Im Wagen:
Der kleine Bus quälte sich mit stotterndem Atem über die Straße, die hier leicht anstieg. Der Wald, der draußen am Fenster vorbei kroch war innerhalb der Nacht immer dunkler und bedrohlicher geworden. Die kahlen Laubbäume waren mehr und mehr düsteren Tannen gewichen. Der Wald verschob sich nach oben. Die Stämme der Bäume waren auf den untersten Metern kahl, doch darüber wurde das Nadeldach so dicht, dass kein Lichtstrahl auf den von braunen Nadeln bedeckten Boden fiel.
Im Wagen saßen zwölf sehr schweigsame Gäste auf den abgewetzten Sitzen, die nur noch eine dünne Schicht Leder zwischen den Sitzenden und dem harten Metall des Sitzes besaßen.
Liam war nicht wieder aufgetaucht und ihr schmieriger Fahrer hatte ihnen nicht viel Gelegenheit gegeben, nach ihm zu suchen, denn er hatte nur Platz für zwölf Menschen.
Amy hatte den Mann. Sie hatte ihn vom ersten Moment an gehasst, als sie sein unrasiertes Gesicht voller Ölflecken erblickt hatte. Er hatte fettige Haare und unzählige entzündete Pickel. Ein abgenutztes Cap verbarg seine hervortretenden Augen. Er hatte ein schleimiges Lächeln, das nur seine gelben Zähne offenbarte statte Jemandem Mut zu machen. Außerdem fuhr er sich ständig mit der Zunge über die dünnen Lippen.
Amy saß am Fenster und starrte in den aufziehenden Morgen hinaus. Einen ganzen Tag lang hatten sie versucht, zu fliehen. Nur, um erneut geschnappt zu werden. Inzwischen fragte sie sich, ob Kevin, Mara und die anderen Jugendlichen sie im Kreis gefahren hatten, oder ob sie wirklich eine ganze Strecke zurückgelegt hatten, nur, um ihr vorhergesehenes Ziel zu erreichen.
Sie fragte sich auch, wo Liam war, sie fragte sich, wem aus ihrer Gruppe sie wirklich vertrauen könnte und wie lange sie noch gewillt wäre, weiter zu gehen. Sie hatte so viele Sorgen, dass sie nicht wusste, bei welchem Gedanken sie anfangen sollte. Alles waren wichtige Fragen, keine davon würde es dulden, dass man sie auf später verschob. Sie musste an alles gleichzeitig denken, und das war zu viel. Ihr Kopf fühlte sich an, als wollte er platzen, und der ungesund dröhnende Motor tat wenig, um den Schmerz zu lindern. Sie lehnte den Kopf an die kühle Scheibe, doch die bebte so heftig, dass sie eher riskierte, sich ein Schädelhirntrauma zu zu ziehen.
Der Bus bog von der relativ befestigten Straße auf einen holperigen Waldpfad ein. Die Luft wirkte hier grau, als würden unzählige, winzige Staubkörner im Zwielicht unter den hohen Tannen tanzen. Amy merkte, dass es unter den Stämmen zwar relativ licht war, aber sie nicht sehr weit sehen konnte. In einige Entfernung verschwammen Stämme und freie Luft zu einem eintöntigen, düsteren Grau. Man könnte meinen, dass es Abend war, dabei musste die Sonne längst aufgegangen sein. Die Digitaluhr vorne im Bus, über dem Radio, aus dem verzerrt irgendein Lied kam, zeigte 10:34 Uhr.
Aber hier wurde es vermutlich niemals hell.
Der Weg wurde immer schmaler. Irgendwann peitschten die ersten Äste durch die leeren Fenster zu den Seiten des Busses und es regnete Tannennadeln in das Innere. Amy wich vom Fenster zurück, ebenso alle anderen. Obwohl der Bus bockte wie ein wilder Stier, drängten sie sich in der Mitte zwischen den Sitzreihen zusammen.
"Gleich da", schnarrte ihr Fahrer grinsend. Amy sah aus dem Fenster, als dort gerade eine Lücke in den Ästen war, und entdeckte einen freien Platz, offenbar einen Parkplatz, an dessen Ende, nah am Wald, ein Holzschild stand.
"Lecters Rasthaus" stand in dem faulenden Holz. Der Bus fuhr auf den Parkplatz, der Motor röchelte und starb.
Die Türen quietschten, als sie sich öffneten.
"Willkommen", hauchte der Fahrer. Seine Stimmte zitterte wie von ... Erregung.
Amy trat mit den restlichen elf auf den Parkplatz und sah endlich das Hotel, in dem sie die nächste Nacht verbringen sollten.