Die Hölle bricht los
Alles, dachte das Mädchen, während es Eyndor musterte. Im Gegensatz zu ihm, der die letzten Jahre hinter Gittern und als Druckmittel verbracht hatte und dessen einziger Freund währenddessen zum eiskalten Killer mutiert war, hatte sie alles zu verlieren.
Dennoch sagte sie: »Also gut«, und hielt danach gespannt den Atem an. Wie würde er wohl versuchen, sie aus der Zelle zu bringen? Wieso hatte er mit ihr gerechnet und wie wollte er sich gegen all die Dämonen auflehnen, die sie auf dem Weg nach unten gesehen hatte. »Was hast du jetzt vor?«
»Ich bringe uns hier raus«, versprach der Krieger. Er war schon vor wenigen Augenblicken zu Boden gesunken und machte sich an etwas zu schaffen, das Alex im Dunkeln für eine Kette hielt. Der Schlüssel, den er ihr gezeigt hatte, schien in das Schloss seiner Fußfessel zu passen. Nur seine motorischen Fähigkeiten waren stark getrübt und ohne ausreichend Licht, schien ihm diese Aufgabe ausgesprochen schwerzufallen.
»Und danach? Was, wenn du dich irrst?« Sie nahm ein letztes Mal all ihren Mut zusammen, besann sich darauf, dass sie leben wollte, und Eyndor ihre einzige Chance war und rief sich in Erinnerung, wie sehr Anders sie verletzt hatte. »Der Mann, den du vor zehn Jahren verloren hast, ist heute ein Anderer. Er lebt völlig einsam in seinem Schloss, er verlässt es so gut wie nie. Sein Leben spielt sich im Dunkeln ab und deine Welt fürchtet ihn. Sie fürchten ihn beinahe so sehr, wie Isay. Jedermann hasst ihn, weil er sie im Stich gelassen hat und ich weiß, was ich gesehen habe. Es ist, als wäre er kein lebendes Wesen mehr. In ihm ist nichts als Dunkel. Und wenn wir zurückkehren, wer wird uns dann vor ihm beschützen? Du kannst es nicht. Und ich will nicht von einem Dämon, der mich töten will, zum Nächsten fliehen und wieder zurück. Ich habe bereits in seinem Schloss gestanden und habe ihn angefleht, mich einfach nur nach Hause zu lassen und er hat abgelehnt, als würde mein Leben nichts bedeuten. Und Isay sagte..«
»Isay lügt.« Unter den Fingern des Kriegers ertönte ein Klicken, mit dem die Fessel aufsprang. »Er würde dir alles erzählen, nur um dich davon abzubringen, Anders zu vertrauen.« Sein Kopf hob sich und unter seiner gerunzelten Stirn trat Alex ein missmutiger Blick. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft er hier herunterkam, um mir zu erzählen, was für grausame Dinge Anders getan hat. Er hat mir Geschichten erzählt, von ganzen Dörfern und Städten, die er niedergebrannt hat, von Frauen und Kindern, die er zu Witwen und Weisen gemacht hat. Ich kann die Geschichten nicht mehr zählen, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Deshalb sage ich dir jetzt, was ich Isay immer gesagt habe und ich werde es nicht mehr wiederholen: Als ich noch ein Kind war und zum Weltenbeschützer ausgebildet wurde, habe ich zu allen Göttern gefleht, dass sie mir helfen, auszubrechen. Aber kein Gott hat zu mir gesprochen und heute weiß ich, dass meine Bitte für sie so nichtig war, dass sie mir wohl nicht einmal zugehört haben. Aber Anders kam, als ich schon fast aufgeben wollte, und er erlöste mich von diesem unsagbaren Leid. Obwohl wir Fremde waren und obwohl er es schwer genug hatte. Ja, du hörst richtig. Die unbarmherzige Aufgabe der Götter, Andhera vor dem Ende zu bewahren, war nicht immer seine Aufgabe. Sie war mir zugedacht. Und ich bin zum Krieger erzogen worden und wusste immer, dass ich sterben würde, wenn ich in den Kampf zog. Ich wusste es. Und alle anderen wussten es auch. Und erst als Anders kam, wusste