Es war bereits früher Abend und die Sonnen standen tief. Über dem Haus lag eine unheilvolle Stille. Sie sprachen wenig und jeder von ihnen wusste, dass die Gefahr näher rückte. Zwischen ihnen herrschte ein stilles Einverständnis, dass sie jedem selbst überließen, wie er diese letzten Stunden vor dem großen Sturm verbringen wollte. Nuin hatte sich auf die Wiese gelegt, zu dem Drachen und genoss jeden Sonnenstrahl, der sein goldenes Fell traf.
Sie sahen vertraut aus, das Ungeheuer und die Echse. Und irgendwie waren sie das auch. Sie beide entstammten einer ganz und gar magischen Welt, in der ihr Aussehen nicht darüber entschied, wer sie waren. In der sie Götter waren. Und ihnen war anzusehen, dass ihnen die einzelnen Strahlen der wärmenden Sonne auf ihre Weise ihr Leben zurückgaben. Der todgeweihte Drache hatte wohl nie damit gerechnet, dass ihm dieses Gefühl noch einmal vergönnt sein würde, und auch Nuin musste in Anders Kerker geglaubt haben, dass er die Sonne immer verloren hatte. Sie beide bekamen eine zweite Chance, und wenn sie Anders erst befreit hatten, auch eine dritte.
Reyndra hatte sich mit seiner Frau zurückgezogen. Doch obgleich der Krieger erfahren war, und seine Frau stets Vertrauen in ihn hegte, konnte Alex sie im Vorübergehen an der Tür leise weinen hören. Ein Gemisch aus abwechselnden Stimmen drang auf den Flur hinaus, aber das Mädchen spürte, dass zwischen ihnen ein stilles Übereinkommen stattfand, dass sie sich keinesfalls verabschieden würden. Obwohl sie es taten.
Geschwind schlang das Mädchen seine Angst hinunter und senkte den Blick auf den einzigen Freund hinab, der sie durch nahezu jeden schwierigen Augenblick in dieser seltsamen Welt begleitet hatte. Josh schlief in ihrer Hand. Auch an ihm waren die letzten Wochen nicht spurlos vorübergegangen. Der Tumor in seinem Bauch war größer geworden und wölbte diesen nun deutlich sichtbar nach außen. Er schlief jetzt mehr und die Phasen, in denen er aufwachte, wurden kürzen. Er aß weniger und brauchte länger. Aber wann immer sich seine Knopfaugen öffneten, und er quiekend auf der Schulter des Mädchens herumkrabbelte, spürte sie die enge Verbundenheit zwischen ihnen. Dann dachte sie an den Augenblick in ihrem Zimmer zurück. Daran, wie sie die Zeichnung dieser Kreatur zusammengeknüllt und den Entschluss gefasst hatte, für einen Moment aus ihrem Alltag auszubrechen. Damals hatte sie nicht geahnt, wie sehr sich bald all die kleinen Puzzleteile zusammenfügen würden. Aber nun erkannte sie die Vollkommenheit ihrer Situation. Das Wesen, das sie damals verfolgt hatte, vor dem sie nicht entkommen konnte, und das zu zeichnen sie ihr Unterbewusstsein wieder und wieder gezwungen hatte, war ein Mann mit schwarzen Schwingen gewesen. Eine Kreatur mit verzerrten Klauen und ohne Gesicht. Das, was Anders sein würde, wenn sie diesmal versagten. Irgendwie musste sie geahnt haben, dass dieser Ausflug anders verlaufen würde.
Und was würde sie mit diesem angebrochenenTag anfangen? Wie wollte sie die Nacht überstehen? Herumstehen und darauf warten, dass der Kampf losbrach? Mit Joshua in der Ecke sitzen und hoffen, dass niemand Notiz von ihr nahm? Sich verkriechen und darüber nachdenken, was die Katzengöttin über Anders und die Macht seines Herzens erzählt hatte? Würde sie Frieden finden? Frieden mit sich selbst, auch wenn sie Anders vielleicht nicht retten konnten? Würde sie zur Ruhe kommen, auch wenn Isay ihnen einen Schritt voraus war? Oder würde sie durchdrehen, sobald sie mutterseelen allein im Inneren des schwarzen Schlosses stand und sich erneut Isay gegenübersah?
