» Skeggöld, skalmöld, skildir ro klofnir, vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk; mun engi maðr öðrum þyrma. « Unzufrieden murmelte Ragnar den Spruch aus den Überlieferungen vor sich hin. Leuchtend blau spannte sich der Himmel über das Meer, eine leichte Brise blähte das Segel, Möwen flogen kreischend mit den Booten über das Kattegat. Nicht mehr lang und sie hatten Straumfjorður erreicht. Dennoch war der Jarl nicht glücklich. Die Sorge um sein Hab und Gut hatte ihn in den letzten Tagen nie verlassen. In Gedanken sah er mehr als einmal die rauchenden Trümmer seiner geliebten Heimat vor sich. Wenn Arngrims Männer doch siegreich gewesen waren …?
Nicht weit von der Ragnarsúð entfernt blähte sich das Segel von Arngrims Leitschiff. Zwar hatte Horik dafür gesorgt, dass die meisten Boote und ein Großteil der Männer vorausgefahren waren, doch bildeten sie dennoch in einem Verbund von fünf schnellen Kriegsbooten – Horik, Ragnar und Arngrim, sowie Erik, ein weiterer Jarl aus dem Norden. Ihnen allen war das Ziel ihrer Reise gemeinsam – Straumfjorður. Horik hatte kurzerhand bestimmt, dass sie gemeinsam einlaufen würden.
»Du hast dir diese Ehre redlich verdient, mein Freund«, hatte er zu Ragnar gesagt. »Und es kann weitere Auszeichnungen für dich geben, wenn du nur willst«, ließ er den Jarl wissen. »Ich weiß wohl, dass Loyalität gegenüber dem König längst nicht immer selbstverständlich ist. Und dass du trotz des Brandes mit so vielen Schiffen und Männern zu mir gekommen bist und wie ein Held gekämpft hast, schätze ich sehr.«
Horik war eine Zeitlang still geblieben und auch Ragnar hatte jede Erwiderung vermieden. Wollte er doch den König nicht drängen.
»Ich habe eine ausgesprochen hübsche junge Tochter«, ließ Horik ihn dann wissen. »Birthe hat gerade vierzehn Sommer gesehen und kann dir ein Dutzend Kinder gebären, wenn du gut zu ihr bist. Ein Mann wie du sollte sich nicht mit einem einzigen Sohn zufriedengeben. Er sollte viel Söhne haben, die sein Werk weiterführen, wenn er nach Walhalla gegangen ist.«
Horik nickte und zwinkerte Eldar dann zu. »So ist es. Ich biete dir einen Platz an meiner Seite an. Der Preis ist eine Heirat und die Bedingung, Birthe zu deiner Hauptfrau zu machen. Wenn du Lathgertha weiter besteigen möchtest, wird sie es akzeptieren. Doch sie muss an deinem Herd die Erste sein. Eine Königstochter darf keine andere Frau über sich haben. Und ich möchte sie nicht unter einem unfruchtbaren Weib stehen sehen …«
Nachdenklich starrte Ragnar weiter auf die Wellen. Horiks Angebot bot ihm eine unverhoffte Erhebung in einen Stand nahe dem König. Eine Königstochter heiraten … Träumerisch zwinkerte Ragnar sich selbst zu. Wer konnte sich mehr von einer Ehe versprechen als das? Doch dann wurde der Jarl nachdenklich. Die Ehe hatte auch einen Preis. Einen Preis, den zu zahlen er fast schon einmal gezwungen gewesen war: Lathgertha. Dass sie ihm verzieh, sollte er Horiks Tochter über sie stellen, durfte er nicht erwarten. Die Schildmaid war stolz und sich ihres Wertes durchaus bewusst. Dass sie ihm nur ein Kind geboren hatte, brauchte er ihr gegenüber gar nicht erst ins Feld zu führen. Für eine solche schamlose Rede würde sie ihm glatt ins Gesicht spucken.
Ragnar grinste. Ja, seine Gertha war schon etwas Besonderes!
Dennoch war das Angebot des Königs verlockend und für den Jarl eine Ehre, die er nicht ablehnen wollte.