ich, dass es einen Ausweg gibt. Er nahm mir diese Bürde ab und ich war ein gewöhnlicher Mann, und er für alle Zeiten dazu verdammt, eine Schlacht zu schlagen, die sein Leben fordert. Das wusstest du nicht, oder? Weil niemand es weiß. Niemand weiß, wie groß der Akt der Gnade war, mit dem der Kerub mich geschenkt hat. Und nun weißt du, wieso ich immer an ihn glauben würde. Ich habe mehr Gutes in ihm gesehen, als in irgendeinem anderen Wesen jemals zuvor. Was glaubst du, was ein Kerub mit dunklen Flügeln in einer Welt erleiden muss, in der ihn niemand kennt, niemand ansieht, niemand weiß, wer er ist und weshalb er dieses Gefieder trägt? Was glaubst du, was er fühlt, wenn er tagein tagaus weiß, dass ich seinetwegen im Kerker sitze und er nichts tun kann, um etwas daran zu ändern? Ich sage dir, an seiner Stelle wärst du ein ganz anderes Wesen. Nur seiner Engelsgeduld und seiner starken Persönlichkeit verdankt er, dass er nicht längst den Verstand verloren hat. Und ich verdanke ihm, dass ich meinen behalten durfte. Also, ehe du über ihn urteilst, oder alles glaubst, was Isay dir erzählt, mach dir die Mühe, auf dein Gefühl zu vertrauen. Schließlich hat er dich zu mir geführt, und wie ich bereits sagte, kann uns das beide retten.«
So war es also. Eyndor hätte den Kampf mit Isay und der Finsternis beschreiten sollen, nicht Anders. Und doch hatte er sich diese Bürde aufgehalst. Und plötzlich wusste Alex, dass Eyndor niemals aufhören würde, Gutes im Dunklen Prinzen zu sehen. Weil er nicht anders konnte. Weil er sein Leben gerettet hatte, und ihn mit seinem eigenen Leid jeden Tag daran erinnerte.
»Eyndor, die Geschichten über die niedergebrannten Dörfer und die Toten, sind wahr.«
»Ja«, entgegnete der Krieger düster. »Aber die, dass er ein Monster ist, nicht. Sonst wärst du nicht hier und ich nicht mehr am Leben.« Er sah auf. »Ich weiß, wer du bist. Und ich weiß, wieso Isay deinen Tod wollte. Die Prophezeiung besagt, du wirst uns retten, weil du Anders stärken kannst. Als er dich herschickte, hat er sich aufgegeben. Wenn er dich nicht hätte retten wollen, hätte er anders gehandelt.«
»Du glaubst, er wusste, dass ich hier auf dich treffe«, flüsterte das Mädchen. »Und er wollte, dass wir einander begegnen und gemeinsam entkommen?«
»Nein, ich hoffe es. Denn wenn es da draußen nichts mehr gibt, woran ich glauben kann«, fuhr der Krieger fort, »dann gäbe es keinen Grund für mich, Tag für Tag durchzuhalten.« Er hielt für einen Moment inne, als wollte er seine Gedanken ordnen und sich selbst aus seinen eigenen dunklen Visionen befreien, schüttelte den Kopf und mit dieser Geste all seine Dämonen ab und drehte sich um, um im Dunkeln nach irgendetwas zu suchen. »Wir können es nur schaffen, wenn du mir vertraust und ich mich auf dich verlassen kann. Was hast du gesehen, auf dem Weg hierher?«
»Eine schmale Treppe mit vielen Stufen. Sehr dunkel. Eine große Halle und dahinter den Raum mit dem Spiegel. Ich habe noch nie eine andere Person mitgenommen. Was wenn es nicht funktioniert?«
»Es wird funktionieren.«
»Und wenn nicht?«
Diesmal ließ der Krieger die Frage unbeantwortet im Raum stehen. Er kauerte noch immer am Boden. Alex sah im Dunkeln, dass er sich an den Steinen der Wand zu schaffen machte, die bislang in seinem Rücken gelegen hatte. Knirschend schien er einen von ihnen aus der Mauer zu lösen und im Anschluss kauerte er mit angehaltenem Atem davor, bis sein Arm etwas zu ertasten schien und er ihn langsam behutsam zwischen den Steinen hervorzog. In seinen Fingern lag der Griff eines Schwertes.