Seit jenem Zeitpunkt, in dem sie den Vorschlag gemacht hatte, ins Schloss einzudringen und auf eigene Faust nach Anders zu suchen, war sie sich nicht mehr wirklich sicher, ob sie im Angesicht der Gefahr tatsächlich stark genug war, um ihr die Stirn zu bieten. Ihre erste Begegnung mit dem Dämon hatte Spuren auf ihrer Seele hinterlassen. Er hatte mehr Eindruck auf sie gemacht, als er sich vielleicht bewusst war und Alex glaubte noch immer daran, dass sie ihre Flucht lediglich dem Umstand verdankten, dass Isay Wert darauf gelegt hatte, sie nicht zu verletzen. Nun bestand kein Grund mehr dazu, sie zu schonen. Er besaß alles, wonach er sich verzehrt hatte, und noch mehr.
Es gab keinen Grund mehr, sie oder einen der Anderen zu schonen. Wenn Isay sie zu fassen bekam, endete diese Geschichte.
»Hey.« Eine Stimme ließ das Mädchen aufsehen. Es war so tief in Gedanken verloren gewesen, dass es nicht bemerkt hatte, wie Eyndor näher gekommen war.
Alex nickte ihm zu. »Hey«, erwiderte sie seinen Gruß und hob die Hand, auf der Josh saß an, damit er auf ihre Schulter klettern konnte. »Hast du mich gesucht?«
»Vielleich«, gestand der dunkelhaarige Krieger lächelnd. »Eigentlich«, korrigierte er dann jedoch, »weiß ich nicht wirklich, was ich gesucht habe. Der morgige Tag stellt die Weichen für den Rest unseres Lebens. Ich bin viel herumgekommen, habe viel gesehen und würde viele Epochen meines Lebens gerne vergessen, aber auch ich fürchte mich vor dem Sonnenaufgang. Ich habe Angst, dass wir zu spät kommen, oder dass wir es nicht alle ans Ziel schaffen. Ich fürchte mich mehr davor, wieder in Isays Verlies zu landen als davor, dass er diese verfluchte Kiste öffnet.« Mit einem Seufzen versuchte er, das angespannte Lächeln aufrecht zu erhalten, doch seine Fassade bröckelte bereits. »Ich denke, ich wollte gern aus deinem Mund hören, dass meine Angst nicht egoistisch ist. Und dass ich dennoch ein guter Mensch bin.« Er hob die Hände und strich sich das Haar zurück. »Glaub nicht, dass ich den Verstand verliere. Ich dachte nur..«
»Du wolltest nicht alleine sein«, schlussfolgerte das Mädchen.
Eyndor nickte. »Ja, vielleicht.«
»Ich verstehe dich gut. Und du bist nicht egoistisch, nur weil du dir wünschst, dass wir nicht gehen müssten.«
»Ich habe seit Tagen einen wiederkehrenden Traum«, gestand er Krieger, schob sich die Hände in die Manteltaschen und kam mit gesenktem Blick auf das Mädchen zu. »Ich stehe inmitten einer Schlacht, wie jene, die uns nun bevorsteht. Mein Schwert ist verloren und ich kann nur noch wählen, ob ich fliehen oder eingreifen möchte. In meine Traum bin ich starr vor Angst und sehe zu, wie alle sterben, die ich liebe. Diese Ohnmacht lässt mich schweißgebadet erwachen.« Er hob das Gesicht und fesselte die Augen des Mädchens an seine. »Ich frage mich dann, ob der Weg, den wir gehen, richtig ist. Ist es gerecht, dass wir Reyndra und seine Frau in Gefahr bringen? Ist es gut, dass ich Nuin um Hilfe gebeten habe und wir den Drachen als Schild für unsere eigenen Pläne missbrauchen? Haben wir das Recht dazu, Anders Leben so weit über das jedes anderen zu stellen, nur weil er die Gabe besitzt, uns vorübergehend zu retten?«
Alex blinzelte. »Eyndor, zweifelst du daran, dass wir ihn retten sollten?«