Vielleicht wurde es Zeit, den Bewohnern seiner Siedlung und auch Lathgertha zu zeigen, dass er dem König nahestand und Macht hatte. Selbst vor eine Frau wie die Schildmaid hatte sich dem Willen ihres Gemahls zu beugen. Das sollte sie wissen.
Ragnar runzelte die Stirn. Wenn sie es jedoch nicht hinnahm, dass ihr Rang gemindert wurde … Er strich sich müde über die Stirn. Wäre, hätte, sollte … Die Nornen trieben ihre Späße mit ihm und er war nicht imstande, eine klare Entscheidung zu treffen. Ein bitteres Lachen brach aus ihm heraus. Da machte er sich Gedanken, ob er eine zweite Frau nehmen wollte. Dabei wusste er nicht einmal, ob er noch ein Dach über dem Kopf haben würde, unter dem er sie unterbringen konnte. Straumfjorður war noch lange nicht erreicht.
Als die Sonne sank, ließ sich der Franke bei ihm nieder. Santór grinste den Jarl an. »So eine Fahrt auf einem Kriegsschiff ist etwas ganz anderes als auf unseren Koggen. Die Geschwindigkeit und der Fahrtwind sind berauschend.« Er lachte. »Ich frage mich, wie lange ihr mit diesem Schiff bis Paris bräuchtet. Wenn man etwas mehr Platz für Handelsgüter hätte, wäre man mit solch einem Schiff schnell ein gemachter Mann.«
Ragnar richtete sich von seinem Lager auf. »Man kann auch mit einem Schiff wie diesem schnell reich werden.« gab er zu. »Der Trick dabei ist es, nur wertvolle Beute mitzunehmen. Dinge von hohem Wert wie Gold, Silber und Sklaven, Dinge, die nicht durch das Salzwasser verderben.« Er machte eine abwertende Geste. »Ich habe einmal versucht, Seide zu verschiffen. Es war ein sinnloses Unterfangen. Das Salz zerfraß die Stoffe und bleichte die Farben. Niemand wollte solch angeschlagene Ware.«
Santór nickte verständnisvoll. »Für Stoffe wie Seide und Brokat bräuchtet ihr wasserfeste Truhen. Doch auch der Transport von Sklaven erscheint mir auf dem schmalen Schiff schwierig. Sie können sich kaum bewegen, selbst sich zu erleichtern, erscheint mir schwierig für viele gefesselte Menschen. Und den Gestank, wenn sie es an Bord täten, will ich mir gar nicht ausmalen.« Er schüttelte sich und Ragnar lachte herzhaft.
»Wir füttern sie nicht sonderlich gut, wenn du verstehst«, erklärte er sorglos. »Wir fangen sie an den Ufern der Vesterhav und der Eystrasalt und bringen sie nach Heiðabýr. Der Markt dort hat immer Bedarf an frischen Händen.«
Der Franke nickte. »Ja, das glaube ich inzwischen auch. Doch ich bin froh, nicht mehr zu diesem Handelsgut zu gehören. Lieber fahre ich mit Euch nach Norden.«
Ragnar klopfte dem Mann auf die Schultern. »Wenn es die Nornen gut mit uns meinen, werden wir in vier Tagen ankommen. Bis dahin muss ich mir überlegen, wie es in Straumfjorður weitergehen soll. Und ich muss ein Angebot Horiks überdenken, dass mich auf den ersten Blick ehrt, mir aber auch eine Reihe von Verpflichtungen einbringen und Probleme bereiten könnte, wenn ich es annehme.«
» Skeggöld, skalmöld, skildir ro klofnir, vindöld, vargöld, áðr veröld steypisk; mun engi maðr öðrum þyrma.« Völuspa aus Vers 45 » Schwertzeit, Beilzeit, Schilde bersten, Windzeit, Wolfzeit bis die Welt vergeht – nicht einer will des andern schonen.«
Birthe: altnordisch Helferin, Schützerin
Kogge: Lastschiff/Segelschiff der Hanse, das v.a. zum Transport von Handelswaren. Erste historische Quellen über einen Schiffstyp „cog“ finden sich aus dieser Zeit ebenfalls am Niederrhein. (Quelle: wikipedia)
Eystrasalt - Ostsee