Fun and Fantasy:
Amy rechnete im Kopf nach, während sie den anderen durch die schmalen Wege zwischen den ehemaligen Verkaufsständen folgte. Sie war erschrocken darüber, wie sehr sie die Zeit in den letzten Tagen aus den Augen verloren hatte. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich sicher war.
Dies war das zwölfte Hotel. Das hieß, Morgen wäre Halloween, wenn die Zeit hier noch so verlief, wie sie es gewohnt war. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass sie nicht mehr in der Realität waren, sondern in irgendeiner verqueren Horrorwelt. Zu viel war in den letzten Wochen geschehen, das sich nicht anders erklären ließ. Und hatte nicht Samstag angedeutet, das etwas in der Art möglich sei?
Sie ging an der Seite von Wild Child. Alle sieben waren angespannt. Der Wind heulte durch halb geschlossene Läden, rappelte mit Türen, die nicht verschlossen waren. Es war geisterhaft leer.
Aber Amy fühlte sich nicht, als wären sie alleine hier.
"Wir sollten uns einen Überblick verschaffen", erklärte Samstag tonlos und streckte den Arm aus. Amy folgte seiner Geste mit dem Blick und entdeckte ein altes Riesenrad, das sich im Wind sanft von einer Seite zur anderen neigte.
"Das funktioniert doch nicht mehr", warf sie ein.
"Vermutlich nicht", sagte Samstag: "Aber ich rechne auch damit, dass dieser Park wie ein Labyrinth aufgebaut ist, damit wir nicht entkommen. Wir könnten hinauf klettern und uns einen sicheren Weg suchen."
"Das wäre Wahnsinn!", widersprach Amy kopfschüttelnd.
"Dein Plan ist riskanter, als einfach loszugehen!", unterstützte Samira sie.
Samstag zuckte mit dem Schultern: "Ich werde klettern. Ihr müsst nur mitkommen und auf mich warten. Wir sollten uns nicht wieder trennen."
In dieser Hinsicht stimmte Amy ihm zu. Sie gab seufzend den Widerstand auf und folgte Samstag in Richtung Riesenrad. Tatsächlich kostete es sie fast eine halbe Stunde, den Weg zu finden. Zwar trennten sie nur wenige Meter von der stillgelegten Attraktion, aber die kleinen Hütten darum waren tatsächlich ein unübersichtliches Labyrinth, durch das sie sich nur schwerlich durcharbeiteten.
Endlich standen sie am Fuß der Konstruktion, die mit jeder Bewegung des Windes knirschte.
Besonders stabil wirkte das Riesenrad nicht.
Trotzdem kletterte Samstag hinauf, flink wie ein Affe. Mira folgte ihm. Wild Child und der Rest der Gruppe blieben auf dem Boden zurück.
Amy setzte sich auf eine Bank. Eve und Luca kauerten neben dem metallenen Fuß des Riesenrades. Samira setzte sich neben Amy: "Störe ich?"
Amy schüttelte wortlos den Kopf.
"Entschuldigung", sagte Samira: "Aber wie geht es dir?"
Amy sah die Frau erstaunt an: "Furchtbar."
Samira nickte mit einem Lächeln: "Das ist nicht genau das, wofür wir bezahlt haben, was? Ähm - sag einfach, wenn ich dich störe."
"Nein, schon okay"; sagte Amy: "Ich - Naja, Niemand bezahlt dafür, seine Freunde sterben zu sehen."
"Nicht wissentlich", nickte Samira. Sie hielt die Aktentasche von Dimitri auf dem Schoß und streichelte sie wie ein Haustier.
"Was ist darin?", fragte Amy.
Samira sah auf. Einen Moment verkrampften sich ihre Hände, als wolle sie die Tasche vor Amy in Sicherheit bringen. Dann entspannte sie sich mit einem traurigen Seufzen: "Manuskripte. Dimitri war Autor. Es sollte sein größtes Werk werden, ein Roman."
Amy lächelte traurig: "Er ist nicht fertig, oder?"
Samira schüttelte bedauernd den Kopf: "So viel verschenktes Potenzial."
Amy konnte die Gefühle der Frau nachvollziehen. Auch, wenn es kein Vergleich mit ihren anderen Verlusten war, ein Buch, das niemals gelesen werden würde, war wie ein Tod. So viele Figuren, die vergessen werden würden.
"Kannst du es nicht für ihn weiter schreiben?", fragte sie.
Samira lachte trocken: "Nein. Ich habe kein Talent. Dimitri hatte so eine besondere Beziehung zu den Worten. Beinahe intim. Da kann ich nicht mithalten."
Amy schwieg.
"Weißt du", begann Samira: "Ich stelle mir vor, dass in dieser Tasche - und in seinen Büchern - seine Seele wohnt. Er hat alles in diese Bücher gesteckt, alle Liebe und Zuneigung, allen Hass."
Sie strich über das Leder: "In dieser Tasche ist ein Stück seines Lebens eingefroren. Eine Seele, die sich nicht mehr verändert, weil sie tot ist. Aber sie ist noch zu greifen. Ich habe das Gefühl, ich kann ihn retten, wenn ich nur die Tasche mitnehme."
Amy sah die blonde Frau an: "Wer war Dimitri für dich?"
"Er war -", Samira zögerte.
"Samstag hat die Karte!", verkündete Wild Child in diesem Moment. Amy sah hoch, was sie die ganze Zeit hatte verhindern wollte, und sah Samstag und Mira in schwindelerregender Höhe an den Streben des Riesenrades hängen.
Ihr drehte sich der Magen um, und sie trat eilig mit den anderen zu Wild Child. Die sah auf ihre Uhr.
"Wie, du hast die Karte darauf?", fragte Luca.
"Ein Foto des Parks von oben", bestätigte Wild Child.
"Wie macht ihr das?", staunte Eve.
"Geheime Technologie. Und bevor ihr fragt, eure Uhren sind nur für Schüler. Die können das alles nicht."
Luca seufzte enttäuscht.
Wild Child studierte die Karte: "Sie kommen runter. Aber - ich glaube, da sind Menschen."
Sie vergrößerte das Bild auf dem winzigen Display. Amy beugte sich darüber.
Sie sah eine Gruppe Gestalten im Labyrinth. Sie hatten den Platz um das Riesenrad beinahe eingekreist. Es könnten Menschen in dunkelgrauer Kleidung sein.
Oder etwas Schlimmeres.
"Wir sollten uns in Bewegung setzen", stellte Samira fest.