»Immerzu«, offenbarte ihr der junge Mann. »Diese Frage quält mich morgens beim Erwachen und schweigt auch dann nicht, wenn ich die Augen schließe. Ist Anders Leben die sechs Herzschläge wert, die wir dafür opfern würden? Ich weiß, dir mag diese Frage seltsam erscheinen, aber würde ich ihn retten wollen, wenn er nicht mein Freund wäre? Wären wir bereit, diesen Preis zu akzeptieren, wenn wir ihn nicht kennen würden? Ich frage mich, ob uns die Freundschaft verblendet. Du hast gehört, was die Göttin sagte. Es wäre meine Aufgabe gewesen, darüber zu entscheiden, ob er seines Lebens würdig ist. Und? Ist er es?« Als er ihren fragenden Blick bemerkte, hob der Krieger rasch die Hände und winkte ab. »Versteh mich nicht falsch. Ich liebe ihn. Er ist der Bruder, von dem ich mir alles abgeschaut habe, der Vater, der mich zu einem Mann erzog und der Freund, der mich Güte und Verständnis lehrte.« Wenn er nur wüsste, wie recht er damit hatte. »Doch wenn ich hinter all diese Gefühle blicke, die ich für ihn hege, was bleibt dann noch? Eine Kreatur, die den Boden unter den Füßen verloren hat. Ein Wesen, das mich erst vor Tagen noch angegriffen hat, weil es die Kontrolle verloren hatte. Ein Geschöpf, das mit der Aussprache eines einzigen Fluches bereit war, jedes Leben innerhalb Andheras aufs Spiel zu setzen. Alles, was Anders jemals war, was er ist, ist ein Dämon, der stets nur seine eigenen Ziele verfolgte. Er ignorierte jeden Rat, er schnitt das Herz heraus und zog erneut den Zorn der Götter auf sich. Alles nur, um sich und das, was er ist und fühlt, zu verleugnen. Ist das der Mann, der uns alle retten wird? Was glaubst du?«
»Ich..«
Doch tatsächlich raubten seine Worte dem Mädchen kurzzeitig den Atem. Als sie in diese Welt gekommen war, und die vielen Geschichten über den Dunklen Prinzen und seine verhängnisvolle Macht erfahren hatte, waren ihre Gedanken den seinen so ähnlich gewesen. Damals hätte sie Stein und Bein darauf geschworen, dass Anders Seele für immer und unwiderruflich verloren war. Dass er egoistisch genug war, das Leben eines unschuldigen Kindes aufs Spiel zu setzen, nur um seine eigenen Ziele voranzutreiben. Und wann genau dieses Empfinden aufgehört hatte, war ihr noch immer nicht klar. Aber irgendwann zwischen ihrem Gespräch in Anders Empfangshalle, als er ihr Nuins Freiheit in Aussicht gestellt und sie damit betrogen hatte, und dem Moment, in dem sie in seinen Augen gesehen hatte, dass ihm sein Leben plötzlich nicht mehr wichtig war, und er entschieden hatte, ihnen an seiner Stelle zur Flucht zu verhelfen, hatte sich ihr Denken vollkommen gewandelt. Irgendwie war aus dem Dämon ein sterbliches Wesen geworden, das in den Augen des Mädchens nicht vollkommen, aber besser als der Durchschnitt war. Anders hätte Nuin nicht gehenlassen müssen. Er hätte sie nicht schicken müssen, um Eyndor zu retten, und er hatte mehr als einmal die Gelegenheit dazu, einen anderen Weg einzuschlagen. Doch etwas in ihm hatte diesen Weg gewählt, weil er ihm richtig erschien. Weil auch er an etwas glaubte. Und vielleicht sogar, weil er sich selbst insgeheim mehr zutraute, als er je auszusprechen wagte.
»Hör zu«, sagte das Mädchen leise. »Er mag die falsche Form eines rettenden Engels sein, aber er wird uns retten. Ob du nun an ihn glaubst, oder nicht. Und das weißt du. Und ich denke, er ist es wert, dieses Risiko einzugehen. Es ist ein Spiel. Du setzt eine Münze und gewinnst. Oder du setzt, und verlierst. Du weißt nicht, wie die Schlacht endet, aber wir haben mehr zu gewinnen, als zu verlieren.«
Langsam keimte das Lächeln des Kriegers wieder auf. »Alex, darf ich dich bitten, diesen Tag an meiner Seite zu verbringen? Diese Warterei macht mich verrückt, und ich weiß einfach nicht, wie ich diese Nacht überstehen soll.«
Schlagartig schoss dem Mädchen die Röte ins Gesicht. »Ich habe auch Angst, und ich wünschte, es wär schon Morgen.«
»Ich auch. Komm. Ich hab eine Idee, die diesen Tag für uns alle besonders macht. Geh nach draußen und warte dort auf mich.«
Verwirrt nickte Alex ihm zu und wandte sich zum Gehen. Sie durchquerte das Haus wie ein Geist, der von nichts mehr Notiz nahm und trat durch die Tür hinaus. Nuin und der Drache lagen noch immer vor dem Haus. Die letzten, verglimmenden Strahlen der Abendsonne berührten ihre Leiber und ließen sie golden erstrahlen.