»Danach habe ich gesucht«, offenbarte er ihn. »Ich habe sehr lange auf diesen Tag gewartet.« Er richtete sich auf, drehte sich zu Alex herum und drehte das Schwert prüfend in der Hand. »Wenn ich diese Tür öffne, wird man uns hören und die Hölle auf Erden wird losbrechen. Wesen werden sterben und es besteht die Möglichkeit, dass wir es nicht beide schaffen. Aber wir haben nur zusammen eine Chance. Also, was sagst du? Willst du hierbleiben und auf den Tod warten, oder mir eine Gelegenheit bieten, dir zu zeigen, dass Anders nicht das Monster ist, das du gesehen hast?«
»Ich gehe mit dir.«»Gut. Aber wir erledigen das auf meine Weise. Ich hatte sehr viel Zeit, diesen Tag zu planen und ich bin vorbereitet. Halte dich hinter mir. Egal was du siehst oder hörst, geh weiter. Und wenn ich falle, renne, als wäre der Teufel hinter dir her. Hast du mich verstanden?«
Seine Worte erschienen dem Mädchen vertraut. Anders hatte etwas Ähnliches gesagt, als er als Freund getarnt mit ihr in den Tunnel gestiegen war. Ihm zu vertrauen hatte ihr letztendlich kein Glück gebracht. Oder doch? Obwohl ihr mulmig zu Mute war, fiel es ihr seltsam leicht, Eyndors Worten zu glauben. Und wenn Anders gewusst hatte, dass sie hier auf seinen Freund treffen würde, hatte er ihren Tod dann gar nicht im Sinn gehabt?
Ein schleifender Laut, gefolgt von einem Krachen riss sie aus ihren Gedanken. Sie fuhr zusammen, wich zurück und sah, dass Eyndors Klinge das Schloss der Gittertür entzweigeschlagen hatte. Er trat auf den schmalen Gang hinaus und blieb dort stehen. Dort auf dem Gang erschien er Alex plötzlich, als wäre er ein anderer Mensch geworden. Seine Muskeln spannten sich, seine Finger umklammerten so fest den Schwertgriff, dass der Krieger in ihm durchzuschimmern schien und sein Blick wirkte so entschlossen, dass sie sich beinahe sicher war, sie würden es schaffen.
Er holte aus und ließ die Klinge auf das Schloss ihrer Zellentür niederrauschen. Knirschend schwang sie auf und Alex sah einer Hand entgegen, die sich freundlich in ihre Richtung streckte.
»Vertrau mir«, flüsterte der Krieger, dann nahm sie seine Hand und er zog sie mit einem Ruck hinter sich. »Du musst mir helfen. Ruf mir zu, wenn du etwas siehst, das ich nicht sehen kann. Warne mich, wenn ich etwas übersehen könnte.«
Nickend stimmte sie ihm zu und Eyndor wandte sich sofort ab. Mit erhobenem Schwert schlich er den Gang hinunter. Seine Befreiungsaktion hatte Lärm verursacht und sicher würde es nicht lange dauern, bis es hier nur so vor Dämonen wimmelte. Doch nichts geschah. Sie hatten schon beinahe die unterste Treppenstufe erreicht, als ein Schemen vor ihnen über die Wand huschte. Schnell sah Eyndor auf, machte einen Satz und schlug zu. Mit einem widerlich schleifenden Laut drang die Schneide seiner Waffe in den Leib eines Dämons ein. Das Wesen war auf der Stelle tot, brach haltlos zusammen und fiel leblos auf die dunklen Stufen.
Ein erster Toter, dachte das Mädchen. In ihrer Brust erschauerte sie.
»Komm weiter«, forderte sie der Krieger auf und stieg die Stufen hinauf. »Es ist noch nicht vorbei.«
Was danach folgte, wusste Alex, würde sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Am oberen Treppenabsatz rumpelte es. Eine Tür wurde geöffnet und Licht fiel auf sie hinab. Ein sanfter, rötlicher Schimmer berührte sie und dann stürzten unzählige schreiende, kreischende Schattenwesen die Treppe hinunter. Mit Klauen und Fäusten schlugen sie um sich, fauchten und schrien und Eyndor wehrte jedes Einzelne ab. Er schlug wieder und wieder zu. Schreie ertönten, abgetrennte Gliedmaßen stürzten um sie herum zu Boden und Alex war, als watete sie durch ein Meer aus Blut und Tod.
