Mitternacht:
Luca schrie auf, als aus der Dunkelheit etwas gegen ihn prallte. Ein harter Gegenstand traf sein Kinn. Er biss sich auf die Zunge, der stechende Schmerz setzte ihn kurzzeitig außer Gefecht. Das reichte, um die panischen Laute des Wesens vor ihm einordnen zu können.
"Amy?"
"Luca!", schrie sie voller Panik in sein Ohr. Von hinten stolperten andere in seinen Rücken, und dann blitzte eine Taschenlampe auf, als sich Samstag über Lucas Schulter beugte und in den Gang leuchtete.
Amy kniff nicht geblendet die Augen zusammen. Sie starrte vielmehr mit riesigen, tiefschwarzen Pupillen in das Licht. Milo, der direkt hinter ihr war, versuchte, sich zwischen ihnen hindurchzudrängeln.
"Es ist hinter uns!", rief der Sportler.
"Was?", fragte Luca, der sich an das Kreischen vorhin erinnerte.
Obwohl der Gang fast zu schmal war, als dass zwei Personen nebeneinander gehen konnten, quetschte sich Samstag an ihnen vorbei nach vorne, halb über ihre Schultern kletternd.
Der junge Mann leuchtete in den Gang, das Messer gezückt: "Wo ist Fay?"
"Fay?", fragte Amy, die wohl langsam realisierte, dass sie den Rest der Gruppe und einen ersten Hauch von Sicherheit gefunden hatte.
"Shit, Fay!", rief Milo: "Sie war direkt hinter uns!"
Luca schob sich an Amy vorbei und rempelte Milo aus dem Weg: "Fay!"
Er lief direkt hinter Samstag, den Gang zurück, der unendlich viele Windungen machte, als wären sie im Darm eines gewaltigen Raubtieres. Dann trafen sie auf einen breiten, schnurgeraden Gang.
Samstag leuchtete den Boden ab. Luca sah dunkle, rote Flecken.
Blut.
"Fay!", schrie er wieder. Er schmeckte auch Blut im Mund, das von seiner aufgebissenen Lippe stammte. Das Klappmesser vor sich haltend rannte er erst in die eine, dann in die andere Richtung.
Er hörte einen Schrei. Einen Schmerzensschrei, voller Angst und viel zu weit entfernt. Sofort rannte Luca los. Er bemerkte kaum, dass Samstag ihm folgte und ihm zurief, dass sie zusammenbleiben mussten.
Luca hetzte durch die Gänge, in einen Quergang, folgte dem ersterbenden Schrei und den Blutflecken an Boden und Wänden, die ab und zu aufblitzten, wenn der Strahl der Taschenlampe sie traf.
"Nicht so schnell!", warnte Samstag, aber genauso gut hätte der Mann Luca raten sollten, zu fliegen oder sich zu Fay zu teleportieren.
Der Schrei verklang, aber Luca war bereits im richtigen Gang. Er lief weiter, hörte irgendwo vor sich Schritte. Er wollte ihnen folgen, aber seine Füße trafen gegen unsichtbaren Widerstand.
Er fiel der Länge nach auf den Boden. Seine Hände fassten in etwas Nasses. Mit einem Schrei voller Ekel robbte er aus der Pfütze.
"Luca?", Samstag tauchte auf und suchte ihn mit dem Licht der Taschenlampe.
Das Licht fand Fay.
Das blonde Mädchen lag auf dem Boden, viel zu flach und zu breit. Klumpen von Blut und Fleisch waren überall verteilt und klebten auch an Lucas Hose. Ihm wurde schlecht, als er in die aufgerissenen Augen von Fays Gesicht starrte, denn es lag ein Stück neben dem Körper, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet und der Hals wenig mehr als blutige Fetzen.
"Nein!", schrie Luca laut auf: "Nein, Fay!"
Seine Stimmte schmerzte in seiner Kehle. Er fühlte sich, als sei er selbst mit zerrissen wurden. Eilig robbte er von Fay weg, Hände und Kleidung getränkt mit ihrem Blut.
Das konnte nicht wahr sein! Das durfte nicht sein!
Samstag starrte auf das Bild, bleich und stumm, die Augen aufgerissen und ohne sich zu regen, als würde ihm plötzlich etwas klar, dass er vorher niemals in Betracht gezogen hatte.
Die Kiefer des jungen Mannes mahlten. Dann verließ ein einziges Wort seine Lippen, leise wie der Todesseufzer eines Sterbenden, hoffnungslos wie eine mondlose Nacht.
"Fay."