Im Wagen:
Liam rutschte unwohl auf dem Leder des Sitzes hin und her. Sein Fahrer starrte mit steinernem Gesichtsausdruck nach vorne, wo Nebel über der Autobahn aufgezogen war. Das Radio war angeschaltet, aber daraus drang nur statisches Rauschen. Liam hätte versucht, ein Gespräch anzufangen, aber der Fahrer schwieg auf eindrucksvolle Art, also konnte er nur seinen Rucksack mit den Stoffraketen an sich drücken.
Man hatte ihm gesagt, es wäre albern, einen solchen Rucksack asl Erwachsener zu besitzen. Allerdings hatte Liam den Rucksack schon lange, und in Momenten wie diesen war die Vorstellung, es könnte ein echter Raketenrucksack sein, der ihn notfalls weit weg bringen würde, sehr tröstlich.
Sie fuhren seit mehreren Stunden. Es wurde langsam dunkel. Endlich fuhr der Wagen von der Autobahn und kurvte schon bald über gewundene Landstraßen, vorbei an einsamen Gehöften. Bei jedem von diesen hoffte Liam, dass es das Ende ihrer Reise waren, doch der schwarze Wagen rollte weiter. Liam seuftze lautlos.
Schließlich hielt der Wagen ohne erkennbaren Grund an. Es war weit und breit kein haus zu sehen, nur Wiesen, matschig von den Regenfällen der letzten Tage, und ein kleines Wäldchen.
Liam sah den Fahrer verwirrt an.
"Weiter fahre ich nicht", sagte der kräftige Mann hinter dem Steuer und machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung Tür.
"O-okay", sagte Liam, sammelte seine Taschen zusammen und stieg mit steifen Beinen aus. Es war kalt und er fröstelte nach dem verhältnismäßig warmen Inneren des Wagens. Der Fahrer wartete ungeduldig, bis Liam die Tür geschlossen hatte, dann brauste er auch schon davon.
Allein blieb Liam zurück und sah sich um.
In welche Richtung musste er denn? Auf gut Glück stapfte er auf das kleine Wäldchen zu. Er hoffte, dass sich vielleicht dahinter das Motel verbarg.
Stattdessen rief ihn eine Stimme an: "Liam?"
Er horchte auf: "Luca?"
Grinsend sprang der Andere aus dem Gebüsch ung klopfte Liam auf die Schulter: "Bin ich froh, dass du endlich kommst!"
"Was tust du hier?", fragte Liam und entdeckte Lucas Taschen hinter dem Größeren.
"Mein Fahrer hat mich einfach rausgeschmissen", erklärte Luca: "Ich hab Fußspuren gesehen, also dachte ich mir, dass sie das wohl mit allen machen. Und da du im Wagen hinter mir warst, hab ich gewartet. Mann, das war ne lange Viertelstunde!"
"Hier draußen? Ja", sagte Liam und rieb sich die Arme: "Weißt du, wo wir hin müssen?"
Luca schüttelte den Kopf: "Ich denke mal, wir folgen einfach der Straße. Vorher war ja nichts. Wenigstens können wir zusammen suchen."
Liam war froh, dass Luca bei ihm war. Zu zweit schien die Wildnis nicht mehr zu bedrückend. Also schulterten sie alle Taschen und liefen los.
Sie mussten bestimmt fünf Kilometer an der Straße entlang laufen, und zu diesem Zeitpunkt war es bereits dunkel. Ab und zu fuhr ein Auto an der Straße vorbei, auch einer der schwarzen Wagen, doch keiner hielt an, um den Jungen zu helfen. Luca erzählte, dass sie damit sicher auf dem richtigen Weg waren, man würde sie ja nicht wissentlich in die Irre laufen lassen.
Die ersten Mücken zogen mit ihnen die Straße entlang. Es gab keine Straßenlaternen, also beleuchteten sie den Weg mit ihren Handys.
Irgendwann rief Luca Amy an, die vor ihnen angekommen sein musste, doch Niemand hob ab. Darauf riefen sich auch Eve und Milo an: Milo nahm nicht ab, Eve war hinter ihnen und erzählte, sie sei noch im Wagen, bevor ihr Fahrer ist grob verbat, zu telefonieren und die verschreckte Eve auflegte.
Luca nutzte sein Handy-Navi, aber von einem Motel in der Nähe wusste das Gerät nichts. Also wanderten sie weiter, bis sie auf eine Abzweigung der Straße trafen. Auch die war auf dem Navi nicht verzeichnet, also mussten sie richtig sein. Sie folgten der Straße, und zehn fußmüde Minuten später sahen sie vor sich die abgedunkelten Lichter eines kleinen, hässlichen Betonbaus und eines größeren Herrenhauses auf einem kleinen Hügel.
"Das muss es sein", keuchte Luca, der vorausging. Schon aus der Ferne sahen sie, dass ein großer Parkplatz zu den Gebäuden gehörte, der jedoch leer war. Sie folgten der unbeleuchteten Straße und hofften inständig, dass es etwas Warmes zu essen geben würde.