Irgendwann beschloss ihr Kopf, dass es keinen anderen Ausweg gab, als abzuschalten. Sie schloss ihren Geist wie eine Tür hinter sich zu, versiegelte sie mit aller Macht und konzentrierte sich darauf, nur noch zu agieren. All das war schlimmer als alles, was sie sich je hätte vorstellen können und doch stand am Ende dieses Ganges ein blasser Hoffnungsschimmer: das Leben.»Eyndor!«,schrie sie auf, als ein Wesen, das der Krieger niedergeschlagen hatte urplötzlich ausholte, um nach seinem Knöchel zu greifen.
Eyndor rauschte herum, hob das Schwert und stach es energisch in die Wirbelsäule des Dämonenwesens. Dieser fiel zusammen - haltlos und tot. Als sie weitergingen, stieg Alex einfach über ihn hinweg, als wäre er nicht mehr gewesen, als lebloses Nichts. Sie ignorierte, dass er vielleicht ein Leben gehabt hatte, jemand, der ihn liebte und ihn vermissen würde. Sie ignorierte all diese Dinge und hielt den Atem an. So lange, bis kein Dämon mehr die Treppe hinabgestürzt kam.
Die Stille des Raums dröhnte lauter in ihren Ohren, als jeder Schrei. Das Echo ihrer Schritte hallte an den Hüllen ihres Verstandes wider. Sie sah Eyndor die Treppe verlassen und durch die Tür hinaus ins Herz des Schlosses entschwinden und setzte ihm nach. Sie fanden sich in der Eingangshalle wieder; ein gewaltiger Raum mit so hoch gelegenen Fenstern, dass das Licht wie Nieselregen zu Boden sank. Im schwachen Schein der herabgleitenden Strahlen sah Alex plötzlich die Tür vor sich, die zu jenem Raum führte, in dem nicht nur der Spiegel stand, sondern wohl auch Isay auf sie wartete.
»Eyndor..«
Doch der Krieger neigte lediglich den Kopf und lächelte müde. Sein Gesicht zeigte Erschöpfung und Alex erschien es jetzt bereits unglaublich, wie gut sich der untrainierte, müde Krieger schlug. Doch der schwerste Teil ihres Weges lag noch vor ihnen und Isay würde es ihnen gewiss nicht einfach machen.
Dann geschah es. Wie von Geisterhand schwang das große Portal auf. Ein Schatten fiel zwischen den Türflügeln hindurch in die Eingangshalle. Kurz darauf ertönte ein Klatschen, hohl und spöttisch.
»Gut gemacht!«, drang Isays Stimme aus dem Dunkel. »Wirklich, wirklich ausgezeichnet.«
»Bleib hinter mir!«, zischte Eyndor dem Mädchen zu, hob das Schwert und näherte sich dem Spiegelzimmer Schritt für Schritt. Der Dämon musterte ihn dabei, wie ein äußerst geduldiger Jäger. Seine stahlgrauen Augen analysierten jede Bewegung des Kriegers so gründlich, als stünde sein Leben auf dem Spiel.
Und tatsächlich begriff Alex in diesem Moment, wie viel für Isay dem Spiel stand.
»Ich wusste, dass du ausbrechen würdest. Nicht, wegen des Mädchens. Ich wusste es, als Reyndra ging. Er hätte dich nie zurückgelassen, ohne sich um dein Leben zu scheren. Also.« Majestätisch trat er einen Schritt auf die Ausbrecher zu, schob sich in den Lichtkegel und musterte erst Eyndor, dann Alex interessiert. »Da ich dich weder töten, noch gehen lassen kann, schlage ich dir einen Handel vor: Leg die Waffe fort und wir reden. Ich biete dir Freiheit und das Leben des Mädchens, als meine Gäste, hier im Schloss. Ich werde Anders mitteilen lassen, dass es euch gut geht und dass er frei ist. Keine Befehle mehr. Nie mehr.«
»Es wird keinen Handel geben.« Mit einem lauten Pfeifen atmete Eyndor aus. »Nicht jetzt und nicht morgen. Ich weiß, wer das Mädchen ist und was ihr Leben für dich bedeutet. Und ich schwöre dir, bei allem, was mir je heilig war, dass ich sie zu ihm zurückbringen werde. Und irgendwann werde ich ihm dabei zusehen, wie er dich in Stücke reißt.«
Das Lächeln, das bislang auf den Lippen des Dämons gelegen hatte, war verblichen und etwas Anderes, Ernstes hatte Einzug in sein Mienenspiel gehalten. Mit einem Mal war er nicht mehr ruhig, nicht mehr ausgeglichen und siegessicher. Seine stolze Fassade hatte Risse bekommen. Risse, die man sehen konnte und die Alex sagten, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Und dann fügte sich eines zum anderen und all die Undurchsichtigkeiten klärten sich. In Isays Blick offenbarten sich Alex mit einem Schlag all die kleinen Wahrheiten, die sie bislang unterschlagen hatte. Sie waren dabei, einen Krieg zu beenden. Sie konnten eine Schlacht gewinnen, die seit einer Ewigkeit tobte - hier und jetzt. Und dazu mussten sie lediglich den Spiegel erreichen.