Als das Mädchen näherkam, öffneten sich die großen Augen des Drachen. Sein Kopf ruckte herum und die Bewegung weckte den Greifen. Nuin hob das Haupt und sah sich um. Als sein Blick auf Alex fiel, zog sich ein Lächeln über sein Gesicht. »Willst du dich zu uns setzen?«, hakte er nach, während er den rechten Flügel hochklappte und das Mädchen mit einer einladenden Geste zu sich lotste. Geschickt huschte Alex unter seinen wichen Flügel und Wärme machte sich in ihrem Inneren breit. Sie kuschelte sich in das goldene Greifengefieder und schon Sekunden später kam Joshua hervorgekrochen und rollte sich auf Nuins Schwinge zusammen. Der Greif stupste das Mädchen mit dem Schnabel und fragte sanft: »Geht es dir gut?«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Alex und schenkte ihm ein breites Grinsen. »Aber das wird wieder, sobald wir Anders und sein Herz gerettet haben. Versprochen.«
»Wo ist Eyndor?«
»Er kommt gleich. Er möchte etwas Besonderes tun und hat mich gebeten, ihn hier zu treffen. Weißt du, was er vorhat?«
Der Greif schüttelte den Kopf und eine einzelne lose Feder fiel auf die Hand des Mädchens hinab. Es senkte den Blick und tastete mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand danach, als die Haustür aufschwang und Eyndor herauskam. Er war nicht allein. Reyndra und Halla folgten ihm Hand in Hand hinaus.
»Was hast du vor?«, hörte sie Hallas Stimme.
Eyndor führte die Beiden zu Alex und Nuin hinüber und wies sie an, sich zu setzen. Rasch tauschten die beiden einen verwirrten Blick, folgten jedoch der Bitte des Kriegers und ließen sich neben Alex und Nuin sinken.
»Das ist unser letzter Abend«, sagte Eyndor. Seine Stimme war alles, was die Stille teilte. »Ich will ein Feuer machen und mit euch die ganze Nacht davor sitzen und lachen.« Ein seltsames Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit. »Vielleicht kommen wir niemals mehr alle zusammen. Und ich will, dass die letzte Erinnerung an uns alle ein schöner Augenblick ist, in dem wir glücklich waren. Wir tun das für Anders. Wir schicken ihm Kraft, indem wir unsere Herzen stärken.« Er drehte sich um und ging ums Haus herum, um Feuerholz zu holen.
Alex sah ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war und maß abschätzend die Gesichter der Anderen. Verstanden sie, was der Krieger von ihnen wollte, oder belächelten sie ihn für den verzweifelten Versuch, für ein wenig Normalität und Glück zu sorgen? Alle ihr entgegenblickenden Gesichter offenbarten die selbe Botschaft: Sie alle wirkten erleichtert, nun, da sie mit ihren Sorgen und Ängsten nicht mehr alleine waren. Und auch Alex spürte, wie sich Zuversicht in ihr ausbreitete.
Als Eyndor wiederkam, sich in die Mitte des Kreises kniete und sacht Holzscheite aufzustapeln begann, sah Alex ihm aufmerksam zu, obgleich er ihre Blicke mied. Hätte Anders seinen Sohn in diesem Augenblick sehen können, er hätte wieder Zuversicht zugelassen.
Nur wenige Minuten später, nachdem der Krieger zwei Hölzer so lange aneinander gerieben hatte, bis Funken daraus hervorstoben und auf einen der Äste übergriffen, setzte sich Eyndor neben sie und starrte in die heller werdenden Flammen. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Licht und Schatten wieder. Er wusste nicht, wie besonders ihn die Gedanken machten, die seinen Kopf umkreisten und das Blut in seinen Adern.
