Bei Maike und Thomas:
Das Zelt von Thomas und Maike war geräumig und hell. Es bot Platz für eine ganze Kleinfamilie. Für die zehn Gäste wurden schnell ein paar Hocker herbei gebracht. Trotzdem mussten einige auf dem Boden sitzen.
Maike schloss aus ihren Mienen, dass sie hungrig waren und begann sofort, einen Eintopf zu machen. Sie erzählte, dass sie und ihr Mann vegan leben würden, worauf Eve sofort Freundschaft schloss und sich von Maike sogar das Vogelhäuschen im Garten zeigen ließ.
Luca saß im Schneidersitz neben Samstag und dessen Begleiterinnen. Die fünf hatten den Schock von Fays Tod offenbar bereits verdaut und unterhielten sich leise.
"Können wir sie um Hilfe bitten?", fragte Wild Child leise: "Sie scheint ganz in Ordnung zu sein."
"Lasst uns erst sehen, wer Thomas ist", sagte Samstag nachdenklich und kaute auf einem Daumennagel: "Sie leben schon Jahre hier und haben viele Hell-Hopping-Touren miterlebt. Da wundert es mich, dass sie nichts von den Seltsamkeiten der Tour gehört haben."
Die Mädchen nickten. Auch Luca merkte, wie das Misstrauen wieder um sich griff. Er fragte sich, ob Maike nicht vielleicht auch zur Tour gehörte, oder wenigstens von den Leuten bezahlt wurde, um zu schweigen. Das gastliche Zelt kam ihm mit einem Mal sehr viel kälter vor.
Eve dagegen schien völlig aufzublühen und plauderte bereitwillig über die Schwierigkeiten von veganem Essen. Luca merkte jedoch, dass Eve es vermied, über die Tour zu sprechen.
Waren sie zu misstrauisch? Vergaben sie vielleicht eine Chance?
Bevor er sich darüber klar werden konnte, stellte Maike ihnen Thomas vor, ihren Mann. Es war ein gutaussehender junger Mann, der jedoch im Rollstuhl saß und, wie Maike ihnen erzählte, querschnittsgelähmt war. Die Geschichte der beiden zu erzählen, schien Maike zu bedrücken. Sie waren hierher gezogen, um ihre Kinder ihr aufzuziehen, dann war Thomas in einen Unfall geraten und der Traum von den Kindern ausgeträumt. Seine Behandlung hatte viel Geld gekostet, worauf sie ihr Haus hatten verkaufen müssen. Jetzt blieb ihnen nur noch das Zelt und der Platz, auf dem sie wenig Kontakt zur Außenwelt hatten. Nicht einmal ein Auto oder Fahrrad war ihnen geblieben.
Luca spürte, wie die Stimmung nach dieser Ankündigung sank. Es war klar, dass Maike und Thomas ihnen nicht helfen konnten. Wenn überhaupt, dann waren die beiden genauso Gefangene wie die zehn, wenn auch auf andere Weise.
Amy begann stockend, von der Tour zu berichten, von den seltsamen Ereignissen, Liams Verschwinden und den Toden von Dimitri und Fay. Maike saß neben Thomas, hielt dessen schlaffe Hand und hörte ihnen zu. Danach brachte sie den Eintopf und Kakao und sagte genau das, was die zehn bereits wussten: Sie konnte ihnen nicht helfen. Obwohl sie es wirklich wollte. Sie weinte sogar, und Luca fühlte sich schlecht, dass sie der Frau ihre Geschichte aufgebürdet hatten.
"Theoretisch kommt ihr zur Stadt, wenn ihr immer nach Westen lauft. Es sind vielleicht zwanzig Kilometer. Zu viel, um mit dem Rollstuhl zu fahren, aber ihr könntet es schaffen", sagte Maike schließlich. Sie war eine wirklich nette Frau. Sie hielt sich verbissen an einer optimistischen Einstellung fest. Luca musste sie bewundern.
Inzwischen war es draußen Nacht geworden. Das große Zelt hatte Fenster aus Plastik, durch die sie die nebelverhangene Finsternis sehen konnten.
"Ihr könntet noch heute Abend loslaufen", meinte Maike, die offenbar laut nachdachte: "Am besten, ihr lauft immer zu zweit los. Wir tun so, als würdet ihr mir beim Abwaschen helfen. Dann könnt ihr immer paarweise fliehen!"
Sie erwärmte sich langsam für die Idee. Und sie akzeptierte die Paranoia der Jugendlichen. Es schien wieder heller im Zelt zu werden. Das war Hoffnung, verstand Luca. Er sah zu Samstag. Der schien das durchaus für möglich zu halten.
"Immer einer von euch mit mir oder den Vieren", sagte Samstag und deutete auf Tee-jo, Lily, Mira und Wild Child.
Maike nickte. Sie gab Thomas einen Kuss und packte dann das Geschirr zusammen.
"Kommt. Zum Waschhaus."