Woher es kam, wusste sie nicht, doch dieser letzte Blick in Isays Augen sagte ihr unmissverständlich, dass sie dieses Ziel erreichen würden, weil es nichts gab, was er dagegen unternehmen konnte. Wenn er sie angriff, würde er Eyndor töten müssen und damit Anders Zorn auf sich ziehen, der letztendlich seinen Tod mit sich bringen würde. Dann war seine Schlacht geschlagen und sein Kampf für immer verloren.
»Ich finde dich«, sagte der Dämon leise, »egal, wie weit du vor mir fliehst. Ich werde dich aufspüren und zurückbringen. Das nächste Mal wird das Loch, in das ich dich werfe, noch tiefer sein und niemand wird dich mehr zu Gesicht bekommen. Glaub nicht, dass du gewonnen hast, wenn du entkommst. Das alles ist erst der Anfang. Wenn sich Anders gegen mich erheben wird, stirbt er. Und ihr mit ihm! Dann gibt es nichts, was ich tun kann, um diesen Krieg unter Kontrolle zu halten. Überlege dir, ob du bereit bist, dieses Opfer zu zahlen.« Seine Stimme begann zu beben, eiskalt und gefährlich. »Das Blut jeden Wesens, das meinen Weg kreuzt, wird an deinen Händen kleben! Ist es das, was du willst?«
»Das«, entgegnete Eyndor, »nehme ich in Kauf.«
Er warf das Schwert und die Klinge traf den Dämon frontal in die Brust. In einem kurzen Moment des Erschreckens weiteten sich die Augen des Schattenwesens. Blut quoll aus der Wunde hervor, in der die Klinge steckte. Der Schmerz zehrte ihn binnen Sekunden aus. Sein Anblick, als er langsam auf die Knie fiel, den Blick senkte und die aus seiner Brust ragende Waffe betrachtete, riss Alex in die Gegenwart zurück.
»Lauf!«, hörte sie Eyndors Stimme ihre Schutzmauern einreißen. Sie setzte sich in Bewegung, rannte zum Spiegel hinüber und hielt eine Hand für Eyndor ausgestreckt.
Sofort griff der Krieger zu. Seine Finger schlossen sich so fest um die des Mädchens, dass ihre Fingerkuppen alle Farbe verloren. Hastig warf Alex einen Blick über die Schulter zurück. Dorthin, wo Isay mit beiden Händen die blutbesudelte Klinge gepackt hatte und sie aus seinem Fleisch zu ziehen begann. Diese Wunde würde ihn nicht töten und in kurzer Zeit verheilt sein.
In diesem Augenblick drangen Schritte an ihre Ohren. Ihr Blick fuhr zur Seite, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie eine Handvoll Schattenwesen in die Halle gestürzt kamen. Sie schlang ihre Finger fest um die des Kriegers, drückte sanft zu und ließ Isay und ihren Schmerz hinter sich. Mit einem Satz drang sie in den Spiegel ein und riss Eyndor mit sich in die Spiegelwelt. Die Kälte drang wie eine Sturmflut über ihnen zusammen. Doch diesmal war die Kälte tröstend. Sie wusch das Leid hinweg und entließ zwei gebrochene Seelen in eine Welt, in die ihnen ihre Ängste nicht folgen konnten.