»Das ist es«, flüsterte das Mädchen, schloss die Augen und lehnte sich zu ihm hin, wobei sie Nuins Schwinge knickte. Der Greif bemerkte es kaum. »Das ist, weshalb wir morgen erfolgreich sein werden. Weil wir die Dinge beim Namen nennen, die Worte aussprechen und uns nicht fürchten, darüber zu reden. Ich«, sagte sie und hob ihre Stimme an, »vermisse Anders ganz schrecklich. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, saß ich in meinem Bett und hatte schreckliche Angst vor der Dunkelheit. Er hat sich zu mir gesetzt, und mir gezeigt, dass die Finsternis kein Grund zum Fürchten ist. Drei Nächte lag kam er immer wieder, sprach, lachte und schwieg mit mir. Und als er nicht mehr kam, war meine Angst gebrochen. Und das ist sie immer noch. Anders, ich wünsche, dass auch du keine Angst vor der Finsternis mehr haben musst.«
»Bei unserer ersten Begegnung«, warf Reyndra ein und schmunzelte, »war ich ein junger Bursche, gerade auf dem Weg zum Ritter. Ich dachte, das größte Los für mich wäre, einen Drachen zu erschlagen, oder mit dem abgetrennten Kopf einer anderen Bestie um das Herz meiner Liebsten anzuhalten.« Seine und Hallas Hände waren fest ineinander verschränkt. Er hatte ihr das Gesicht zugewandt und musterte sie lächelnd, so verliebt wie damals. »Anders lachte mich aus und sagte, ein Drachentöter würde ich nie werden. Daraufhin verwarf ich die Idee und schrieb Halla einen Brief. Ich bat sie um ein Zeichen, wenn sie sich vorstellen könnte, meine Frau zu werden. In der nächsten Vollmondnacht trafen wir uns auf einer Lichtung. Glühwürmchen schwirrten durch die Luft. Die Wolken hingen tief und es begann zu regnen. Wir zogen uns in eine Höhle zurück und warteten, bis der Regen vorüber war.«
»In dieser Nacht wusste ich, ich würde für immer bei dir sein«, sagte die Grauhaarige und schmiegte ihre Wange an seine Hand. »Einem Drachentöter hätte ich mein Herz nie überlassen können.«
»Ohne Anders Rat wäre ich ein anderer Mann geworden, der mit einer anderen Frau andere Kinder hätte, und ich wäre nie so glücklich gewesen.«
»Ohne den Ruf des Dunklen Prinzen«, sagte Nuin plötzlich, »wäre Alex nie vom Himmel gefallen und in meinen Armen gelandet. Dann wäre mir Eyndor nie begegnet, und ich hätte nie die Freundschaft eines Sterblichen zu schätzen gelernt.« Er schmunzelte zufrieden. In seinen Goldaugen spiegelte sich der Flammenschein. Es wurde langsam dunkel um sie herum. »Mir scheint, wir alle haben unsere Geschichten, die uns mit dem Schwarzen Engel verbinden, ob wir wollen oder nicht. Und wenn alles, was geschah, nur dazu führte, uns an diesen Punkt zu bringen, dann finde ich, war es die Mühe wert.«
»Ohne Anders wäre ich dir nicht begegnet.« Alex hob den Blick und sah, dass Eyndor sie betrachtete. Seine Hand näherte sich ihrem Gesicht und strich eine lose, blonde Strähne aus ihrer Stirn. »Und ohne dich wäre ich immer noch nicht mehr als ein bärtiger Mann in einer kleinen Zelle, der vergessen hat, wie Sonnenlicht schmeckt.«
Alex erwiderte seinen Blick und spürte, wie ihr in diesem Moment Angst die Kehle zuschnürte. Sie sah in seine Augen und wusste, was als Nächstes geschehen würde. Und obwohl leise Stimmen hinter ihrer Stirn wisperten, dass sie umkehren musste, überwiegten jene, die ihr versprachen, dass alles gut sein würde, sobald sie auf ihr Herz hörte. Alex atmete ein und aus, schloss die Augen und horchte tief in sich hinein. Das Gefühl, nach dem sie suchte, war allgegenwärtig. Es war schon eine Weile da und hatte sich zurückgehalten, weil der richtige Zeitpunkt nicht gekommen war. Sie hatte sich selbst belogen, um im Schutz der Nichtigkeiten Zuflucht zu finden. Doch jetzt, an diesem Abend, der für sie vielleicht der letzte sein würde, schwieg die Vernunft und das Gefühl bauschte sich in ihr zu einer Welle auf.
Er küsste sie. Es war kein leidenschaftlicher, kein langer Kuss, aber er war genauso, wie Alex sich einen Kuss von Eyndor vorgestellt hatte. Seine Lippen waren warm und weich, sein Kuss war sanft, nicht fest oder fordernd. Er war respektvoll, leicht, beinahe nur wie ein Hauch, und so schnell vorüber, dass Alex im Nachhinein nicht einmal sagen konnte, wonach seine Lippen schmeckten.
Das Mädchen öffnete die Augen, schenkte dem Krieger ein kleines Lächeln und lehnte sich im Anschluss an seine Schulter. Nuins Schwingen wärmten ihre Beine und Eyndors Nähe und ihre Zuversicht den Rest ihres Körpers.