Wieder unterwegs:
Amy merkte zu ihrem Entsetzen, dass sie weinte, obwohl der Rasthof und die Straße lange außer Sicht waren. Sie zitterte. Niemand achtete auf sie. Alle waren nur damit beschäftigt, sich ihren Weg über die Felder zu suchen. Sie zuckten bei jedem Geräusch zusammen. Doch es gab nur Krähen, die krächzend auf flogen, als 13 erschöpfte Menschen über die leeren Felder humpelten.
Amys Beine zitterten. Sie glaubte nicht, dass sie noch einen einzigen Schritt tun könnte. Sie waren so oft weggelaufen - und jedes Mal hatte man sie sofort wieder eingefangen. Es gab wohl wirklich kein Entkommen. Es war doch sinnlos, weiter zu rennen. Sie hatte Angst, sie war müde, sie wollte nach Hause.
Eve legte ihr eine Hand auf den Arm: "Amy..."
"Lass mich los!"; fauchte sie Eve an und riss ihren Arm zurück, nur um in heftige Schluchzer auszubrechen. Amy konnte sich nicht helfen. Sie konnte nicht aufhören, zu weinen. Sie hörte ihre eigene, hysterische Stimme, während sie nach Atem rang. Jedes Einatmen war ein Schnappen und sie heulte, wenn sie die Luft ausstieß.
"Amy? Was ist los?", fragte Eve besorgt.
"Ich weiß nicht", weinte Amy und blieb stehen, die Arme eng um sich geschlungen: "Ich kann nicht mehr!"
Sie ging in die Knie und kauerte sich einfach auf das Feld. Durch den Tränenschleier konnte sie nicht mehr sehen. Luca kniete sich neben sie und berührte ihren Rücken. Amy wollte den anderen keine Sorgen bereiten, und deswegen weinte sie nur noch heftiger.
"Ich kann nicht aufhören", gestand sie, und danach konnte sie ihrer Stimme für lange Zeit nicht mehr trauen und brachte kein Wort mehr heraus. Ihr Hals schmerzte schon bald.
"Wir können nicht warten"; sagte Lily kalt.
"Wir lassen sie nicht zurück!", fauchte Eve, um Amy zu verteidigen, dann hockte sie sich ihr gegenüber und legte die Hände auf ihre Schultern: "Kannst du gehen?"
Amy schüttelte nur den Kopf. Sie konnte nichts mehr. Sie wollte sich auf die nackte Erde legen und aufgeben, allen Widerstand aufgeben und ihr Schicksal einfach erwarten.
Samstag kniete inzwischen auch bei ihr und warf einen kritischen Blick in ihre Augen. Amy kam sich wie ein wunderliches Tier vor, aber sie konnte sich einfach nicht mehr beherrschen. Sie war hilflos.
"Schock vielleicht", meinte Samstag und stützte sich zum Aufstehen auf Lucas Schulter: "Ein Nervenzusammenbruch."
Das klang heftig, fand Amy. Tief im Inneren erschrak sie noch ein bisschen mehr und weinte lauter. Sie hatte keine Kraft mehr, um stark zu sein. Sie wollte fort, irgendwohin, nach Hause. Sie wollte, dass jemand sie aufnahm und ihr sagte, dass alles sei nur ein böser Traum. Sie wollte aufwachen, bereits vergessend, was sie so erschreckt hatte.
"Ich kann nicht mehr", schniefte sie wieder. Der Heulkrampf schien nicht nachlassen zu wollen: "Ich will nicht mehr."
"Ich weiß", sagte eine Stimme: "Wir alle wollen nicht mehr."
"Aber ich bin schwach!", heulte Amy: "Keiner von euch -"
"Es ist keine Schande, wenn man aufgeben will", eine Hand erschien vor Amys Augen, verschwommen durch den Schleier ihrer Tränen: "Aber das Wichtigste ist, dass man nicht aufgibt. Es gibt etwas, wofür du kämpfen kannst. Kämpfen bedeutet nicht, stark zu sein, sondern stärker zu werden. Kämpfe, Amy."
Etwas in der Stimme ließ sie die Hand ergreifen. Es war Dimitri, der sie hochzog und wieder auf die Füße brachte. Der Russe lächelte schwach, aber sein Griff war fest. Er gab Amy Kraft, um auf den Beinen zu stehen.
Ihr Atem zitterte immer noch. Sie atmete mehrmals ein und aus und wischte die Tränen weg.
"Gehen wir", sagte sie und brach ein letztes Mal in Tränen aus, als wäre es eine Trotzreaktion, um zu beweisen, dass es ihr immer noch schlecht ging. Dimitri klopfte ihr auf die Schulter und stapfte los, der Rest der Gruppe setzte sich langsam in Bewegung. Amy spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen. Aber sie ging weiter, einen Fuß vor den anderen setzend.
Sie würde kämpfen.