sowie Samira und Dimitri, die zu ihnen aufholten. Die 13 Geflüchteten waren erschöpft von den langen Stunden, die sie nun schon am Rand der Landstraße zubrachten, ohne einen Ort zu erreichen oder andere Autos zu sehen. Nicht einmal der Transporter war wieder vorbei gekommen. Langsam drückte die Stille der Wälder auf ihre Gemüter.
"Ich bin müde"; sagte Eve leise und sah in die Runde: "Können wir nicht eine Pause machen."
"Eine Pause wäre nur Zeitverschwendung", sagte Samstag mit kaum verhohlenem Misstrauen: "Denn dann könnte uns alles mögliche einholen und finden. Wir müssen weiter."
Der Himmel war schmutzig grau. Es versprach, erneut ein regnerischer Tag zu werden. Die Tourgäste waren die ganze Nacht gelaufen, ohne irgendein Ziel zu erreichen.
"Eine kleine Pause", seufzte Samstag, als er ihre müden und verzweifelten Gesichter sah. Luca, der Fays Blick auf sich spürte, setzte sich nicht hin, sondern blieb stehen.
Ihm machten diese Verräter Sorgen. Selbst, wenn Samira und Dimitri zwei davon waren, blieb noch ein Spion übrig. Es musste jemand aus Samstags Gruppe sein, vielleicht der junge Mann selbst.
Im gewisser Weise hatte Samstag Recht: Sie durften Niemandem vertrauen.
Sie hatten erst ein paar Minuten damit verbracht, ihre schmerzenden Beine zu massieren und kleine Steine aus Schuhen zu holen, als ein fernes Geräusch sie aufhorchen ließ.
Nervös drängten die 13 sich ins Gebüsch, als die Lichter von Scheinwerfern auf der Straße erschienen. Mehrere Autos, insgesamt gleich drei, krochen über die Landstraße.
In dem heller werdenden Tag hatte es keinen Sinn, sich zu verstecken, also gaben sie schnell auf. Es waren kleine PKW in Begleitung eines Motorrades, die sofort hielten, als sie die zerlumpte Gruppe entdeckten.
Insgesamt fünf Menschen kamen eilig auf sie zu.